Kein Denken ohne Fühlen? – Teil 2 – Marc Solms im Gespräch über „rohe Gefühle“ und ihr Beitrag zum Bewusstsein

„Ich fühle, also bin ich“, so haben wir kürzlich unser Gespräch mit Prof. Achim Stephan überschrieben. Nach unserem Interview mit Prof. Marc Solms von der Universität Kapstadt könnte man diesen Satz noch mit einem Wort konkretisieren: Ich fühle, also bin ich bewusst. Bewusste Erlebnisse gebe es nämlich nur dann, wenn sie über Impulse aus dem Hirnstamm, dem Sitz der Triebe und Gefühle, aktiviert würden. Das, so Solms, sei empirisch belegt:


„Es ist nicht möglich, kortikale Prozesse zu haben, die bewusst sind, wenn sie nicht vom Hirnstamm aktiviert werden und die Aktivierung des Hirnstamms ist affektiv [ein Affekt ist eine Gefühlregung, die von physiologischen Erscheinungen begleitet wird – A. S.]. Dies sind zwei unwiderlegbare Tatsachen. Das zeigt uns, dass die grundlegende Form des Bewusstseins Affekte sind, Gefühle, rohe Gefühle.“

Ein Gedanke, der auch im Lichte der Evolution Sinn ergibt, denn die vegetativen, „unbewussten“ Funktionen sind früher entstanden sind als die bewussten. Verdauen können schon Mehlwürmer, ganz ohne Großhirn und Bewusstsein und auch der Mensch erledigt diesen Vorgang in der Regel unbewusst. Bewusstsein – was immer das genau ist – tauchte erst später in der Entwicklung des Lebens auf und muss daher auf bereits Vorhandenem aufgebaut und es im Sinne der Spezies verbessert haben. Anders ausgedrückt: Bewusstsein muss ein Selektionsvorteil gewesen sein.

Worin der besteht, das ist Gretchenfrage, auf die Marc Solms im Interview ebenfalls eine spannende Antwort parat hat, die es Wert wäre, breit diskutiert zu werden. Schauen Sie hier den Trailer zum Video, das wie immer Dirk Boucsein und ich zusammen geführt haben.

Kein Denken ohne Fühlen? – Teil 1 – Achim Stephan im Gespräch

Gefühle und Gedanken, Emotion und Ratio, Rausch und Rationalität, Herz und Hirn – da gibt es so einen Dualismus, der unser Leben, ja, unsere Gesamte Kultur durchzieht. Die Griechen beschrieben diese beiden Qualitäten durch das Götterpaar Dionysos und Apollon. Dionysos stand für die Freude, den (Wein-)Rausch und die Ekstase, die immer auch das Chaos und den Wahnsinn in sich trägt, während Apollon Harmonie, sittliche Reinheit, Mäßigung, Rationalität und Ordnung symbolisierte.

Empfinden tun dies die meisten Menschen heute noch so, selbst wenn sie mit der Götterwelt der Griechen nichts mehr am Hut haben, weshalb die meisten Menschen so etwas wie „fühlende Dualisten“ sind, was uns auch Prof. John-Dylan-Haynes im Interview bestätigte. Ob dieses Gefühl aber das Abbild einer dualistischen Realität ist oder ob der Schein trügt, ist eine der ältesten und umstrittensten Fragen der Philosophie und inzwischen auch der Hirnforschung. Hängen Gefühle und Bewusstsein vielleicht viel stärker zusammen, als wir annehmen? Sind sie gar so etwas wie zwei Seiten derselben Münze?

Grund genug für Dirk Boucsein und mich auf unserem YouTube-Kanal Zoomposium zwei Experten zu diesem Thema zu befragen. Im ersten Teil sprachen wir mit Prof. Achim Stephan von der Universität Osnabrück über die Frage, wie Gefühle unser Denken beeinflussen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Philosophie des Geistes, und dort besonders die Emergenz, Emotionen und Affektivität.

Zum vollständigen Interview geht es hier.