
„Wie können wir über Dinge in der Außenwelt denken? Wie kann der Inhalt unserer Gedanken von der Welt handeln? Wie können wir überhaupt inhaltsvoll denken? Und was sind Inhalte, was sind Bedeutungen?“
Über solche und andere Fragen sprach ich zusammen mit Dirk Boucsein von philosophies mit dem Wissenschaftstheoretiker und Professor für Theoretische Philosophie Holger Lyre von der Universität Magdeburg. Prof. Lyre verfolgt den Ansatz des Strukturenrealismus, einer Denkrichtung, in der nicht die Eigenschaften der Objekte im Vordergrund stehen, sondern die Relationen zwischen ihnen und die sich daraus ergebenden Strukturen. Ein Konzept, das zunächst ungewöhnlich erscheinen mag, aber z. B. durch die Betrachtung quantenmechanischer Objekte nahegelegt wird. Die Eigenschaften eines Elektrons erschließen sich nur in der Wechselwirkung mit anderen Teilchen. Wie das Elektron „an sich“ ist, wissen wir nicht. Das weiß gerade auch Holger Lyre, der auch Physik studierte und lange mit Carl Friedrich von Weizsäcker zusammengearbeitet hat.
Inwieweit dieser Ansatz bei Fragen über die Natur des Bewusstseins weiterhilft, sehen Sie in unserm Interview. Hier der Trailer:
Sehen Sie das komplette Interview auf dem YouTube-Kanal Zoomposium.
Holger Lyre (* 1965) ist ein deutscher Wissenschaftstheoretiker und Professor für Theoretische Philosophie. Er ist Mitglied am Center for Behavioral Brain Sciences (CBBS) und war Gründungspräsident der Gesellschaft für Wissenschaftsphilosophie (GWP). An der Universität Magdeburg betreut er den in dieser Form einmaligen Studiengang „Philosophie-Neurowissenschaften-Kognition“ (PNK). Erwähnenswert ist auch seine Vorlesung zur Philosophie des Geistes, die man sich komplett auf YouTube anschauen kann (hier).
Vielen Dank an Prof. Lyre für das Interview, welches uns hier eine rege Diskussion gestattet! Vielleicht kommt vom ihm sogar auch ein Kommentar zurück, das würde mich sehr freuen, wenn ihn die Diskussion hier im Blog weiter interessiert.
Zum physikalischen Teil mag ich ein paar Gedanken beisteuern.
In Minute 28 wird erwähnt, dass der Strukturenrealismus das Dilemma behandeln könne, in welches die Elementarteilchenphysik durch die Aufgabe der Individualität gekommen ist. In der Tat ist das große „kontraintuitive“ Problem der orthodoxen Quantenmechanik, dass insbesondere auf der Ebene der Elektronen von einer konkreten Verortung irgendwo um den Kern abgeraten wird, vorgeschlagen wird eine Art statistische Verteilung um den Kern herum, ohne „tatsächlich“ vor einer Messung (Kollaps der Wellenfunktion) einen Ort zu besitzen, also auch keinen lediglich technisch nicht feststellbaren Ort.
Neben dem von dir, Axel, im Text oben betonten Abstand von Eigenschaften eines Elektrons mit Verweis auf dessen Wechselwirkungen, mag ich auf das Thema der Individualität eines Elektrons eingehen, weil ich vermute, dass dieses Problem noch mehr nach einer Lösung im Sinne eines Strukturenrealimus‘ verlangt.
Dazu ein Hinweis auf Schrödinger im Vortrag von 1952: Die physikalischen Formeln liefern falsche Ergebnisse, wenn man beispielsweise schon im Heliumatom den zwei Elektronen eine Individualität zuspricht. Erst mit dem Blickwinkel, dass die Elektronenhülle trotz der Zahl Zwei eine Einheit darstelle, stimmen die Berechnungen.
Man höre hier ab Minute 59 ein paar Minuten an.
https://youtu.be/hPyUFbKRwq0?t=2941
Schrödinger selbst würde beim Stichwort Elektron auch nicht mehr von „Wechselwirkungen der Elektronen“ reden, weil diese Sichtweise schon einem Elektron eine Individualität zusprechen würde. Damit würden wir einen Grundbaustein des Strukturenrealismus‘ anscheinend berühren, der die Theorie im ersten Moment zu gefährden scheint. Daher wäre ich an einer Einschätzung von Prof. Lyre interessiert.
Meine Einschätzung wäre, dass der Strukturenrealismus auch auf ausgedehnt schwingende Objekte anwendbar wäre, wie sie Schrödinger annimmt. Dabei mag ich auch einen Blickwinkel beifügen, den der späte Einstein in einem Buch formulierte und zu dem Gedanken einer Feldtheorie ohne Materiekörper auch von „strukturellen Gesetzen“ sprach:
Wenn mir noch weitere Gedanken einfallen, die ich beisteuern mag, dann werde ich diese als eigene Kommentare absenden, damit sich ein Kommentarzweig auf ein Thema in der Diskussion beschränken kann.
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Die Ausführungen zum Heliumatom kommen ab Minute 52:42
(Der Link im ersten Kommentar führte zur Minute 49, nicht 59, aber die Minute 49 war auch gemeint.)
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Danke Axel, Herr Prof. Lyre gab uns nach deiner Zuschrift zu dem Thema einen Verweis auf sein Kapitel im Buch „Philosophie der Quantenphysik“ zum Thema der Individualität.
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-54276-7
Das Buch kannte ich auch schon, war aber schon länger her, dass ich es teilweise las.
Ich mag es heute kurz kommentieren: Es wird zwar ein- oder zweimal auf die Möglichkeit einer reinen Feldtheorie verwiesen, diskutiert wird aus den Seiten meines Erachtens aber nur Arbeiten mit Teilcheninterpretationen.
Wie man oben bei Einstein herauslesen könnte, uns was Schrödinger definitiv meint, das ist, dass Mehrelektronen-Systeme eine echte Einheit bilden, beispielsweise im Sinne von Einstein mit dem Sinnbild „Region im Raum, in denen das Feld außerordentlich stark ist“. Wenn zwei Raumregionen mit diesen Felddichten zusammenkommen, dann entsteht eine neue Raumregion mit einer Einheit aus beiden Feldstärken.
Eine Vereinfachung des Gedankengangs kennen wir als Witz, wenn gesagt wird: Ich behaupte, dass 1+1 = 1 ist.
Bei der Frage, was der Quatsch soll, dann wird geantwortet: Ein Wassertropfen und ein Wassertropfen wird zu einem Wassertropfen.
Nun schmunzeln wir, weil wir erkennen, dass hier die Mengenbetrachtung weggelassen wurden, aber im Blick auf das Gebilde „Tropfen“ müssen wir zustimmen.
In Bezug auf „Energiemengen in Form einer Schwingungs-Energie“ ist die Sache schon weniger leicht als Quatsch abzutun.
In diesem Fall ist die Energie eines „Elektrons“ in der Schwingung des Gesamtfeldes um den Kern manifestiert. Kommen nun weitere „Elektronen“ ins Spiel, dann erhalten wir überlagerte Wellen-Gebilde nach dem Muster „1+1 = 1“. Die Gesamtheit von dem, was man zuvor als mehrere Elektronen angesprochen hätte, ist nun ein einziges Wellen-Gebilde mit überlagerten Schwingungen.
Kann man dem Gedanken folgen, den Einstein und Schrödinger als Ersatz für Teilchen vorschlagen?
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Vielleicht passt hierzu eine Überlegung, die ich nach dem Lesen eines Gedankenexperiments gemacht habe.
Das Gedankenexperiment lautet: Wenn wir Neuron für Neuron durch ein ‚baugleiches‘ künstliches Neuron ersetzen würden, hätten wir dann immer noch (dasselbe) Bewusstsein?
Die Frage zeigt die Problematik reduktionistischen Denkens. Man stelle sich statt Neuronen einfach Wassertropfen vor. Wenn man alle Wassertropfen eines Sees durch ‚baugleiche‘ künstliche Wassertropfen ersetzt, kann man dieses Wasser dann trinken bzw. in diesem See schwimmen? Der Wassertropfen ist aber nicht nur ein Tropfen (Teilchen), sondern Teil einer Welle bzw. er ist Welle. Tropfen ist er nur, wenn ich ihn isoliert betrachte. Aber nur als Welle (Feld) kann ich Wasser trinken bzw. darin schwimmen, die bloße Ansammlung einzelner Wassertropfen wäre kein Wasser.
Ähnlich verhält es sich beim Gehirn. Das Geheimnis des Denkens liegt nicht im einzelnen Neuron, sondern im Netz. Solange man nicht weiß, wie dieses Netz arbeitet, nützt es nichts, die Neuronen zu ersetzen, man wird kein Bewusstsein erhalten. Man sieht, das Gedankenexperiment ist bereits von anfang an zum Scheitern verurteilt.
Nimmt man die obige Aussage von Einstein, dass “ Materie […] in Wirklichkeit nur eine Zusammenballung von Energie auf verhältnismäßig engem Raum [ist]“, ließe sich daraus folgern, dass das Feld die Verteilung der Energie determiniert. So gesehen ergäbe auch von dieser Seite die – etwas flapsige – Aussage Eric Hoels Sinn, the macro beats the micro (Erik P Hoel et al., Can the macro beat the micro? Integrated information across spatiotemporal scales, Journal Neuroscience of Consciousness, Volume 2016 Oxford University Press). Bezogen auf das Gehirn heißt das, das Gehirn determiniert die Arbeit der Neuronen, so wie der See die Arbeit der Wassertropfen determiniert oder das Sonnensystem die Umlaufbahnen der Planeten – nicht umgekehrt.
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Die Wahrheit als Leitidee „diktiert“ mit ihrem Sein alles was ist. Was das für die Lebewesen bedeutet, habe ich oft genug dargelegt. Die Vielfalt allen Lebens ist so antriebsdynamisch ermöglicht, wenn es maturwahrtsangepasst lebt und überleben kann. Denkbar ist, dass alles Unlebte Sein ebenfalls so energetisch grundgesetzlich verstoffwechselt wird, wie die Zelle im lebewesen. Das gilt dann auch für materielle Wahrheiten in allen ihren Seinsformen molkular mikro- makro…..und so in ihren Stoffwechseprozessen, das Leben mit seinen göttlich- vielfältigen Anpassungsformen und Erkenntnisweisen nachvollziehbar verstehbar und vernünftig lebenspraktisch natur angepasster gestaltbar.
Die Wahrheit ist in allen Religionen die philosophische Leitidee. Die Wahrheit ist und bleibt wie Gott in seiner Gänze unfassbar. Beide verändern sich ständig prozesshaft, und die Lebewesen bleiben wahrheits-angepasst, oder überleben z. B. die klimatischen Veränderungen nicht. Die menschlichen Gottesvorstellungen sind wahr und glaubhaft, unbewusst geistig und körperlich intuitiv gefühlsmäßig natürlich, genetisch und antriebsdynamisch – unbewusst z w a n g h a f t eitel, vorteils- und macht-orientiert geprägt – was als eine unbewusste fundamentale Erkenntnisweise nachvollziehbar verstehbar ist und was bewusst reflektiert/moralisch bedacht werden muss. Mit zunehmender persönlicher Reife wachsen, mit dem bewusst erlebten Erkenntnisstand, die sicheren Wahrheiten und die kritische Differenz von Glauben und Wissen aufhebt . Die erlebten religiösen, philosophischen und politischen Verhältnisse und Missbräuche führten zur gewalttätigen und leidvollen Menschheitsgeschichte , so dass der „Mensch“ sich mit seinem Verhalten und seiner Mit-Verantwortung als Teil des Ganzen entscheiden muss.
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Hallo Herr Stegemann, die Idee mit dem Austausch von Nervenzellen durch technische Bausteine mit gleichwertigen Funktionen finde ich reizvoll. Bisher war ich überzeugt, dass es eine Hybris sei, zu glauben, der Mensch könne ein künstliches Bewusstsein schaffen. Ihr Argument klingt aber realistisch, wobei auch das Ergebnis realistisch erscheint, dass man das Gehirn damit auf Dauer in eine technische Variante „austauschen“ könnte, wenn man immer mehr Zellen tauscht. Faszinierend (würde Spock sagen).
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Allerdings setzt das voraus, dass man weiß, wie die Struktur funktioniert. Und da muss man nach Prinzipien suchen. Die Kenntnis der Funktionsweise der einzelnen Neuronen nützt gar nichts.
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Persönlich denke ich dass der ontologische Strukturenrealismus (ontic structural realism, OSR; siehe James Ladyman – “Every Thing Must Go”, Steven French – “The Structure of the World”, sowie Michael Esfeld und Holger Lyre) insofern philosophisch für die Neurowissenschaft anregend sein kann als dass man Bewusstsein bzw. Erleben als Struktur bzw. strukturellen Prozess versteht.
Dann lässt sich beispielsweise das Leib-Seele-Problem vermeiden, da man nicht mehr fragt in welchem Verhältnis Leib und Seele stehen, sondern wie der strukturelle Prozess zwischen der Welt und dem Organismus ablaufen muss damit Bewusstsein (bewusstes Erleben) des Selbst oder des eigenen Körpers in Relation zur Welt möglich wird. Damit wird auch eine andere Ontologie (oder Metaphysik) möglich die nicht mehr im Paradigma des Leib-Seele-Problems denkt.
Das hilft einem zwar in der empirischen Forschung nicht direkt weiter, aber es kann anregend sein bessere Fragen zu stellen da man das Thema des Bewusstseins gänzlich anders auffasst als es viele Philosophen und kognitive Neurowissenschaftler heute noch tun. Indirekt bzw. auf Umwegen kann der OSR dann schon nützlich sein; mir hat die Auseinandersetzung mit ihm jedenfalls geholfen. Denn ein alteingesessenes philosophisches Paradigma, eine Theorie oder ein Modell kann einen blind für neue Ansichten machen.
Philipp
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Der Strukturbegriff hat mehr analytische Kraft als der Emergenzbegriff. Struktur weist darauf hin, dass Leben – also auch das Gehirn und sein Bewusstsein – aus der Art und Weise des Zusammenspiels der Bausteine entsteht. Die emergentistische Sicht hat weitreichende Folgen so, muss man etwa auch die Triebkraft der Evolution neu definieren. Sie kann nicht mehr im Zufall von Mutationen einzelner Gene liegen (Atomismus), sondern muss im Prozessieren der Struktur namens Organismus gesucht werden. Der Strukturbegriff macht überall dort Sinn, wo Zustände ‚herrschen‘ und deterministisch wirken.
Im Gegensatz zu Herrn Lyre mache ich nicht den Unterschied zwischen Phänomenologie des Gehirns und seiner Metaphysik, sondern ich mache einen Unterschied zwischen Empirie und Modell. Für mich gibt es keine Metaphysik mit einem Ding an sich, also auch nicht Wahrheit noch Erkenntnis im philosophischen Sinn des 19. Jahrhunderts, die ja nach wie vor fortwirken.
Und im Gegensatz zum nicht-eliminativen ontischen Strukturenrealismus sehe ich die Objekte nicht durch die Struktur konstituiert, sondern umgekehrt ist die Struktur ontisch durch die Objekte konstituiert, diese werden aber durch die Struktur reguliert und sind auf der strukturellen Ebene nur als Struktur sinnbildend.
Das bedeutet, das Gehirn wird erst als Emergenz oder Struktur verständlich, dennoch muss ich die Funktionsweise des einzelnen Neurons kennen. Zwar lässt sich z.B. ein politisches System darstellen, ohne dass man auch nur ein einzelnes Individuum kennt. Allerdings setzen wir die Kenntnis dessen, was ein Individuum ist, stillschweigend voraus. Ohne etwa die Kenntnis des einzelnen Neurons, hätten wir ein völlig anderes Verständnis vom Gehirn.
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“Für mich gibt es keine Metaphysik mit einem Ding an sich …”
Für mich existiert das philosophische “Ding-an-sich” als radikal-qualitative Trennung zwischen Erleben und Welt ebenfalls nicht, hier stimme ich Ihnen zu. Diese Trennung führt meiner Ansicht nach schlussendlich immer noch in eine dualistische Trennung zwischen Bewusstsein und Welt, in eine Trennung zwischen innen (Erleben) und außen (Welt). Man läuft dann immer wieder in die Sackgasse schlussendlich doch (wenn auch implizit) eine “mentale” Entität zu postulieren – eben den Geist/Mind oder “das Bewusstsein” und fällt somit in das Leib-Seele-Problem zurück. Ohne nun weit auszuholen ist die Differenzierung zwischen Erleben und Welt ist für mich eher quantitativ, nicht qualitativ-kategorisch.
“Das bedeutet, das Gehirn wird erst als Emergenz oder Struktur verständlich, dennoch muss ich die Funktionsweise des einzelnen Neurons kennen.”
Besonders mit dem ersten Teil des Zitats stimme ich voll zu, nämlich dass das System und nicht nur die Einzeilteile betrachtet werden müssen.
Physiologische Zeitreihen (time-series) des Organismus, wie u.a. die Variabilität des Herzschlags (heart rate variability – HRV); Gehirnaktivität aufgezeichnet via EEG, fMRI, oder MEG; Schrittabstände während normaler Gehgeschwindigkeit, etc. weisen alle nichtlineare statt lineare Dynamiken auf. Diese nicht-linearen Dynamiken entstehen durch das komplexe Zusammenspiel vieler Variablen des Systems, also des Körpers.
Ein Reduktionismus der anstrebt durch eine Zerlegung des Systems in seine Einzelteile (und die Untersuchung dieser) das System zu verstehen scheitert, da die Entkopplung der einzelnen Komponenten voneinander mehr in periodische und lineare Dynamiken übergeht. D.h. der Systemzustand oder die „Struktur“ geht verloren. Man “findet” dann das Bewusstsein auch nicht mehr, eben weil es nicht in den Einzelteilen steckt, sondern wohl eher der dynamische und irreduzible Prozess selbst ist der Erleben und Subjektivität konstituiert. Dann gibt es keine qualitative Trennung zwischen Subjektivität und Objektivität mehr.
Für mich ist das Nervensystem, das Gehirn bzw. der Organsimus also selbst subjektiv wenn bestimmte Dynamiken gegeben sind die Erleben erlauben. Viele Neurowissenschaftler würden sagen das ist Quatsch, das Gehirn sei objektiv (ich bin dann einer der wenigen Neurowissenschaftler die dagegen argumentieren würden). Der Philosoph würde sagen dies sei ein Kategorienfehler; man vermische hier Empirie mit Phänomenologie und/oder Ontologie. Und ich würde sagen: solange man im Framework des Leib-Seele-Problems denkt wird man das auch nicht verstehen.
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Ich stimme Ihnen soweit zu, will aber nochmal meinen methodologischen Ansatz verdeutlichen.
1. Es ist wichtig, einzelne Objekte zu analysieren, also das zu tun, was die klassische Empirie macht, und da diese Analyse sich immer auf Bausteine bezieht, kann sie das von mir aus auch mit reduktionistischen Mitteln tun. Keine Kenntnis über die Objekte zu haben, halte ich für ausgeschlossen.
2. Die Analyse (hin zu immer kleineren Skalen) der Objekte gibt keinerlei Aufschluss über die Struktur (Emergenz) des Ganzen (des Systems). Um das System zu verstehen, ist es notwendig, nicht zuallererst die Strukturen zu ergründen, sondern (wir sprechen von Leben) die Prinzipien, die zu den phänomenologischen Strukturen erst führen. Um dann diese Prinzipien für jede Stufe der Entwicklung der Strukturen zu rekonstruieren und die Spezifik jeder Entwicklungsstufe heraus zu arbeiten.
3. Die Kenntnis des Systems (Struktur) kann dann eine zweite Empirie initiieren, die den Blick auf eine nicht-reduktionistische Fragestellung lenkt und damit ggf. andere Designs kreiert.
4. Bei alldem muss berücksichtigt werden, dass es einen zentralen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur gibt. Erstere ist aktiv, ist handelndes Subjekt, letztere ist passiv und entwickelt sich gemäß ihrer Eigenschaften im Zusammenspiel mit der Umgebung. Die belebte Natur ‚handelt‘ und entwickelt sich nach grundlegend anderen Regeln. Leben strukturiert und schafft Ordnung, während die unbelebte Natur quasi passiv in (mitunter geordnete) Zustände gerät.
5. Die Philosophie des Geistes krankt meiner Meinung nach daran, dass sie – egal welche epistemologische Richtung – glaubt, dass der Mensch Bewusstsein erlangt bzw. es ihm gegeben wurde, damit er irgendeine metaphysische Wahrheit entdecken mag. Es ist wahrscheinlich schwer zu akzeptieren, dass unser Bewusstsein letztlich nichts weiter ist, als ein Navigationssystem, mit dem wir uns in der Realität so bewegen, dass unsere Reproduktion (idealerweise) nicht gefährdet ist. Dieses Navigationssystem ist allem Leben eigen, auf der jeweiligen Entwicklungs- und Differenzierungsstufe arbeitet es mit den dort zur Verfügung stehenden Werkzeugen.
Dass aufgrund der ungeheueren Differenziertheit unseres Gehirns und der sprachlichen Codierbarkeit des Denkens der Eindruck entsteht, es handele sich um eine eigene Entität, ist soweit verständlich. Schließlich können wir mit dieser sprachlichen abstrakten Bedeutungsgebung nahezu unendlich viele Bedeutungskombinationen erzeugen, unserer Fantasie sind da also kaum Grenzen gesetzt.
Dieser Unterschied zwischen Leben und Nicht-Leben macht auch eine physikalische oder mathematische Beschreibung sehr schwer. Denn dort wird das handelnde Subjekt namens Leben gemeinhin eliminiert und nur als statistische Größe behandelt, seine Aktivität nicht berücksichtigt. Eine Innenansicht von Leben braucht also einen anderen Ansatz.
Und, das Phänomen der subjektiven Empfindung lädt geradezu ein zu der Frage, wie diese denn ontologisch möglich sei. Aber diese Frage ist genauso wenig sinnvoll, wie die Frage, warum es ein Universum gibt. Sie kann also nicht Gegenstand wissenschaftlicher oder philosophischer Forschung sein.
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Stegemann, danke für Ihre Ausführung die ich mit Interesse gelesen habe. Ihre Überlegungen habe ich in etwa verstanden. Auch Ihre Homepage hatte ich vor einiger Zeit in Ruhe komplett durchgelesen.
“1. Es ist wichtig, einzelne Objekte zu analysieren, also das zu tun, was die klassische Empirie macht, und da diese Analyse sich immer auf Bausteine bezieht, kann sie das von mir aus auch mit reduktionistischen Mitteln tun. Keine Kenntnis über die Objekte zu haben, halte ich für ausgeschlossen.”
Richtig, wenn ich beispielsweise über Neuroimaging das Gehirn untersuche betreibe ich quasi zwangsweise einen Reduktionismus. Ich schneide einen Teil aus und untersuche die erhobenen Daten hinsichtlich bestimmter Variablen. Allerdings kann ich hier einen methodologischen von einem ontologischen Reduktionismus unterscheiden, wenn man das so nennen möchte. Ich untersuche Teilaspekte des Systems, aber welche theoretischen Schlussfolgerungen ich auf der Basis meiner Ergebnisse ziehe ist natürlich eine andere Frage – und diese Schlussfolgerungen müssen nicht reduktionistisch sein.
“2. Die Analyse (hin zu immer kleineren Skalen) der Objekte gibt keinerlei Aufschluss über die Struktur (Emergenz) des Ganzen (des Systems). Um das System zu verstehen, ist es notwendig, nicht zuallererst die Strukturen zu ergründen, sondern (wir sprechen von Leben) die Prinzipien, die zu den phänomenologischen Strukturen erst führen. Um dann diese Prinzipien für jede Stufe der Entwicklung der Strukturen zu rekonstruieren und die Spezifik jeder Entwicklungsstufe heraus zu arbeiten.”
Ich sehe es auch so dass man versuchen sollte bestimmte Prozesse oder Prinzipien, basierend auf Daten und den Ergebnisse von bestimmten Variablen/Messungen, die für Bewusstsein notwendig sind zu ergründen.
“Und, das Phänomen der subjektiven Empfindung lädt geradezu ein zu der Frage, wie diese denn ontologisch möglich sei. Aber diese Frage ist genauso wenig sinnvoll, wie die Frage, warum es ein Universum gibt. Sie kann also nicht Gegenstand wissenschaftlicher oder philosophischer Forschung sein.”
Die Frage wie Erleben oder Bewusstsein möglich wird halte ich für wissenschaftlich sinnvoll (ansonsten könnte ich ja auch meine Sachen packen). D.h. die Frage “wie funktioniert es?” kann zu wissenschaftlichen Ergebnissen und Fortschritt führen.
Wenn man wiederum fragt “warum sehe ich Rot denn als Rot an?” oder “warum fühlen sich Schmerzen wie Schmerzen an?” führt das in metaphysische Diskussionen die letztendlich wohl weniger zielführend sind und ich versuche allgemein für mich philosophische Scheinprobleme zu vermeiden.
Ich denke also dass ich das ähnlich oder genauso wie Sie sehe. Ich vermisse als Mitleser bei solchen Diskussionen oft die Bodenständigkeit. Damit meine ich dass man das Problem wissenschaftlich Schritt für Schritt angehen sollte statt vom Sessel aus große metaphysische Hypothesen zu werfen.
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@Philipp:
„Ich vermisse als Mitleser bei solchen Diskussionen oft die Bodenständigkeit. Damit meine ich dass man das Problem wissenschaftlich Schritt für Schritt angehen sollte statt vom Sessel aus große metaphysische Hypothesen zu werfen.“
Das sehe ich auch so. Wenn ich manchmal die gedrechselten Meta-Metatheorien lese, frage ich mich, ob hier jemals ein Praxisbezug möglich sein wird. Mein Ansatz, den Sie ja adressieren, ist keine große Hypothese. Er basiert auf Theorien, die ich vor vierig Jahren im Rahmen meiner Dissertation verwendet habe und den ich jetzt ein kleines Stück weitertreibe. Im übrigen bewegt man sich mit solchen Überlegungen eher abseits des (meist reduktionistischen) Mainstream und kann daher kaum auf Vorarbeiten oder zielgenaue empirische Daten zurückgreifen.
Daher lautet der erste Satz auf meiner Internetseite: „Ich möchte ein Modell vorschlagen, … “ und nicht: so wie ich es sage, ist es. 😊
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Stegemann (oder Wolfgang), sagen sie einfach Philipp, ich komme mir bei „Sie“ immer so alt vor.
Ich denke dass ein Paradigmenwechsel (egal wie ausgelutscht der Begriff ist, er passt einfach) früher oder später in den kognitiven Neurowissenschaften sowie in der Philosophie des Geistes im Bezug auf das was Bewusstsein sei und wie es im Zusammenhang mit dem Organismus steht eintreten wird.
Man wird hoffentlich erkennen dass das Leib-Seele-Problem auf rein philosophischen Prämissen beruht die mit der echten Welt nichts gemein haben; sprich, die Frage nach dem Bewusstsein wie sie durch das Leib-Seele-Problem konstruiert ist berührt das echte Problem nicht einmal (mir ist bewusst dass mich allein für diese Aussage viele Philosophen killen würden).
In unserer Gruppe hier (bei der du ja auch schon einmal teilgenommen hast) hatten wir diesbezüglich natürlich auch schon wilde Diskussionen, da die Meinungen nun einmal auseinander gehen.
Ich halte die Diskussion insgesamt für zu festgefahren und dogmatisch. Deshalb erwarte ich keine signifikanten Öffnungen für „Neues“ in absehbarer Zeit seitens der breiteren Masse.
Es ist für mich nicht abschätzbar wann ein Paradigmenwechsel eintreten und ob es ein eher schneller oder eher langsamer Prozess wird. Dieser Wechsel wird nicht durch neue „Erkenntnisse“ in der Philosophie ausgelöst, sondern durch Erkenntnisse in der Wissenschaft. Genauso wie viele Philosophen des Geistes dem Aufkommen der modernen Neurowissenschaften nachgezogen sind, d.h. nun alles auf das Gehirn reduzieren und meinen dass das Bewusstsein eine innere Repräsentation einer angeblichen Außenwelt im Gehirn sei, genauso werden sie den naturwissenschaftlichen neuen Daten, Fakten und Theorien später wieder nachfolgen.
Das ist übrigens der vielleicht einzig große Punkt in dem unsere Meinungen auseinandergehen. Du glaubst dass das Bewusstsein im Gehirn sei. Ich glaube das nicht, sondern vergleiche es eher mit dem Leben. Man würde nicht fragen: „Wo in deinem Körper steckt das Leben – in welchem Organ?“. Für mich ist Bewusstsein eher eine Art Systemzustand des Organismus, ein Phasenübergang wie von Eis zu Wasser. Es emergiert hier nichts „neues“, es ist, so vermute ich, eher eine Transformation. D.h. ich schließe auch jeden kausalen Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein aus – das wäre für mich schon wieder eine Form des Dualismus (die philosophische Frage nach der mentalen Verursachung ist deshalb für mich ebenfalls ein Pseudoproblem).
James Ladyman, dessen Bücher und Artikel ich sehr schätze, wurde einmal in einem Interview gefragt wie er denn Bewusstsein im Zusammenhang mit dem OSR verbinden möchte. Ich war etwas überrascht dass Ladyman darauf gar keine Antworten geben konnte und passen musste. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich schlicht noch keine ernsthaften Gedanken zu dem Thema gemacht.
Ansätze zu einer Verbindung zwischen dem Thema des Bewusstseins und dem OSR findet man aber z.B. bei dem Philosophen Majid Beni (siehe seine Artikel oder auch sein Buch „Structuring the Self“). Georg Northoff hat in seinem Buch „The spontaneous brain“ ebenfalls Ansätze vorgestellt wie der OSR sich mit Befunden aus EEG, MEG oder fMRI Studien mit dem Thema des Bewusstseins unabhängig des Leib-Seele-Problems verbinden lassen.
Gruß,
Philipp
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Hallo Philipp,
die Ausgangsfrage der Philosophie des Geistes hinsichtlich des Bewusstseins ist schon falsch gestellt, wenn man fragt, wie kommt das Bewusstsein ins Gehirn. Man fragt ja auch nicht, wie kommt der Herzschlag ins Herz. Die Frage kann nur lauten, wie entsteht Bewusstsein, durch welchen Mechanismus.
Zentrale Nervensysteme generieren zwangsläufig das, was wir Bewusstsein nennen, man kann auch genauso gut ‚Denken und Empfinden‘ sagen. Die Frage, warum das so ist, ist genauso unsinnig, wie die Frage, warum das Universum existiert.
Die zentralen Nervensysteme reichen natürlich bis in den letzten Winkel des Körpers und schicken auch von dort noch Informationen an die Zentrale. Und natürlich ist diese neuronale Informationsverarbeitung nur eine Kommunikationsart im Körper, es gibt ja auch proteinsynthetische und endokrine. Wenn wir aber Bewusstsein meinen, also Denken und Empfinden, sollten wir die Kommunikationsart meinen, die im ZNS stattfindet. Ich denke, wenn man philosophische Kategorien sehr direkt an tatsächliche Prozesse koppelt, wird es relativ einfach. Abgehobene Kategorialdiskussionen führen meist zu nichts. Allerdings sollte die Kategoriebildung kein Reflex empirischer Daten sein, das führt erst recht zu nichts. Bei Northoff scheint beides der Fall zu sein, abgehobene Kategorialdiskussion und empirischer Reflex.
Noch was zur Struktur: Dass tote Baustein Leben erzeugen, ist einzig ein Strukturaspekt, es gibt schließlich keinen einzigen Baustein, auf dem ‚Leben‘ steht. Das zu begreifen, ist schwierig, weil es unserer Intention zuwider läuft.
Und, wie lange Paradigmenwechsel brauchen, weiß man nicht. Es gibt immer sehr viele Glaubenssätze in der Wissenschaft, die sich scheinbar ewig halten, so z.B. die Vorstellung einer probabilistischen Evolution, die Dirk Boucsein auf philosophies.de übrigens mathematisch ad absurdum geführt hat. Ähnlich ist es mit dem Reduktionsmus und anderen Glaubensrichtungen. Leben (und Bewusstsein) lässt sich eben nicht aus Bausteienen, sondern nur aus Strukturen erklären, ganz im Gegensatz zur unbelebten Natur, darum hat es die Physik ja so leicht.
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zwei Dinge sollte ich noch ergänzen:
1. Weder der Strukturalismus noch die Systemtheorie laufen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen hinterher, sondern sie integrieren diese. Dass dies gelingt, zeigt die hohe explanative Kompetenz dieser Ansätze. Ganz im Gegensatz zu Ansätzen mittlerer Reichweite, wie etwa predictive coding. Da hat Herr Friston ein mathematisches Modell genommen und es auf das Gehirn angewendet und behauptet, das Gehirn wäre eine Vorhersagemaschine. Man kann das sehen wie man will, aber daraus eine allgemeine Theorie des Gehirns machen zu wollen, halte ich für völlig unangebracht. Man nehme ein beliebiges mathematisches Modell und bastle daraus eine Theorie des Gehiorns.
2. Ich habe gesagt, die Frage, warum Bewusstsein in zentralen Nervensystemen entsteht, wäre obsolet. Das stimmt zwar aus Sicht der kognitiven Neurowissenschaft, aber natürlich kann man versuchen, diese Frage aus Sicht der Evolutionstheorie zu beantworten. Ich denke, durch den ständigen Beschuss unseres Planeten mit elektromagnetischer Strahlung haben Organismen damit begonnen, Sensoren für Licht auszubilden (in ganz nicht-probabilistischer Weise). Damit kam zu den chemischen Konzentrationsgradienten eine neue Orientierungmöglichkeit hinzu, nämlich das Auge. Um diese Reize zu ‚verarbeiten‘, entstanden Nerven und diese bildeten schließlich Zentren, in denen diese zusammenliefen (Tendenz zur Metastrukturbildung). Die immer weitere Differenzierung ergab schließlich jenen ganzheitlichen Erlebnisraum, den man Bewusstsein nennt und mit dem wir durch unsere Umwelt navigieren. Diese Fähigkeit (über-) interpretieren wir dann als Fähigkeit zu Erkenntnis (im philosophischen Sinn) einer transzendenten Welt.
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