Ein Gastbeitrag von Christian Bührig

Solvay 1927_1
Teilnehmer der Solvaykonferenz 1927 – Die „Quantenkritiker“: Einstein (1. Reihe, Mitte), Schödinger (3. Reihe, Mitte); die „Quantenfreaks“: Bohr (2. Reihe, ganz rechts), Heisenberg und Pauli (3. Reihe, 3. u. 4. v. rechts)

A. Einleitung von Axel Stöcker

Von allen naturwissenschaftlichen Theorien ist die Quantentheorie jene, die am besten empirisch bestätigt wurde. Und sie ist wohl auch die Theorie, die am meisten technisch angewendet wird. Von der Neonröhre bis zum Computer, von der Quantenkryptographie bis zur Photovoltaik, alles beruht auf Quanten.

Doch so souverän man die Theorie in der Praxis auch beherrscht, so unsicher ist man sich nach wie vor in der Frage, wie ihre theoretischen Grundlagen eigentlich zu interpretieren sind. Zugespitzt formuliert gleicht die Quantentheorie einer großen Black Box, die perfekte Ergebnisse liefert, aber deren Inneres ein großes Rätsel darstellt. Was bedeuten all die Wellenfunktionen, Matrizen und Operatoren eigentlich? Repräsentieren sie physikalische Realitäten, oder sind es lediglich raffinierte mathematische Simulationen?

Um solche philosophischen Fragen im Forschungsalltag abzublocken, benutzen Quantenphysiker gerne einen Satz, der es in Labors fast schon zum geflügelten Wort gebracht hat: „Maul halten und rechnen!“ heißt es dort lapidar.

Dass wir auf dem Blog der großen Fragen uns mit dieser Antwort nicht zufriedengeben können, versteht sich von selbst. Die philosophischen Auseinandersetzungen um die Quanten reichen bis in die Anfangszeiten der Theorie zurück und schwelen bis heute. Wie kommt das?

Da ist zunächst die simple Tatsache, dass man das innere des Atoms nicht sichtbar machen konnte (und bis heute nicht kann). Nils Bohr unterstellte daher zunächst einfach, dass das Atom wie ein kleines Sonnensystem mit dem Atomkern als Sonne und den Elektronen als Planeten aufgebaut sei. Diese Idee war anfangs auch erfolgreich, doch 1921 zeigte der junge Wolfgang Pauli in seiner Dissertation, dass komplexere Teilchen mit der Vorstellung von Elektronen auf Umlaufbahnen nicht zu erklären waren.

So entstand nach und nach die Idee, auf alle Spekulationen über das unsichtbare Innere des Atoms zu verzichten und in Theorien nur mit beobachtbaren Größen zu arbeiten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Frequenzen des von den Atomen emittierten oder absorbierten Lichts (den Spektren). Es war Werner Heisenberg, der diesen Ansatz am konsequentesten verfolgte und 1925 zur Vollendung brachte. 1927 legte er dann sozusagen nochmal nach und erklärte anhand seiner berühmten Unschärferelation, dass das Innere des Atoms prinzipiell unbestimmt und damit physikalischen Messungen letztlich nicht zugänglich sei.

Damit war quasi das letzte bisschen Mechanik aus der Quanten-„mechanik“ getilgt worden. Man sprach nun besser von der Quantentheorie. Statt klarer Strukturen gab es Unschärfe, statt eindeutiger Vorhersagen gab es Wahrscheinlichkeiten. Die Umwälzungen im wissenschaftlichen Denken, die hier nur zart angedeutet werden können, waren immens und viele Fragen waren offengeblieben.

Das rief natürlich Kritiker auf den Plan. Ein Kampf um die Seele der Physik entbrannte. Die bekanntesten Vertreter der „Quantenkritiker“ waren Albert Einstein und Erwin Schrödinger. In diesem Zusammenhang fiel Einsteins berühmter Satz „Gott würfelt nicht“, der als Kritik an den probabilistischen Vorhersagen der Quantentheorie zu verstehen ist. Einstein war bis zu seinem Tode der Meinung, dass die Quantentheorie unvollständig sei. Damit meinte er, dass es in ihr versteckte, noch zu entdeckende Parameter geben müsse, mit deren Hilfe sie dann in eine deterministische Theorie, die auf Ursache und Wirkung beruht, zurückgeführt werden könne. Und Schrödinger sagte bei seiner Nobelpreisrede 1933, dass das höchste Ziel beim Aufstellen seiner berühmten Gleichung darin bestanden habe, „die Seele des alten Systems“ der Mechanik zu retten.

Doch schon drei Jahre zuvor hatten er und Einstein beim Solvay-Kongress 1930 in Brüssel eine Niederlage einstecken müssen. Unser Foto zeigt die Teilnehmer der Vorgängerkonferenz 1927, auf der es, wie wir gleich sehen werden, auch schon Diskussionen zur Quantentheorie gab.

1930 jedenfalls fand dort das vielleicht bekannteste Streitgespräch in der Geschichte der Physik statt: Einstein hatte sich eines seiner berühmten Gedankenexperimente zurechtgelegt, das Heisenbergs Unschärferelation widerlegen sollte. Zunächst waren alle baff und Einstein verließ mit seinen Anhängern, darunter auch Schrödinger, triumphierend den Saal. Bohr habe ausgesehen „wie ein Hund der Prügel bezogen hatte“, berichtete ein Teilnehmer. Doch am anderen Morgen waren die Rollen vertauscht. Einstein hatte, wie Bohr darlegte, ausgerechnet eine Konsequenz aus seiner eigenen Allgemeinen Relativitätstheorie übersehen, die sein Gedankenexperiment zunichtemachte.

Doch selbst damit sind nicht alle Zweifel ausgeräumt. Das liegt vor allem daran, dass die Quantenmechanik so fundamental jeglicher Anschauung widerspricht. Was soll man von einer Theorie halten, in der ein Teilchen erst mit dem Akt der Messung „real“ wird, und selbst das nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit? Selbst Bohr, der Quantenguru, musste einräumen: „Wer von der Quantentheorie nicht schockiert ist, der hat sie nicht verstanden.“

Und auch von Heisenberg gab es nachdenkliche Töne, die darauf schließen lassen, dass er sich des Preises bewusst war, der für den großen Erfolges der Quantentheorie zu bezahlen war. So sagte er 1933 in einem Vortrag:

Denn je weiter das Gebiet reicht, das Physik, Chemie und Astronomie uns erschließen, desto mehr pflegen wir das Wort „Naturerklärung“ zu ersetzen durch das bescheidenere Wort „Naturbeschreibung“.

Die philosophischen Implikationen der Quantentheorie sind wesentlich breiter, als in dieser kurzen Einleitung angedeutet. Sie reichen bis zu den alten Griechen zurück. Und ob Einsteins versteckte Parameter doch noch irgendwann gefunden werden, wissen wir nicht. Es sieht nicht danach aus, doch ist die Gewissheit eine ebenso schöne wie launische Begleiterin der modernen Naturwissenschaft. Oft lässt sie einen geraden dann sitzen, wenn man am wenigsten damit rechnet. Vielleicht gibt es also einmal ein „Zurück zu Schrödinger“. Folgen Sie Christian Bührig auf einen Streifzug durch die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte und einen spannenden und, wie er selbst einräumt, durchaus gewagten gedanklichen Ausflug.

B. Zurück zu Schrödinger

Die Materiewellen von de Broglie und Schrödinger zogen 1927 nach der Solvay-Konferenz den Kürzeren. Zu Unrecht aus einer naturphilosophischen Perspektive und einem Rückgriff auf das kritische Denken Einsteins, Schrödingers und Poppers.

Dieser Artikel wurde angeregt durch eine Bemerkung Karl Raimund Poppers in seiner autobiografischen Schrift „Ausgangspunkte“. Er schrieb, wie er 1950 die Ehre hatte, Einstein in Princeton sprechen zu können. Auch Schrödinger traf er in Dublin in jener Zeit. Beide Physiker schätzte er im hohen Maße. Popper nutzte die Gelegenheit, Einsteins Position zum Determinismus anzusprechen, dabei nannte er ihn in Hinblick auf die Allgemeine Relativitätstheorie und dem Streben nach der einheitlichen Feldtheorie „Parmenides“, was Einstein nicht abwegig fand und die provokant-amüsante Anrede im Laufe der Gespräche zuließ.

Das Hauptthema unserer Gespräche war der Indeterminismus. Ich versuchte ihn zu überreden, seinen Determinismus aufzugeben, der auf die Ansicht hinauslief, die Welt sei ein vierdimensionales, parmenideisches, abgeschlossenes System, in dem Veränderung nichts anderes sein konnte – oder beinahe nichts anderes – als eine menschliche Illusion. (Er gab zu, dass das seine Ansicht war; und in unserer Diskussion nannte ich ihn „Parmenides“.)
 
Popper über Einstein, Ausgangspunkte (dt. 1979)
 
Metaphysik als Wegbereiter der Wissenschaft
 
Ein kleiner Kommentar zum Verhältnis Poppers zu Parmenides sei an dieser Stelle vorab eingestreut, wir kommen später zu den Abhängigkeiten des Parmenides in Bezug auf die einheitlichen Feldtheorien näher zurück.
 
Popper befasste sich von Jugend an bis ins hohe Alter gern mit dem Lehrgedicht von Parmenides. Die metaphysischen Spekulationen der ersten Griechen sieht er als wichtige Wegbereiter der physikalischen Wissenschaften, er zeigt sich nicht als strikter Kritiker von Metaphysik, sofern die Spekulationen kritisierbar sind und prinzipiell an der Erfahrung scheitern können. Popper sieht bei den Vorsokratikern eine Tradition, in welcher Kritik gewünscht war und sich die Philosophen wie Xenophanes bewusst gewesen seien, nur zielführende Thesen zu formulieren, nicht sicheres Wissen vor sich zu haben. Bei den ionischen Vorsokratikern sieht Popper ein konstruktives Schüler-Lehrer-Verhältnis, ein kritisches Arbeiten an einer gemeinsamen Sache, während die übliche Einführung in die Philosophie das Verhältnis der Philosophen eher als Abwertung der jeweiligen Vorgänger vermittelt. Ein Aufsatz von Popper ist betitelt mit „Zurück zu den Vorsokratikern“, dieser Aufsatz war eine weitere Inspiration zu diesem Artikel.
 
Popper nennt im Übrigen Aristoteles als denjenigen, welcher durch seine Forderung nach sicherem Wissen der Philosophie geschadet habe. Und lobt wider Erwarten Platon, weil er erkenntnistheoretischer Skeptiker gewesen sei.
 

Gibt es im Inneren des Atoms eine objektive Realität?

Zurück zu den „Ausgangspunkten“. Zusammen mit Einstein und Schrödinger verfasste Popper in den 50-er Jahren einige bemerkenswerte Abhandlungen, in welchen er sich als Wissenschaftstheoretiker vehement gegen die Quantentheorie von Heisenberg und Bohr aussprach, oder genauer, gegen die philosophische Sicht dieser beiden und deren Gruppe auf das Wesen der Wirklichkeit. 1967 wurden diese Abhandlungen in ein Buch zusammengefasst: „Die Quantentheorie und das Schisma der Physik“. Das verfasste Vorwort fällt lang aus, so sehr sieht er noch 1967 und in der späteren Auflage 1982 eine Gefahr im Abwenden von einer objektiven Realität.

 
Es war Heisenberg, der eine ganze Physikergeneration dazu brachte, die absurde Ansicht zu übernehmen, dass man von der Quantenmechanik lernen könne: »die Vorstellung von der objektiven Realität hat sich verflüchtigt«.
 
Popper 1967, Die Quantentheorie und das Schisma der Physik
 
Die Lage ist sehr ernst. Die verbreitete anti-rationalistische Atmosphäre, die in unserer Zeit bedrohliche Formen angenommen hat, und die zu bekämpfen die Pflicht eines jeden Denkers ist, der um die Traditionen unserer Zivilisation besorgt ist, hat zu einer sehr ernsten Verschlechterung des Standards der wissenschaftlichen Diskussion geführt. Das alles hängt mit den Schwierigkeiten der Theorie zusammen oder noch nicht einmal so sehr mit den Schwierigkeiten der Theorie selbst, als mit den Schwierigkeiten der neuen Techniken, die die Theorie zu überwuchern drohen. Es begann mit brillanten jungen Physikern, die stolz und meisterlich sich viel auf ihre neuen Werkzeuge zugute hielten und auf uns Amateure herabsahen, die wir kämpfen mussten, ihr Tun und Sagen zu verstehen. Bedrohlich wurde das, als diese Haltung dann zum professionellen Usus erstarrte.
Allerdings haben die größten unter den zeitgenössischen Physikern diese Attitüde nie angenommen. Das gilt für Einstein und Schrödinger ebenso wie für Bohr. Sie haben sich niemals in ihrem Formalismus gesonnt, sondern blieben immer Suchende, die sich der Größe ihres Unwissens nur zu bewusst waren.
Warum hat man Schrödinger nur mit Argumenten abgespeist, die niemand auch nur eine Sekunde lang ernstnehmen kann? Ich glaube, der Grund ist, dass seine distinguierten Kritiker die Auseinandersetzung einfach nicht mehr ernstnehmen. Hätte Schrödinger sie nochmals mit einem neuen Formalismus überrascht, so würden sie ihm wiederum sehr aufmerksam zugehört haben. Aber bloße Worte interessieren unsere Spezialisten nicht mehr, nicht einmal, wenn sie von jemandem kommen, der mindestens ebensoviel wie jeder andere auf ihrem Gebiet geleistet hat. Und wenn schon ein großer Physiker wie Schrödinger in dieser Weise behandelt wird — und Einstein hat man genau so übel mitgespielt —, was kann dann ein bloßer Amateur wie ich erwarten, wenn er es wagt, eine andere Ansicht zu haben als die Professionellen?
 
Popper 1982, Die Quantentheorie und das Schisma der Physik

 

Wichtig ist, dass es im Zentrum der physikalischen Überlegungen darum geht, die Spektrallinien von Elementen auf Basis der Anzahl der Elektronen zu berechnen. Es handelt sich dabei um die Emission von sehr bestimmten Frequenzen elektromagnetischer Wellen. Das Rätsel: Wie muss das Spiel der Elektronen um den Kern beschaffen sein, um genau diese Frequenzen emittieren zu lassen, keine anderen! Sehen kann man das Spiel nicht, man kann es nur aus Messungen erschließen. Beim Wasserstoff beginne man, es hat den einfachsten Aufbau, offenbar ein einzelnes Elektron. Dieses eine Elektron soll also in der Lage sein, ganz bestimmte Frequenzen zu emittieren. (Balmer fand dabei eine erstaunliche Abhängigkeit zu quadratischen Faktoren einer ganzzahligen Zahlenreihe heraus, aber das sei hier nur am Rande erwähnt.) Bohrs Ansatz: Die Frequenz kann über eine Energiedifferenz erzeugt werden, welche das eine Elektron haben könnte, wenn es sich in bestimmten Abständen um den Kern aufhalten würde. Ein Wechsel zwischen definierten Abständen gibt Energie frei. In Form von Strahlungsenergie verlässt die Differenz der Energie das Atom. Eine solche Energiemenge muss natürlich jeweils zugeführt werden, um den Abstand wieder zu erhöhen.

Um genau bestimmte Abstände vom Atomkern zu erzwingen (faktisch könnten ja auch andere Abstände möglich sein), griff Bohr auf das Prinzip von Planck zurück, dass es offensichtlich in der Natur des Lichtes eh nicht kontinuierlich zugehe, sondern nur quantisiert: Der Energieaustausch mittels elektromagnetischer Wellen muss immer in einem Vielfachen einer sehr kleinen Zahl stattfinden, so die Erkenntnisse nach Planck.

Doch was beim Wasserstoff und beim Helium noch ganz gut mit Kreisbahnen berechenbar war, fand schon bald seine Grenzen, wenn zu Spektrallinien größerer Atome mit mehr Elektronen vorangeschritten wurde. Es folgten Ansätze mit Ellipsen (Sommerfeld). Und wieder etwas später wurde klar, dass auch das nicht die gewünschten Erfolge brachte, alle Spektrallinien auf der Basis „Bahnen um den Kern“ mathematisch korrekt vorauszusagen.

Weiterhin waren Phänomene bekannt, welche einer einfache Lösung im Wege standen, hier werden nur zwei genannt: Die Spektrallinien erfahren eine Aufspaltung und Verschiebung in einem magnetischen Feld (Pieter Zeeman, 1896) und analog auch in einem elektrischen Feld (Johannes Stark, 1913).

Letztendlich wurden die besten Ergebnisse zu den Energiedifferenzen erzielt, wenn man eine besondere Wellengleichung benützt, die Wellengleichung Schrödingers, bekannt durch den Buchstaben Psi (Ψ).

 
Die Vorzüge von Schrödingers Wellenfunktion
 

Aber Schrödinger nahm die Wellennatur als Schwingung eines Mediums ernst. Während Bohr noch den unerklärlichen Zwang benötigte, einem Elektron nur bestimmte Abstände zum Atomkern zu erlauben, spekulierte Schrödinger, eine quasi natürliche Erklärung darin zu sehen, dass die gesuchte Energiedifferenz aus der Geschlossenheit von einer (anschaulich zunächst dreidimensionalen) räumlich ausgedehnten stehenden Wellen ergeben könnte, ähnlich dem Schwingen einer eingespannten Saite einer Geige. Als stehende Welle kann es keine beliebigen Ausprägungen geben. Stehende Wellen haben die seltsame Ganzzahligkeit natürlich im Bauch, nur so funktionieren stehende Wellen. Es kann keine halben oder sonstigen Bruchteile geben! Die Frequenz dieser stehenden Wellen mache gleichzeitig die enthaltene Energie dieses schwingenden Systems aus, analog zu den Frequenzen von elektromagnetischen Wellen.

Ich lese Ihre Abhandlung wie ein neugieriges Kind die Auflösung eines Rätsels, mit dem es sich lange geplagt hat, voller Spannung anhört, und freue mich an den Schönheiten, die sich dem Auge enthüllen […].
 
Planck an Schrödinger, 1926
 
Bei mehreren Elektronen können sich die stehenden Wellen auch problemlos überlagern, was insbesondere auch in einem weiteren Schritt wichtig wird, wenn man sich Molekülen wie dem Verbund zweier Wasserstoff-Atome zuwendet.
 
Schrödingers erste Berechnungen zeigten ihm: Beim Wasserstoff erhält man Lösungen, welche jeweils ein Raumgebiet ausfüllen, das in etwa je den Abständen entsprach, welche Bohr benötigt hatte.
 
Auf die Idee brachte Schrödinger die Doktorarbeit von de Broglie, welcher es wagte, jeder Masse – voran der Masse von Elektronen – eine Wellennatur zu prophezeien. De Broglie gewann diese geniale Spekulation aus der Gleichstellung zweier bekannter Formeln, welche beide von Energie sprechen. Einsteins Energie in Abhängigkeit zur Masse und Plancks Energie in Abhängigkeit zur Frequenz der elektromagnetischen Welle. Wenn man das nun zusammenbringt, dann müsse jede Masse auch eine Frequenz haben, spekulierte de Broglie so genial.
 
De Broglie fühlte sich erinnert an den Welle-Teilchen-Dualismus von Einstein, welcher die klassische Wellennatur des Lichts abschwächte, um vom Licht die Wirkung ausgehen lassen zu können, welche sonst nur typisch für Teilchen wären. Einstein spekulierte, dass Licht in kleinen Paketen unterwegs ist, später Photonen genannt.
 
Heisenberg, Positivismus und Wahrscheinlichkeiten
 
Wir hatten zu den Wellengleichungen Schrödingers einen (Quanten-)Sprung gemacht und dabei weitere Theorien von Heisenberg und Bohr noch unerwähnt gelassen. Heisenberg hatte vor Schrödinger einen mathematischen Weg gefunden, über ein großes Gleichungssystem bekannte Zielwerte (die Frequenzen der Spektrallinien) mit der Anzahl der Elektronen (und zwei weiteren Messgrößen) in einen Zusammenhang zu bringen. Wolfgang Pauli hatte ihn animiert, sich nur auf die Messwerte zu konzentrieren, sich von möglichen Bahnen gedanklich zu distanzieren. Eine Idee, welche auch die philosophische Lehre des Positivismus‘ auszeichnet, welche hier unter anderem Metaphysik disqualifizieren will als pure Spekulation über Strukturen von unsichtbaren Dingen. Bohr wird später positivistisch argumentieren und die Position Heisenbergs in dieser Kategorie denken.
 

Heisenberg sah, wie die anschauliche Materiewelle seinen erst frischen Erfolg mit der Abkehr von der Anschaulichkeit zunichte machen konnte und forderte alle Freunde auf, sich nicht mit den neuen Wellengleichungen zu beschäftigen. Leider schienen die Wellengleichungen leichter als seine Gleichungssysteme lösbar zu sein, einige Freunde hielten sich somit nicht an sein Verbot. Zuletzt war es Schrödinger, welcher sogar zeigen konnte, dass beide Rechenwege auf einer bestimmten Ebene gleichwertig sind. Schrödingers Wellengleichung legte durch das Konzept der stehenden Welle der Natur automatisch Schranken auf, welche ansonsten nur wie bei Pauli eher mit einer pythagoräischen Zahlenmystik zu erklären wären. Die stehende Welle konnte sozusagen die Absicht in der Natur besser beschreiben.

 
Aber vielleicht können wir wieder mit unserem alten Vergleich zwischen der Astronomie des Ptolemäus und der Lehre der Planetenbewegungen seit Newton weiterkommen. Vom Wahrheitskriterium des Vorausrechnens aus war die Ptolomäische Astronomie nicht schlechter als die spätere Newtonsche. Aber wenn wir heute Newton und Ptolomäus vergleichen, so haben wir doch den Eindruck, dass Newton die Bahn der Gestirne in seinen Bewegungsgleichungen umfassender und richtiger formuliert hat, dass er sozusagen die Absicht beschrieben hat, nach der die Natur konstruiert ist.
 
Heisenberg: Der Teil und das Ganze, 1969
 
Schon Schrödinger überlegte in einem Brief an Lorentz, ob mit einer Quadratur seiner Wellengleichung etwas für das Verständnis der Materiewellen gewonnen sein könnte, wenn der imaginäre Teil damit verschwindet. Heisenbergs Lehrer Max Born zog diese Karte und stellte Schrödingers Wellengleichung in den Dienst der rein statistischen Betrachtungsweise der Messwerte: Die quadrierte und absolut gesetzte Form der Wellengleichung erfüllt die Anforderungen für das Denken von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten.
 
Während der Positivismus als metaphysikfeindliche Grundhaltung eher eine agnostische Einstellung zum Ding an sich fordert, sieht man im Denken der Quantentheoretiker nach Born leider genau wieder den Schritt zum quasi anschaulichen Denken: Der gefundenen mathematischen Formelwelt wird eine Realitätseigenschaft angedichtet, die Realität der Existenz in Möglichkeiten. Eine schlechte metaphysische These, wie sie im Buche steht. Viele Philosophen, zum Teil auch Physiker, haben darauf hingewiesen, aber das Gebäude wurde mit Schrödingers Wellengleichung so sehr mathematisch erfolgreich, dass alles fein ausgeheckt zu passen schien.
 

Was ist ein Teilchen?

Der Einzelkämpfer Schrödinger zog sich sehr lang zurück, er sah, dass er mehr Argumente für die Materiewellen sammeln musste. Ähnlich verhielt sich Einstein bei seiner Suche nach einer vereinheitlichenden Feldtheorie.

Die Heisenberg-Bohr’sche Beruhigungsphilosophie — oder Religion? — ist so fein ausgeheckt, dass sie dem Gläubigen einstweilen ein sanftes Ruhekissen liefert, von dem er nicht so leicht sich aufscheuchen lässt. Also lasse man ihn liegen.
 
Einstein an Schrödinger, 1928

 

Zuletzt sprachen wir von einer Zuordnung einer stehenden Welle zu einem Elektron, ähnlich der Zuordnung einer Kreisbahn im Bohr’schen Atommodell. Die stehende Welle wurde nach de Broglie „Materiewelle“ genannt, die Interpretation bereitete dennoch Kopfschmerzen, was genau hier eigentlich schwingen soll. Das Elektron sollte analog zum Photon als Wellenpaket gedacht werden. De Broglie tendierte dazu, sich die gesamte stehende Welle lediglich als Führungswelle zu denken, welche den Weg eines Wellenpaketes lenkt. Das Paket sei das Elektron, die Natur der Führungswelle blieb jedoch ungeklärt.

 
Eine holländische Zeitung brachte vor ein paar Monaten einen vergleichsweise intelligent klingenden Bericht, dass Du über den Zusammenhang von Gravitation und Materiewellen etwas Wichtiges herausgebracht habest. Das würde mich schrecklich interessieren, weil ich eigentlich schon lange glaube, dass die Ψ-Wellen mit Wellen der Störung des Gravitationspotentials zu identifizieren sind.
 
Schrödinger an Einstein, 1939
 
Schrödinger dachte sich die Führung der Welle konkreter, analog zur Allgemeinen Relativitätstheorie haben wir es mit einem schwingenden Tensor zu tun, welcher den Elektronen zuzuordnen sei. Bis zum Ende seines Lebens widmete er sich im Rahmen einer einheitlichen Feldtheorie dem Gedanken, das elektromagnetische Feld sei ein abhängiger Tensor zum Tensor der Gravitation.
 
Mit Tensoren rechnet man, wenn man beispielsweise Dichte-Unterschiede oder Intensitäten (in einem Feld) behandeln will. Da wir den Raum selbst immer dreidimensional wahrnehmen, eine Quetschung im Raum nicht sichtbar wird, wurde in der Relativitätstheorie erkannt, dass wir die Dichte des Raums indirekt mitbekommen: Ein Lichtsignal benötigt zum Durchqueren eines verdichteten Raumgebiets mehr Zeit. So konnte die Dreidimensionalität unserer Anschauung erhalten bleiben, die eigentliche vierte Dichte- oder Intensitäts-Dimension wird durch die Anschaulichkeit der Zeitmessung ersetzt. (Zumindest schlägt der Autor vor, die Längenkontraktion und Zeitdilatation in dieser Weise zu denken.)
 

Das Denken der Atome in Tensoren kam schon früh nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie auf. Das Teilchen wird ersetzt durch ein Feld-Extremum, welches sich wie ein Teilchen verhält, indem sich diese Konzentrationen im Feld bewegen. Einstein selbst sah die Lösung darin, bei Maxwell und dem elektromagnetischen Feld zu starten. Masse käme sozusagen dann zum Vorschein, wenn sich die Energie aus dem elektromagnetischen Feld in Masse wandeln ließe, „Kondensieren“ fällt als Schlagwort. Diese Masse wiederum wirkt sich dann auf die „Raumzeit“ aus und bringt die Phänomene der Raumzeit-Krümmung hervor, was mit Gravitation zu identifizieren ist. Ein weiterer Ausgangspunkt, welcher ausprobiert wurde, war, das Gravitationsfeld an den Anfang zu stellen und Massen als lokale Feld-Intensitäten zu betrachten.

Du betonst nun ganz richtig, dass die vollständige Beschreibung nicht auf den Begriff der Beschleunigung aufgebaut werden kann und — wie mir scheint — ebensowenig auf den Teilchenbegriff. Es bleibt also von unserem Handwerkzeug nur der Feldbegriff übrig; aber der Teufel weiß, ob dieser standhalten wird. Ich denke, es lohnt sich, an diesem, d. h. am Kontinuum festzuhalten, solang man keine wirklich stichhaltigen Gründe dagegen hat.
 
Einstein an Schrödinger, 1950
 
Nun fiel zusammen mit dem einleitenden Zitat erneut das Stichwort „Kontinuum“. Das Denken in Feld-Extrema, welche sich wie Atome durch das Feld bewegen, impliziert, dass das Feld selbst ein Kontinuum ist. Schrödinger hatte aber die entscheidende Zutat gefunden: die Feld-Extrema schwingen. Diese Zutat fehlt bei allen anderen Denkern. Einstein sah anscheinend nie, welch große Erklärungskraft durch die Schwingungen in die Welt kommt. Allem voran die natürliche Erklärung für die Ergebnisse in Doppelspalt-Experimenten, sowohl bei Licht als auch bei Elektronen. (Bis zu den Schwingungen des Kerns musste man lediglich noch Geduld üben, immerhin war die Materiewelle noch nicht einmal auf Ebene der Elektronen im sicheren Sattel. Aber angelegt war auch diese Stufe schon durch das Rezept von de Broglie.)
 
Die Vernunft als Maßstab
 
Die entscheidende Frage mag für den Leser an dieser Stelle sein: Wie vernünftig soll bitte ein teilchenloses Wesen der Wirklichkeit sein? Ist das nicht auch der Punkt, an dem Schrödinger und die anderen damals scheitern mussten, weil eine teilchenlose Welt noch weniger vernünftig sei, als eine Welt mit Teilchen, welche vorübergehend aus der Existenz geworfen sind? Immerhin aber zurück in die Existenz kommen, wenn eine Messung ansteht? (Im Konzept der Dekohärenz passiere dies durch die Wechselwirkung mit Nachbarteilchen einfach faktisch immer, das Nachbarteilchen messe sozusagen, die Nichtexistenz sei auf ein Minimum reduziert.)
 
Bei der Frage nach der Vernünftigkeit kommen wir also endlich auf Parmenides zu sprechen.
 
Ein Philosoph fühlt sich beim Stichwort „Kontinuum“ sofort erinnert an das Reden vom „Sein“ oder bei anderen Personen der Philosophiegeschichte an das „Eine“. Ein Denken, bei dem der Nichtphilosoph eine ähnliche Abneigung verspüren mag wie beim Thema teilchenloser Gravitations-Tensor: Was soll an dem Reden von „Einen“ überhaupt sinnvoll sein, wenn doch seit zwei Jahrtausenden „bewiesen“ sei, dass die Welt aus irgendwelchen Unteilbaren und dem Nichts aufgebaut ist. Das Unteilbare darf im Zweifelsfall sogar heute ein Punkt, eine Linie („String“) oder eine Membran sein, aber da muss dann noch etwas darum herum sein, in dem es sich ungehindert bewegen kann, etwas, das nicht materiell ist, also ein faktisches Nichts. Konnte jemals jemand vernünftig anders denken? Wenn ja, welchen Irrweg beschritt ein solcher Denker? Und muss uns das dann überhaupt interessieren, oder kann eine solche Idee als Fundstück aus dem Gruselkabinett wissenschaftlicher Kuriositäten abgetan werden?
 
Der Autor findet es im höchsten Grade sprechend für die Vernünftigkeit des Denkens des Kontinuums in Form einer einheitlichen Feldtheorie, dass mit etwas gutem Willen eine ganze Denk-Tradition sich genau diesem Konzept schon seit der griechischen Antike verschrieben hat.
 
Schon die alten Griechen sprachen vom Kontinuum
 
Beginnen wir vorerst doch nicht bei Parmenides, sondern schicken Aristoteles voraus: Seine Substanz war ein Kontinuum. Zenon als Schüler des Parmenides überzeugte ihn, dass es keine Lücke geben dürfe. Tatsächlich lässt sich mathematisch aus keiner Addition von Punkten eine Linie bilden. Punkte sind keine Lösung. Ebenso bei der Zeit: Eine Aneinanderreihung von Jetzt-Momenten bildet keine Zeit-Strecke. Vielleicht spielte auch ein spezielles mathematisches Problem eine Rolle: Schon die Diagonale eines Quadrats mit der gesetzten Kantenlänge 1 bildet keine Zahl, welche jemals eine genaue Bestimmung erhalten kann: Wurzel zwei. Das wusste man schon damals.
 
Fakt ist, dass Aristoteles die Substanz als kontinuierliche Substanz denkt, überall gleich. Dennoch potent, alles werden zu können. Was es wird, das bestimmt eine Form, eine gewisse Ausgrenzung in der ansonsten überall gleichen Substanz.
 
Ein solches Denken können wir umstandslos auch Parmenides zuschreiben, auch wenn er das Wort Potenz nicht gebraucht. Aber er denkt ebenfalls schon ein Kontinuum: „Seiendes grenzt an Seiendes“. Eine Lücke darf es nicht geben. Popper nennt es ein „Blockuniversum“. Dieses „Seiende“ ist jeweils eine bestimmte Erscheinungsform, diesmal nur nicht gebunden an eine explizite Art, wie dieses Erscheinen realisiert ist. Parmenides wollte ggf. erst einmal die Seltsamkeit ins Bewusstsein bringen, was es überhaupt bedeutet, sich einen einzigen Urgrund der Materie zu denken, weil dann insbesondere Bewegung ein Problem macht. Den Urgrund der Materie nannte er „Sein“. Über diesen Grund wissen wir erst einmal erstaunlich wenig, er könnte aber wie etwas früher bei Anaximenes als luftige, ätherisch aufgelöste Substanz gedacht werden. Aber genau darauf will Parmenides als Nachfolger nach Anaximenes hinaus: Es könnte eben doch noch viel weniger als Luft sein. Eigentlich würden wir über den Urgrund der Materie nur sagen können: Er IST, und er ist überall, er vergeht nicht und entsteht nicht.
 
Viel weniger als Luft wollte schon der Lehrer des Anaximenes ins Spiel bringen, er nannte es das „Apeiron“. Das Apeiron des Anaximander ist fast schon so eigenschaftslos wie das Sein des Parmenides. Anaximenes machte sozusagen nur ein Zugeständnis, nach der völligen Abstraktion aller Eigenschaften wieder ein Medium ins Spiel zu bringen, welches unseren Erfahrungen zugänglich ist und dennoch die wesentlichen Anforderungen des Apeiron besitzt.
 
Im Lateinischen hätte man im Übrigen eine passende Analogie zur Wortschöpfung „Apeiron“, aber diese wird nach dem Wissen des Autors niemals ins Feld geführt: Das Wort „Infinitiv“ entspricht dem Wort „Apeiron“, beide Worte spielen mit der Unbestimmtheit im Sinne von „nicht in Grenzen sein“. Ein „finites Verb“ ist eine bestimmte Ausprägung des Infinitivs, es hat eine gewisse Begrenzung erhalten. Der Infinitiv selbst sei nur rein abstrakt, erst ein finites Verb sei von reeller Bedeutung und könne einem Subjekt zugeordnet werden. Heidegger umschreibt so den Sinn vom Wort „Sein“ bei Parmenides. Aber auch er sah nicht, dass hier 1:1 die Argumentation zu Anaximanders seltsamen „Apeiron“ passt.
 
Wenn hier also argumentiert wird, Parmenides habe ein Kontinuum gedacht – „Seiendes grenz an Seiendes“ –, dann sei dieser Gedanke nun auch für Anaximander statthaft.
 

Auch wenn es wissenschaftlich keine Überzeugungskraft hat, aber dem Autor bietet es einen guten Hinweis auf die Richtigkeit der These, dass im deutschen Wikipedia das Wort „Kontinuität“ ebenfalls mit dem Fehlen einer Grenze beschrieben wird.

Die Kontinuität (von lat. continuitas, „gleichbedeutend“) bezeichnet einen lückenlosen Zusammenhang, eine Stetigkeit, einen fließenden Übergang, einen durch keine Grenze unterbrochenen Zusammenhang; einen ununterbrochenen, gleichmäßigen Fortgang. […] Er schließt auch aus, dass etwas ins Nichts verschwindet oder aus dem Nichts entsteht […].
 
Wikipedia, Artikel „Kontinuität (Philosophie)“
 
Der frühgriechische Fachbegriff „Apeiron“ darf aus der Sicht des Autors also darauf hinweisen, dass Anaximander ganz wie Aristoteles schon ein Kontinuum als Substanz oder Urgund der Materie ins Spiel brachte.
 
Eine besondere Lösung für das Problem des Kontinuums brachte jener Anaximenes mit der Luft ins Spiel, wir hatten es bisher nur gestreift: Wenn ich einen einzigen Urgrund habe, wie könne dann dasjenige in Erscheinung treten, was wir doch offensichtlich als Unterschiede in der Welt wahrnehmen? Sein Lösungsansatz: Irgendwie muss es von diesem „Apeiron“ an manchen Stellen mehr, an anderen Stellen weniger geben! Er findet ein anschauliches Beispiel: Kann es die Luft als kontinuierliches Medium nicht auch mal dichter (bzw. „verfilzter“) und mal gehaucht dünner geben?
 
Dichteschwankungen des Kontinuums
 
Man höre und staune! Mehr als zweitausend Jahre später verfallen erst Mathematiker, dann Physiker wie Schrödinger auf die Idee: Wenn der Raum eine vierte Dichte-Dimension haben darf, dann schaffen wir es auch, auf der Basis dieser faktischen physikalischen Raum-Eigenschaft, Differenzierungen in Form von Feld-Extrema die Rolle von Atomen einnehmen zu lassen!
 
Um den modernen, relativistischen Gedanken noch einzuflechten: Der „mittlere“ Zustand des Apeirons (oder der „ausgeglichene“ Zustand der Luft) kann flexibel definierbar gedacht werden. Analog dem Gedanken von Inertialsystemen ist immer da die Mitte, wo man den Ruhezustand gegenüber anderen Objekten festlegt. Eine objektive „Mitte“ müsse in diesem Weltbild vermieden werden und kommt immer dann zum Tragen, wenn Bewegungen gegenüber anderen Objekten zu berücksichtigen sind. – Die ungeschriebene Lehre Platons mit dem Stichwort „unbestimmte Zweiheit“ und „das Groß-Kleine“ wird auch in den Zusammenhang gestellt, dass ein Proportionalitätsprinzip in den Mittelpunkt gerückt wird, die Einsicht, dass physikalisch etwas nur in Bezug auf ein anderes eine sinnvolle Eigenschaft erhalte.
 
Dieser Blick auf die Philosophiegeschichte hätte einen Makel, wenn der Autor nicht auch Thales in diese Reihe einzureihen beabsichtigte. Auch hier wagt er eine besondere Wendung hin zum Denken des Kontinuums: Thales könnte die Kugel lediglich ins Rollen gebracht haben, indem er Anaximander auf ein besonderes Rätsel hinwies: In einem Ei kommt keine Substanz hinzu, nichts verschwindet. Am Ende ist aus der wässrigen Flüssigkeit im Ei ein Küken mit so festen Elementen wie Schnabel und Knochen geworden! Sogar ein atmendes, lebendiges Wesen! Um ein Wort von Aristoteles zu gebrauchen: Im Wasser liegt offensichtlich eine Potenz, (fast) alles werden zu können!
 
Anaximander nahm dann die Herausforderung des Rätsels an und übertrug es auf die unbelebte Natur, entfernte die Substanz Wasser, ließ einen unbestimmten Urgrund der Materie bestehen. Und ihm war (intuitiv) klar, dass Seiendes an Seiendes grenzen müsse, Lücken waren auch im Ei bzw. der Flüssigkeit nicht sichtbar. Vielmehr muss das, was da am Anfang allen Werdens steht, die Potenz haben, von einer Erscheinungsform in eine andere Erscheinungsform übertreten zu können. Keine Ausprägung sei ewig, ein gerechtes Prinzip erzwinge irgendwann in der Zeit eine Rückkehr zum Anfang, um dann auch eine gegenläufige Eigenschaft zum Recht kommen zu lassen (er dachte in Kategorien wie feucht und trocken, heiß und kalt, also verschiedene Ausprägungen von Gegensätzen).
 
Nach dem Vorschlag von Anaximenes wurde spätestens für den mitdenkenden Philosophen sichtbar, dass dieser Weg ungemein seltsame Herausforderungen an das Denken mit sich brachte. Nicht nur der Wechsel der gegenläufigen Ausprägungen war zu denken (im Bild vom Ei: heute noch Schnabel, irgendwann kehrt es in einen Urzustand zurück, wandelt sich dann vielleicht in Fleisch oder Blut), mit der Umdeutung des Anaximenes wurde klar, dass diese Umwandlungen sich in einem Medium vollziehen, das durch seine Eigenschaft, überall zu sein, faktisch an Bewegung gehindert ist. Was sich bewegt, das wären eher solche Verdichtungen. Oder eben nur (wie auch immer manifestierte) Merkmale verschieben sich, wenn man dem Konzept der Verdichtung nicht recht über den Weg traut. (Wie beim Aufkommen der Allgemeinen Relativitätstheorie niemand so recht dem Gedanken traute, der Raum selbst habe eine physikalische Eigenschaft, gekrümmt sein zu können.)
 
„Seiendes und Denken sind eins.“
 
Der Autor mag in Parmenides wiederum denjenigen erblicken, welcher darüber hinaus schon früh die Deutung verteidigte, dass weniger eine wie auch immer gelagerte Formgebung im Sein ausschlaggebend ist, sondern vielmehr der menschliche Geist den Dingen erst eine besondere Existenzform als „Seiendes“ verleiht. Eine illusorische Existenzform, weil das Sein ungebrochen Sein bleibt. Der passende Satz dazu ist bei Parmenides: „Seiendes und Denken sind eins.“ (Überliefert ist „Sein und Denken sind eins“, Philosophiehistoriker schließen die Richtigkeit der vom Autor benutzten Kombination aber nicht aus.)
 
Wir können hier zu dieser Illusion eine Analogie in der filmischen Animation einer Figur finden: „La Linea“ von Osvaldo Cavandoli. Die Linie bleibt Linie. Für uns Menschen wird aber eine Gestalt sichtbar, welcher wir illusorisch eine Permanenz zusprechen. Die Permanenz einer Form erhebt ein „Seiendes“ zur Existenz.
 
Ein weiteres Bild, welches beim Denken dieser Wirklichkeit hilft, wäre der Vergleich mit dem Betrachten eines Wasserstrudels von oben. (Hier wäre auch der Aspekt der Verdichtung enthalten, denn mit einem Trichter wird auch die Raumkrümmung in der Allgemeinen Relativitätstheorie anschaulich gemacht.) Das Denken an Atome entspräche also dem Blick auf einen Wasserstrudel, dieser Strudel von oben betrachtet hat die Permanenz einer Kreisform. Der Kreis bewege sich nun hin und her. Der Physiker, welcher die Natur des Strudels noch nicht durchschaut – vielleicht den Strudel nur durch ein Milchglas betrachten kann –, würde nun von einem Objekt mit einer gewissen Größe sprechen können, es hat für ihn einen Teilchencharakter. Es könnten nun auch zwei solche Strudel zu beobachten sein. Der Physiker würde dann beispielsweise ein Umkreisen der Strudel sehen. Seine Erklärung: Da sind zwei Teilchen, eine Anziehungskraft bindet die beiden zusammen. Tatsächlich wäre die Wahrheit ganz anders: das Loch des Strudels ist keine eigene Entität, das Loch ist nur die Illusion von etwas Ausgegrenztem. Tatsächlich handelt es sich aber nur um zwei Formen in einem einheitlichen Medium. Das Umkreisen schuldet es dem Umstand, dass beide Strudel Teil des gleichen Wasservorrats sind, was der eine Strudel für sich beansprucht, das muss sich unweigerlich auf den Nachbarstrudel auswirken.
 
In dieser seltsamen Welt bewegen wir uns also physikalisch, wenn wir uns auf den Weg von Schrödinger, Einstein, Weyl und Mie begeben. Einige andere Physiker und Mathematiker wären auch aufzulisten. Anhänger des Äthers und sogenannte Monisten waren dem Denken ebenfalls sehr nahe.
 
Die mögliche Realität des unsichtbaren Objekts
 

Wenden wir uns abschließend noch einmal dem Problem der Realität von Teilchen als Existenz in Möglichkeiten zu, wie sie der Quantentheorie immanent eigen ist und auch hinter der Dekohärenztheorie noch Wahrheit beansprucht.

 
Mir kommt vor, dass mit dem Begriff „Wahrscheinlichkeit“ heute vielfach Schindluder getrieben wird. Wahrscheinlichkeit hat doch zum Inhalt eine Äußerung darüber, ob etwas ist oder nicht ist, allerdings eine zweifelnde Äußerung. Die hat aber doch auch bloß Sinn, wenn man allerdings überzeugt ist, dass das betreffende Etwas ganz sicher entweder ist oder nicht ist. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage setzt volle Realität ihres Gegenstandes voraus.
 
Schrödinger an Einstein, 1950
 
 
Lieber Schrödinger!
Du bist (neben Laue) unter den zeitgenössischen Physikern der Einzige, der sieht, dass man um die Setzung der Wirklichkeit nicht herumkommen kann — wenn man nur ehrlich ist. Die meisten sehen gar nicht, was sie für ein gewagtes Spiel mit der Wirklichkeit treiben — Wirklichkeit als etwas von dem Konstatierten Unabhängiges.
 
Einstein an Schrödinger, 1950
 
Nehmen wir den Würfel von Einstein. Dieser Würfel sei wie die Feinstruktur des Atoms unsichtbar. Und zwar prinzipiell unsichtbar, im Sinne von Heisenberg beispielsweise, indem es kein Licht geben könne, mit dem wir das Objekt betrachten können. Heisenberg und Bohr nahmen in dieser Situation den Faden eines positivistischen Ansatzes auf, die Würfel-Gestalt als metaphysische Spekulation erst einmal nicht weiter denken zu dürfen (man kann den Würfel schließlich gar nicht sehen). Stattdessen könne man sich nun zurückziehen und nur noch Aussagen über das Objekt machen, welche mit Messergebnissen ganz nüchtern beschrieben werden können: Das unsichtbare Objekt liefert Messgrößen von 1 bis 6, alle (diskreten) Werte bei vielen Messungen gleichverteilt. Das Verhalten der Elektronen ist komplizierter als der nüchterne Würfel, aber man kann das Problem analog betrachten. Daher sehe man sich beim Würfel noch gezwungen, das Ganze mit einer umfangreicheren Statistik zu versehen, die sechs Werte seien nur die wahrscheinlichsten Werte, das unsichtbare Objekt könne aber auch Zwischenwerte haben, welche nur sehr unwahrscheinlich seien. Und somit sei mit einer ganz, ganz geringen Wahrscheinlichkeit auch sinnvoll anzunehmen, dass es irgendwann einmal eine 7 zu messen gäbe.
 
Schrödinger und Einstein wiederum – vermutlich auch Popper, welcher in wesentlicher Abgrenzung zum Wiener Kreis kein Feind von Metaphysik war -, sehen die Gefahr in dieser Metaphysikfeindlichkeit, sich einer möglichen Wahrheit der Realität des unsichtbaren Objekts unnötig zu verschließen. Denn alles spricht dafür, dass es sich um einen Würfel handelt! Und man gewinnt damit eine Menge! Erstens können wir die Zahl 7 als Störfaktor ausschließen, weil diese Zahl nur der Statistik geschuldet war. Zweitens kann man nun viel eleganter über weitere Eigenschaften des unsichtbaren Objekts nachsinnen, wenn man mit dem realen Bild eines Würfels operieren darf! Anhand dieser Überlegungen lassen sich ganz andere, weitere Prüfungen der These eines Würfels finden und damit viel mehr Eigenschaften erforschen. – Nicht zuletzt: Es gestattet, die Lehre der Physik vom Ballast des Abringens von anti-realen Denkkonzepten zu befreien.
 

C. Thesen für eine Physik der Materiewellen

 
Der Autor riskiert ein paar Thesen aus seiner Beschäftigung mit dem Grundgedanken der Materiewellen, wohl wissend, hier nur potentiell zielführende Spekulationen zu äußern.
 
  1. Einsteins Ideen zur Gravitation fußen auf den Gedankenspielen von Poincaré und Lorentz, einem gesuchten Äther mit Stichworten wie Zeitdilatation und Längenkontraktion die notwendigen Eigenschaften zuweisen zu können, welche notwendig waren, um z. B. einen Ätherwind nicht nachweisen zu müssen. Einstein sah, dass die Prinzipien richtig waren, das Konzept Äther aber störend und in gewisser Weise auch unnötig sei, wenn man die gesuchten Eigenschaften dem Raum selbst zuerkennt. Der Raum müsse nur zusätzlich eine weitere Eigenschaft tragen, nämlich im Sinne der metrischen Tensor-Mathematik eine weitere Eigenschaft wie eine Intensität oder Dichte.
    • Traditionell wird das Verformen in der vierten Dimension als Auswirkung von anwesenden Massen interpretiert. Masse wird mit der Energie-Formel E = m * c² gedacht als eine Art Aggregatzustand von Energie. Energie wird hier ähnlich wie bei Ostwald als Substanz gedacht. Hier setzen Einstein, Gustav Mie und Hermann Weyl an, Masse aus der elektromagnetischen Energie entstehen zu lassen. Damit wären auch gleich beide wesentlichen Felder, das elektromagnetische Feld und das Gravitationsfeld, in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht.
      • Ostwald wollte philosophisch auch die res cogitans nach Descartes als Energieform mit einbeziehen, auch Schrödinger verfällt diesem Gedanken in Geist und Materie, weil er nach Wegen sucht, wie Gedanken in Taten umgesetzt werden können. Ähnlich auch Popper in Das Ich und sein Gehirn. Diesen Weg geht der Autor trotz Anhängerschaft des Kritischen Rationalismus‘ nicht mit. Mario Bunge (ein bedeutender Wissenschaftstheoretiker wie Popper) zeigte im Übrigen auf, dass Energie mitnichten philosophisch als Substanz infrage kommt.
      • Eine Schwierigkeit in jenem Denken von Energie als Substanz ist das Missverständnis, Planck habe gefordert, Energie habe eine kleinste Einheit. Damit wird ein Konzept von Diskontinuität ins Spiel gebracht, welches nun auf das Konzept Masse übertragen werden muss. Es ähnelt dann einem Arbeiten mit Lego-Bausteinen, obwohl Energie prinzipiell kontinuierlich sein sollte. Tatsächlich geht es bei Planck aber um weniger: Der Austausch von Energie mittels elektromagnetischer Wellen findet nur portionsweise statt. Hier fand Schrödinger über das Konzept der Materiewellen einen Ausweg: Das Entstehen der untersuchten elektromagnetischen Wellen hat seinen Ursprung in einer besonderen Wellennatur von Elektronen, wie eine eingespannte Saite einer Geige nur ganzzahlige Schwingungen um den Atomkern herum einnehmen zu können. Der Austausch von Energie über Licht muss immer diese Hürde nehmen. Damit erklärt sich, warum es ein sprunghaftes Spektrum von elektromagnetischen Frequenzen gibt. Das konnten Planck und die Physiker, die auf ihm aufbauten, nicht vor 1926 ahnen. Mit 1926 änderte sich alles. Planck freute sich wie ein Kind, die Aufsätze von Schrödinger zu lesen. Schrödinger wurde Nachfolger seines Lehrstuhls in Berlin.
  2. Schrödinger nimmt später Einsteins allgemeine Relativitätstheorie zum Ausgangspunkt, er denkt sich die Materiewellen als Störung des Gravitationspotentials. Er greift Ansätze auf, welche schon Eddington, Einstein und Weyl vor 1926 ein paar Jahre lang verfolgten, das Gravitationsfeld in den Mittelpunkt zu rücken. Das elektromagnetische Feld würde durch mathematische Abhängigkeiten in Form eines „affinen“ Verhältnisses von zwei Tensoren entstehen. Schrödinger hatte zusätzlich noch den Trumpf der stehenden Wellen in der Hand, ein Konzept, welches erst 1923 mit De Broglie geboren wurde.
    • Schrödinger suchte nach ähnlichen Verhältnissen wie Maxwell sie entdeckte, um Magnetismus und Elektrizität durch ein orthogonales Verhältnis zusammenwachsen zu lassen. So solle auch hier ein orthogonaler Tensor zu identifizieren sein.
    • Genau betrachtet gibt es wohl viele mögliche Lösungen, aber nur wenige Lösungen erfüllen physikalisch bedeutsame Zusammenhänge wie Invarianten. Man findet erste Erwähnungen 1943, die Idee feiert also gerade seinen 75. Geburtstag. Schrödinger hinterlässt ein Buch mit dem Titel Space-Time Structure (1950), es handelt sich um Vorlesungsmanuskripte. Er stand eine Zeit lang mit Einstein im Briefkontakt, aber jener gab ein Interview, in welchem Ideen Schrödingers negativ erwähnt wurden, daraufhin geriet man in einen Streit, man schreib sich nicht mehr und Schrödinger verlor die Lust an weiteren Forschungen in diese Richtung.
    • Mit Tensoren rechnet man auch, wenn es um Dichte-Unterschiede in Materialien geht, welche eine Spannung im Material verursachen. Mit dem Blick auf die Ideen von Anaximenes ist dies ein denkbarer, aus der Sicht des Autors durchaus rationaler Ansatzpunkt, aus einem Einen das Werden von Vielem ableiten zu können, weil die Grundsubstanz (ein unspezifisches Kontinuum, das Apeiron) ohne logische Widersprüche unverändert bleiben darf.
    • Masse: Das Konzept der Vierdimensionalität mit Dichte-Eigenschaften sei versuchsweise Grundlage für das Denken von Massen. Ein dichter Zustand (oder ein lokales Feld-Extremum) repräsentiere eine Korpuskel.
    • Atome: Der weniger dichte Raum um einen dichten Kern herum könnte auch als ausgleichender Raum gedacht werden. Der Bereich der Elektronenhülle kann also die Verdichtung neutralisieren. Eine „Überdehnung“ ist ebenso denkbar, geschaufeltes Loch und Hügel gleichen sich aus.
    • Wenn viele solcher ausgeglichenen Atome sich nah aneinander befinden, kann das Konzept der Ausgeglichenheit durchbrochen sein, die ausgleichenden Atomhüllen (Elektronenschale) vereinigen sich, das System ist weniger neutral. Zulasten der Umgebung außerhalb des Systems: Ein Planet, ein Mond und eine Sonne verformen das Gravitationsfeld, weil die Atomkerne im Verbund mit vielen anderen Atomen nicht vollständig ausgeglichen sind.
  3. Ein teilchenloses Modell ist befreit von Aussagen zu Aufenthaltswahrscheinlichkeiten oder auch von Unbestimmtheits- bzw. Unschärferelationen. Der Weg ist offen, ohne Diskontinuitäten oder Teilchen ohne Existenz vor der Messung in der Physik arbeiten zu dürfen. Ein entscheidender Befreiungsschlag.
    • Der Wechsel des „metaphysischen Paradigmas“ als Axiom wirkt wie eine harte Falsifikation für alle Theorien, welche sich nicht von der „Teilchen-Metaphysik“ lossagen. Namentlich erwähnt die QED und die QFT. Auch Strings und Membranen sind nur entstellte Teilchen.
    • Die vierte Dimension ist nach Einstein gleichgesetzt mit der Zeit. In einem dichteren Zustand des Raums sei die Zeit gedehnt. Der Autor schlägt vor, sich das Verhältnis einfacher zu denken: Die nicht wahrnehmbare Dichte-Dimension wird für uns messbar durch seine Auswirkungen auf das Licht. Das Licht benötige zum Durchqueren einer dichteren Raumregion mehr Zeit (aber hat immer Lichtgeschwindigkeit, die Dichte ist sozusagen ein zusätzliches Tal, welches durchquert werden muss). Neben dem Licht sind auch die vierdimensionalen Schwingungen von außen betrachtet verlangsamt, z. B. werden Halbwertszeiten von Atomen gedehnt.
  4. Neben der Geschlossenheit einer stehenden Welle (vierdimensional stehend schwingend, also auch in die Dichte-Dimension hinein) sei der Gedanke der Stabilität der Schwingung von weiterem Interesse, insbesondere bei Überlagerungen von mehreren stehenden Wellen. Diese Stabilität habe Ähnlichkeiten zu den Attraktoren in der Chaostheorie. Es gibt Zustände, welche sehr instabil sein können, die kleinste Störung führt zu vollkommen unberechenbaren Ergebnissen (Indeterminismus), aber es gibt auch sehr stabile Zustände, bei welchen auch größere Störungen weiterhin gleiche Ergebnisse liefern.
    • Das Standardmodell der Physik zeige die verschiedenen Arten auf, einen stabilen Zustand darzustellen. Wobei bei den Quarks das Interferenz-Konzept von Wellen schon angelegt ist und bei Gell-Mann auch am Anfang seiner Überlegungen stand.
    • Stabile Schwingungen können recht unerwartet sein. Ein gutes Beispiel können die Neutrinooszillationen sein. In aktueller Sprechweise eine seltsame Umwandlung von Neutrino-Unterarten, hier lediglich eine besondere Art von stabiler Schwingung.
    • Ein instabiler Zustand sei sichtbar bei der Kernspaltung. Hier sei die Schwingung des Atomkerns in einem gewissen Grad instabil. Typisch für das Zerbrechen eines solchen schwingenden Haufens: Er teilt sich fast in gleich große Teile.
    • Da die Elektronenhülle im Bild der Materiewelle das Raumgebiet um einen Kern darstelle, verfügt der zerfallene Kern automatisch über die passende Elektronen-Hülle, klassisch gesprochen: die passende Anzahl von Elektronen.
    • Radioaktiver Zerfall: Das Maß an Instabilität bestimmt die Halbwertszeit. Abtrennen einer „störenden“ Menge als Helium, als Elektron oder Positron.
    • In gewisser Weise passt zu diesem Spiel von Stabilität auch der Begriff der Selbstorganisation.
  5. Wechselwirkung von Licht mit Materie: Der Wechsel einer stehenden Welle (z. B. Elektronenhülle um den Atomkern) von einer Frequenz in eine höhere oder niedrigere hat einen Stoß im umgebenden Feld zur Folge (beim Rechnen mit affinen Abhängigkeiten sicherlich wesentlich komplexer zu denken). Umgekehrt kann das Treffen einer solchen Stoßwelle auf eine stehende Welle von der Art, wie die, die eine solche Stoßwelle erzeugen kann, bewirken, dass die stehende, vierdimensionale Welle um einen Atomkern die Frequenz erhöht. Der erhöhte Schwingungszustand ist instabiler als der Schwingungszustand zuvor, das System springt (Quantensprung) wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und emittiert wieder eine Stoßwelle.
  6. Elektronen: De Broglie und Lorentz dachten sich (wie der frühe Schrödinger) die Elektronen als Wellenpakete auf schwingenden Bahnen um den Kern herum kreisend (analog dem Bohr’schen Atommodell). Lorentz argumentierte jedoch, Wellenpakete tendierten dazu, sich mit der Zeit aufzulösen. De Broglie sah dies als unwiderlegbares Gegenargument und rückte von dem Konzept Materiewelle ab, um sich dem Weg Bohrs und Heisenbergs zuzuwenden. Schrödinger hingegen meinte schon in der ersten Antwort an Lorentz, man müsse nach Schwingungen suchen, welche dauerhaft ihre Form beibehalten.
    • Der Autor mag beim Licht an Solitonwellen denken, welche dauerhaft ihre Form behalten und mit Einsteins Forderung konform gehen, die Energie von Licht müsse wie eine Korpuskel unterwegs sein. Elektronen um den Kern sollen nicht wie freie Elektronen betrachtet werden, sondern den Gesamtzustand einer Elektronenhülle darstellen.
    • Stromfluss bzw. Elektronenfluss sei nur eine Art Ausgleichs-Strömung in einem Potentialgefälle, eine Vereinheitlichungstendenz solcher Felder „einen ausgeglichenen Zustand einzunehmen“. Keine Bewegung von Elektronen-Teilchen.
  7. Doppelspaltexperiment
    • Zunächst sei erwähnt, dass mit von Laues Experiment zu Interferenzen mit „echten Teilchen“ (Elektronen, nicht mehr nur Licht) hätte allen klar sein müssen, dass das Konzept Teilchen und Korpuskel nicht der richtige Weg ist. Der späte Einstein äußert dies auch in einem Brief an Schrödinger: Es gehe wohl kein Weg daran vorbei, sich gedanklich von Teilchen vollständig lösen zu müssen, nur ein Kontinuum von Feldern bliebe als realistisches Material zur physikalischen Diskussion wirklich übrig.
    • Im Doppelspaltexperiment liegt der Witz darin, dass einzelne „Teilchen“ das Gitter durchqueren und sich Interferenzmuster so ergeben, als würde das „Teilchen“ nur sich selbst als Interferenzpartner haben. Ein teilchenloses Modell ist hier weniger verwunderlich: Eine fortpflanzende Verdichtung hat eine räumliche Ausdehnung, welche z. B. der Größe des Abstandes der Gitterspalten entspricht. Zudem schwingt diese Verdichtung. Der Autor vermutet, dass die notwendige Ablenkung bereits unmittelbar am Doppelspalt vollzogen wird und die Korpuskel (schwingende Verdichtung) dann wieder den üblichen geraden Weg nimmt (vor allem nicht im Sinne Bohrs als Kollaps am Detektor-Schirm sich erst manifestiert, zuvor als Welle existiert und den ganzen Raum zwischen Doppelspalt und Schirm besiedelt).
  8. Teilchenbeschleuniger: Das Beschleunigen des „Protons“ entspricht einer weiteren Verdichtung, wir sagen, die Masse nimmt zu. Das Zusammenprallen entspricht dem Treffen zweier „Tropfen“ (oder modern gesprochen: zweier Paintball-Geschosse), wir sehen ein Zerspritzen, wobei die Spritzer „selbstorganisierend“ dazu tendieren, stabile Schwingungen einzunehmen, welche im Wesentlichen „Teilchen“ des Standardmodells entsprechen. Es manifestieren sich Teilchen als stabile Schwingungszustände.
  9. Spin: In einem Forum für Fragen der Physik wurde der Autor auf eine Spekulation aufmerksam, der Spin könne anschaulich eine Verwirbelung darstellen.
  10. Casimir-Effekt: Ursache sind keine Quantenfluktuationen (welche in der Theorie auf die faktisch falsifizierte Unbestimmtheitsrelation aufbauen), sondern die nahen Elektronenhüllen, welche dazu tendieren, einen gemeinsamen Zustand einzunehmen.
    • Klassisch gesprochen nehmen sie einen energetisch besseren Zustand ein. Im Sinne von stabilen Schwingungen „stören sich“ die nahen Elektronenhüllen, das Schwingungssystem passt sich („selbstorganisierend“) an und dabei ziehen sich die Platten räumlich an.
  11. Wenn hier schon der Gedanke im Mittelpunkt steht, Masse sei eine Art Verdichtung im vierdimensionalen Gravitationsfeld, dann stellt sich die Frage, was zu dieser Verdichtung führt.
    • Die Umkehrung dieser Fragestellung löst das Rätsel: Am Anfang stehe der verdichtete Zustand, der unverdichtete Zustand sei der spätere Zustand. Wie bei Anaximenes entspannt sich quasi die Luft, also hier der Raum. Das geschähe fortwährend. Jedes einzelne Atom löst seine Verdichtung auf (extrem langsam, vergleiche Zeitdilatation bei großer Raumkrümmung). Der Effekt: Aus einer bestimmten Perspektive entsteht neuer Raum (metaphysisch betrachtet ist es noch immer ein einziger Raum, nur in unterschiedlichen Dichte-Graden).
    • Es gab schon immer alles, nur in einem dichteren Zustand. Ohne Teilchen kein wirkliches Problem mehr. Wir haben es mit einer Art Entfaltung zu tun (der griechische Begriff physis (Natur) arbeitet im Übrigen mit diesem Bild, die ersten Bücher der Naturphilosophen waren immer so betitelt). Gewarnt sei noch einmal, das Wort Energie als Substanz-Ersatz zu missbrauchen.
    • Ein Blick in die Vergangenheit ist immer ein Blick in eine Zeit mit höherer Raumdichte, also mit stärkerer Gravitation. Wir müssen also prinzipiell mit einer Gravitations-Rotverschiebung rechnen.
    • Raum-Ausdehnung ist in diesem Gedankenspiel also kein Geheimnis, sondern im Grundkonzept angelegt. Analog zu dem Satz „Es werde Licht“ kann man zu den entstehenden unverdichteten Raumgebieten sagen: „Es werde Nichts“

***

Die Teile B. und C. dieses Beitrags erschienen zuerst auf dem Blog Akademie Olympia und erscheinen hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und Blogbetreibers Christian Bürig.
Einleitung (A.) und Zwischenüberschriften von Axel Stöcker.

***

Bild: Pixabay
Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

206 Antworten auf „Die Quantentheorie und der Kampf um die Seele der Physik

  1. Wenn diese Heisenberg’schen Zitate wirklich stimmen, dann ist das nicht später Einsicht, sondern eher Altersschwachsinn zuzuschreiben. Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass Quantenphänomene einem klassischen Teilchen- oder Wellenbild entsprechen. Und nebenbei bemerkt: Das klassische Teilchenbild ist sogar in unserer Lebenswelt nur eine grobe Annäherung.

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    1. Nein, Heisenberg in jüngeren Jahren. Daher meine Frage, in welche Richtung die spätere Wandlung geschah. Ich zitiere auch noch einmal die Passage vom Artikel, welche auch 1950 noch davon spricht, dass das H&B hier eine Welt des Unbestimmten (Teilchens) postulieren:

      Die mögliche Realität des unsichtbaren Objekts

      Wenden wir uns abschließend noch einmal dem Problem der Realität von Teilchen als Existenz in Möglichkeiten zu, wie sie der Quantentheorie immanent eigen ist und auch hinter der Dekohärenztheorie noch Wahrheit beansprucht.

      Mir kommt vor, dass mit dem Begriff „Wahrscheinlichkeit“ heute vielfach Schindluder getrieben wird. Wahrscheinlichkeit hat doch zum Inhalt eine Äußerung darüber, ob etwas ist oder nicht ist, allerdings eine zweifelnde Äußerung. Die hat aber doch auch bloß Sinn, wenn man allerdings überzeugt ist, dass das betreffende Etwas ganz sicher entweder ist oder nicht ist. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage setzt volle Realität ihres Gegenstandes voraus.

      Schrödinger an Einstein, 1950

      Lieber Schrödinger!
      Du bist (neben Laue) unter den zeitgenössischen Physikern der Einzige, der sieht, dass man um die Setzung der Wirklichkeit nicht herumkommen kann — wenn man nur ehrlich ist. Die meisten sehen gar nicht, was sie für ein gewagtes Spiel mit der Wirklichkeit treiben — Wirklichkeit als etwas von dem Konstatierten Unabhängiges.

      Einstein an Schrödinger, 1950

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  2. DUNKLES UNIVERSUM

    Am Anfang war der Urknall,
    Um uns herum der Nachhall.
    Das Weltall in Expansion
    Milliarden Jahre nun schon.

    Es sind dabei die Galaxien
    Einander rasant zu entflie’n.
    Da ist keine Wende in Sicht,
    Irgendwann geht aus das Licht.

    Dunkle Materie ist rätselhaft,
    Dunkle Energie nicht minder.
    Das Wissen ist noch lückenhaft,
    Man kommt nicht recht dahinter.

    Es braucht wohl wieder ein Genie,
    Gar eine neue Theorie.
    Den Kosmos ganz zu versteh’n,
    Wird noch etwas Zeit vergeh’n.

    TEILCHENPHYSIK

    Ewig bleibt stehn keine Mauer,
    Nichts im Weltall ist von Dauer.
    So zerfällt nach einem Weilchen
    Auch noch das kleinste Teilchen.

    Nukleonen winzig klein,
    Der größte Galaxienverein;
    Was am Himmel sehen wir,
    Der Mensch und alles Getier:
    So schön auch der Bibelbericht,
    Einen Gott brauchte es dafür nicht.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Mit freundlichen Grüßen

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  3. WIRKLICHKEIT – das Stichwort!
    …Wenn wir schon über etwas sprechen (und nachdenken), dann doch bitte über ETWAS und nicht über nichts…, würde Whitehead verschmitzt lächelnd sagen 🙂
    Im Ernst, hier liegt zumindest ein Schlüssel zu Whiteheads Prozessmetaphysik;
    werde mich weiter einlesen, danke Christian.
    Spannend, dein mutig-kluger Gedankengang,
    Gruß aus Berlin,
    Maria

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