„Ein Sachbuch, so anregend, dass man dazu tanzen möchte!“ Das schrieb der Rezensent Denis Scheck über den 2017 erschienenen Bestseller „Homo Deus“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari, in dem dieser „Eine Geschichte von Morgen“ skizziert.  Damit hat Schreck gewiss recht, doch vergaß er zu erwähnen, auf welche Musik da getanzt wird. Ist es ein beschwingter Swing in die Zukunft, ein Trauermarsch ins Nichts oder doch eher ein betäubender Drum-and-base-Sound ins Koma?

Nun gilt für Prognosen bekanntlich das Bonmot von Karl Valentin, dass sie schwierig sind, besonders wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Unbestritten dürfte indes sein, dass die technische Revolution an der Schwelle des dritten Jahrtausends gerade erst begonnen hat. Lesen Sie in diesem Beitrag, welches Szenarium Harari für die Zukunft entwickelt, wie sich darin unser Menschenbild verändern könnte und warum das Körper-Geist-Problem dabei eine zentrale Rolle spielt. (Alle Zitate in diesem Text stammen, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus Hararis Buch Homo Deus. Bei längeren Zitaten ist die Seitenzahl angegeben.)

Der wichtigste Begriff der Welt

Habe Sie schonmal darüber nachgedacht, was für ein Algorithmus Sie sind?  Wenn nicht, sollten Sie das schleunigst nachholen, denn „‚Algorithmus‘ ist vermutlich der wichtigste Begriff in unserer Welt“ und Sie sind einer – so wie alle anderen Organismen übrigens auch. So fasst Harari sehr prägnant aber durchaus treffend das aktuell gültige Bild zusammen, das die Wissenschaft vom Menschen und „den anderen Tieren“ zeichnet. Was genau meint er damit?

Algorithmen sind zunächst bekannt aus der Informatik, wo sie Rechenoperationen steuern. Allgemeiner betrachtet ist ein Algorithmus aber einfach eine „methodische Abfolge von Schritten, mit deren Hilfe […] Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden können“. Sie erledigen also genau jene Aufgaben, mit denen Organismen ständig konfrontiert sind. Allerdings gilt das nicht nur für Organismen. Auch Getränkeautomaten funktionieren auf der Basis von Algorithmen, wenn sie uns zum Beispiel eine Tasse Tee zubereiten. Algorithmen steuern also Prozesse über die Subjekte (Teeautomaten, Organismen) mit ihrer Umwelt interagieren. Insofern gilt:

„Menschen sind Algorithmen, die nicht Tee oder Kaffee produzieren, sondern Kopien ihrer selbst (also eine Art Getränkeautomat, der, wenn man die richtigen Tasten drückt, einen weiteren Getränkeautomaten produziert).“ (S. 135)

Daran wird auch klar, dass es Algorithmen sind, die einen Organismus zu einem solchen machen, und nicht etwa die Substanzen, aus denen dieser zusammengesetzt ist. Ein Mensch besteht aus rund 42 kg Sauerstoff, 21 kg Kohlenstoff, 7 kg Wasserstoff, 1,5 kg Stickstoff, 1 kg Calcium und noch ein paar anderen Elementen. Aber wenn wir all diese Stoffe im Labor in einem großen Gefäß vermischen, bekommen wir keinen Menschen. „Menschsein“ steckt in der Struktur, die diese Atome miteinander bilden, in der Art und Weise, wie sie untereinander und mit der Umwelt interagieren und den Prozessen, die dabei ablaufen. All das wird von Algorithmen gesteuert.

Das gilt übrigens auch – Romantiker müssen jetzt tapfer sein – für Gefühle. Sie sind „biochemische Algorithmen“ die sich im Laufe der Evolution entwickelt und optimiert haben und unser Verhalten steuern. Ein Pavian, der eine Banane in der Nähe eines Löwen erspäht, ist zwischen den Gefühlen „Hunger“ und „Angst“ hin- und hergerissen. Ein komplexer Algorithmus führt eine Abwägung zwischen den Gefahren „verhungern“ und „gefressen werden“ durch, wobei er die Umstände der konkreten Situation (Daten!) berücksichtigt, d. h. verarbeitet. Schließlich kommt es zu einer Entscheidung, indem eines der Gefühle die Oberhand behält.

Die Umbrüche des Anthropozän

So weit das Menschenbild der Naturwissenschaft wie Harari es in seinem Buch referiert. Wir kommen später darauf zurück, doch zunächst zu den historischen Entwicklungen, die er nachzeichnet und schließlich extrapoliert.

Harari sieht im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, das vor rund 70 000 Jahren begann, bisher zwei große Umbrüche. Der erste bestand im Sesshaft werden, im Übergang vom Jäger und Sammler zum Bauer. Damit verließ der Mensch nämlich das „Parlament der Lebewesen“ und stellte sich über seine Mitgeschöpfe, indem er zum Beispiel Tiere domestizierte. Daher ist es kein Zufall, dass zu selben Zeit auch die großen Religionen entstanden. Sie rechtfertigten die Sonderstellung des Menschen, erlaubten ihm die Nutzung (und Ausbeutung) der „anderen Tiere“ und gaben seinem Dasein einen höheren Sinn. Das Universum war nun kein Organismus mehr, sondern eine große Bühne für die beiden Hauptdarsteller: Mensch und Gott. Der Mensch hatte damit seine Mitwelt in gewissem Sinne „zum Schweigen gebracht“ und verhandelte nun nur noch mit den Göttern.

Beim zweiten großen Umbruch – der wissenschaftlichen Revolution – wurde es dann noch einsamer um den Menschen. Mit der Vorstellung, dass das Universum in einem, zwar bestimmten Gesetzen folgenden, aber dennoch sinn- und ziellosen Prozess entstanden ist, entledigte er sich auch der Götter.

„Die Welt war nunmehr eine One-Man-Show. Die Menschheit stand ganz allein auf einer leeren Bühne, sprach mit sich selbst, verhandelte mit niemandem und erwarb enorme Macht ohne irgendwelche Verpflichtungen.“ (S. 155)

Doch das Erlangen von Macht hatte einen Preis: Den Verlust von Sinn. Der Hoffnung auf ein Jenseits und die tröstliche Vorstellung, dass Katastrophen und Schicksalsschläge letztlich einer höheren Einsicht folgen, gingen verloren.

„Die moderne Kultur lehnt diesen Glauben an einen großen kosmischen Plan ab. Wir sind keine Darsteller in irgendeinem Drama, das größer ist als das Leben […] Die moderne Welt glaubt nicht an einen Zweck, sondern nur an eine Ursache.“ (S. 313)

„Der moderne Pakt“ lässt sich daher nach Harari in einem sehr einfachen Satz zusammenfassen:

„Die Menschen stimmen zu, auf Sinn zu verzichten, und erhalten im Gegenzug Macht.“ (S. 311)

Sehnsucht nach Sinn – der Humanismus

Ein verlockendes Angebot, doch der Preis erwies sich als zu hoch. Es mag einzelne Geister geben, die in der Lage sind, Sinnlosigkeit zu ihrer Sache zu machen und im Nihilismus aufzugehen, um schließlich in geistiger Umnachtung zu sterben. Das Gros der Menschen ist mit Sinnlosigkeit schlicht überfordert und Gesellschaften lassen sich damit schon gar nicht organisieren geschweige denn zufriedenstellen. Der Mensch wählte daher den einzig möglichen Ausweg: Wenn dem Universum kein Sinn mehr zu entnehmen war, so musste er aus dem Menschen selbst kommen. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass der Mensch die Stellung einnahm, die vorher Gott innehatte, es war die Vergottung des Menschen. Der Humanismus war geboren.

Wie Harari bemerkt, erfährt die Sinngebung damit eine „Rollenverteilung“ (man könnte auch von einer Richtungsumkehr sprechen). Traditionell erzeugte der kosmische Plan im Menschen eine Sinnerfahrung. Nun muss die innere Erfahrung des Menschen dem Kosmos – oder wenigstens der näheren Umgebung – einen Sinn verleihen.

„Das ist das Hauptgebot, das uns der Humanismus mit auf den Weg gegeben hat: Gib einer sinnlosen Welt einen Sinn.“ (S. 345)

Wie aber erzeugt der Mensch Sinn? Die Antwort lautet: Indem er neben der objektiven und der subjektiven Realität „eine dritte Ebene der Wirklichkeit“ kreiert: die intersubjektive. Die objektive Realität umfasst Dinge, die unabhängig von uns existieren (Berge, das Wetter, die Schwerkraft, die DNA), während die subjektive Realität von unserem persönlichen Erleben abhängt (Träume, Schmerz oder – noch typischer – Phantomschmerz). Die meisten Dinge, mit denen wir uns im Alltag beschäftigen, gehören jedoch keiner dieser beiden Kategorien an. Religionen, Währungen, Nationen, Ideologien, Architektur, Musikstile, Kunst, Bräuche, etc. existieren weder unabhängig von uns noch nur in uns. Es sind Fiktionen, intersubjektive Entitäten und sie sind es, die unsere Welt vorantreiben und ihr Sinn verleihen.

Gold, bedrucktes Papier oder die Schallwellen, die eine Gitarre aussendet, existieren objektiv, doch sie sind sinnlos, solange wir uns nicht darauf einigen, dass Gold schön, ein Geldschein wertvoll und Gitarrenklänge Musik sind. Erst durch solche Zuschreibungen erhalten die Dinge eine Bedeutung. Daher sind Schönheit, Wert und Musik intersubjektive Entitäten. Mit solchen Zuschreibungen weben Menschen am „Geflecht des Sinns“ und Geschichte entsteht. Sie können unser Leben stärker beeinflussen als objektive Dinge – ein Krieg kann verheerender sein als eine Naturkatastrophe, ein Musikstück kann uns eine stärkere Gänsehaut verursachen als ein kühler Wind. Harari glaubt, dass die intersubjektive Realität die Objektivität im 21. Jahrhundert vollends verschlingen könnten.

Die Vergottung des Menschen und die Betonung subjektiver Zuschreibungen führt nun dazu, dass im Humanismus „die menschliche Erfahrung die oberste Quelle von Autorität und Sinn ist“. Das wird insbesondere (aber nicht nur) im Liberalismus, einer politischen Spielart des Humanismus deutlich. Die oberste Autorität ist nicht mehr der von Gott eingesetzte König, sondern der Wähler, der aus seiner Erfahrung heraus frei (!) entscheidet, wem er seine Stimme gibt. In ästhetischen Fragen gilt nicht mehr, dass Kunst der Verherrlichung Gottes zu dienen hat, sondern dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Anything goes – solange es sich gut anfühlt, darf alles zu Kunst erklärt werden. In moralischen Angelegenheiten gilt der Maßstab „Wenn es sich gut anfühlt, tu es“ oder – etwas reflektierter – „Tu das, wobei sich möglichst viele gut und möglichst wenige schlecht fühlen“. Das Primat des Fühlens zieht sich durch alle Bereiche, bis hin in die Ökonomie, wo die freie Wahl des Verbrauchers die oberste Autorität ist.

Der Widerspruch

Das führt uns zum zentralen Widerspruch, den Harari in seinem Buch aufdeckt. Die wissenschaftliche Revolution hat einerseits zum Humanismus geführt, in dem das Empfinden und die freie, bewusste Entscheidung des Einzelnen die oberste Autorität darstellt. Andererseits hat ebendiese wissenschaftliche Revolution ein Menschenbild hervorgebracht, das genau diese zentralen menschlichen Eigenschaften nicht erklären kann, ja deren Existenz sogar in Zweifel zieht. Wir erinnern uns: Menschen sind Algorithmen. Die alarmierende Frage, die gestellt werden muss, lautet daher: Was wird aus dem Humanismus, wenn sich diese Zweifel bewahrheiten sollten? Oder, um es mit Hararis Worten zu sagen:

„Was also wird passieren, sobald wir merken, dass Konsument und Wähler niemals freie Entscheidungen treffen, und sobald wir über die Technologie verfügen, um ihre Gefühle zu berechnen, zu beeinflussen oder zu überlisten?“ (S. 427)

Das Körper-Geist-Problem

Ist es Ironie des Schicksals, dass die modernsten Entwicklungen eines der ältesten Probleme aus der Mottenkiste holen? Oder war es vielleicht gar nie in jener Kiste und man hatte es nur verdrängt? Das Körper-Geist-Problem hat verschiedene Namen über die nicht nur auf diesem Blog schon viel geschrieben wurde: Leib-Seele-Problem, Geist-Gehirn-Problem, Qualiaproblem, schwieriges Problem oder Hard Problem of Conciousness. Natürlich widmet ihm auch Harari ein Kapitel. Es geht um die Tatsache, dass einerseits unser Bewusstseinsstrom …

„… die konkrete Wirklichkeit [ist], die wir in jedem Augenblick unmittelbar erleben. Er ist so ziemlich das Sicherste der Welt. Seine Existenz lässt sich schlicht nicht bezweifeln.“ (S. 170)

Andererseits ist es aber so, dass …

„… die Wissenschaft erstaunlich wenig über Geist und Bewusstsein [weiß]. Die gängige Lehrmeinung behauptet gegenwärtig, Bewusstsein entstehe durch elektrochemische Reaktionen im Gehirn […] Niemand weiß jedoch so recht zu sagen, wie eine Ansammlung biochemischer Rektionen und elektrischer Ströme im Gehirn die subjektive Erfahrung von Schmerz, Wut oder Liebe erzeugt.“ (S. 172)

Harari skizziert in seinem Buch als Beispiel die neuronalen Vorgänge, die dazu führen, dass ein Mensch vor einem Löwen flieht und illustriert daran, dass dieser Ansatz, sofern er der Erklärung des Bewusstseins (im Sinne von Qualia) dienen soll, eine geradezu tragikomische Ironie birgt, denn:

„Je genauer wir diesen Prozess nachzeichnen können, desto schwerer wird es, bewusste Gefühle zu erklären. Je besser wir das Gehirn verstehen, desto überflüssiger wirkt der Geist. Wenn das gesamte System mittels elektrischer Impulse funktioniert, die von hier nach dort fließen, warum müssen wir dann auch noch Angst empfinden?“ (S. 177)

Eine Aufklärung des Algorithmus liefert eben keine Erklärung für das Bewusstsein und schon gar nicht des freien Willens. Der naturalistische Erklärungsansatz befindet sich offenbar in einer Sackgasse. Nicht besser sieht es mit – in der Wissenschaft ohnehin verpönten – dualistischen Erklärungsansätzen aus, die das Problem der Interaktion von zwei Entitäten haben (siehe auch Bieri-Trilemma). Und leider vermögen auch die neueren Ansätze der Strukturrealisten, die das Bewusstsein nicht im Gehirn, sondern in den Interaktionsprozessen zwischen Individuum und Umwelt verorten, den gordischen Knoten nicht zu durchtrennen, denn was sind diese Interaktionsprozesse anderes als die erwähnten Algorithmen? Dazu kommt, dass keine der drei angesprochenen Gruppen bisher in der Lage ist, überzeugende empirische Nachweise für den jeweiligen Standpunkt zu erbringen. So haben die Naturalisten das Körper-Geist-Problem ignoriert, die Dualisten haben es mystifiziert und die Strukturrealisten trivialisiert. Doch keiner hat es bisher gelöst.

„Die große Entkopplung“

Wir wissen also nicht, wie Bewusstsein entsteht. Genau genommen wissen wir nicht einmal, was Bewusstsein eigentlich ist. Man könnte dies als abgehobene philosophische Frage abtun, wäre da nicht ein Problem, das sehr real ist, weil wir es inzwischen beobachten können: Intelligenz scheint sich von Bewusstsein (was immer das nun genau sei) abzukoppeln.

Über Jahrtausende schien es eine ausgemachte Sache: Intelligenz ist umso größer, je bewusster ihr Träger ist. Ein Neugeborenes ist zunächst einer Hauskatze intellektuell unterlegen, doch schon nach Monaten überholt es den vierbeinigen Hausgenossen. Spätestens wenn es sich im Spiegel erkennt (Bewusstwerdung) ist es ihm in allen kognitiven Fähigkeiten überlegen. Doch genau dieser Zusammenhang scheint bei künstlicher Intelligenz (KI) nicht mehr zu gelten.

„In den letzten Jahrzehnten gab es in Sachen Computerintelligenz ungeheure Fortschritte, doch was das Bewusstsein von Computern angeht, tat sich im Grunde nichts.“ (S. 476)

Als der IBM-Computer Deep Blue 1997 erstmals einen amtierenden Schachweltmeister, damals Garri Kasparov, schlug, konnte man das noch mit dem Hinweis abtun, dass Schach von seiner Machart her ein ideales Spiel für KI war. Als dann Watson (ebenfalls IBM) 2011 die Quizshow Jeopardy! gewann, war das nicht mehr so einfach, denn für diese Show musste man beispielsweise mit Wortspielen umgehen – eine sehr menschliche Fähigkeit, sollte man meinen. Dennoch glaubt niemand ernsthaft, dass Watson verstanden hat, was er da erzählte, denn er suchte einfach in riesigen Datenbanken nach Texten mit der entsprechenden Formulierung und wählte dann in deren Umfeld die wahrscheinlichste Antwort aus (Stichwort „big data“). Inzwischen hilft Watson mit ähnlichen Methoden bei der Diagnose von Krankheiten und stellt dabei viele seiner menschlichen Kollegen in den Schatten. Ebenfalls 2011 eröffnete in San Francisco übrigens eine Apotheke, die von einem einzigen Roboter betrieben wird.

Das sind nur einige Beispiel, die zeigen, wohin die Reise geht. Angesichts dieser neuen „Formen nicht-bewusster Intelligenz“ scheint die Frage berechtigt, ob zur „Superintelligenz womöglich verschiedene Wege [führen], von denen nur einige durch die Straße des Bewusstseins müssen.“

Das Ende von „Wie war ich?“

Es geht um mehr als verletzten Stolz. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass die KI uns in immer mehr Bereichen den Rang abläuft und nutzen die uns daraus erwachsenden Vorteile. Das ist auch in Ordnung. Doch die Frage, die auch Harari am Ende seines Buches als eine der „drei Schlüsselfragen“ seinem Leser mitgibt, bleibt bestehen:

„Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?“ (S. 608)

Oder was, wenn wir durch KI erst zu Algorithmen gemacht werden? Dazu noch ein – vielleicht – kurioses Beispiel aus Hararis Buch. Die Firma Bedpost verkauft

„biometrische Armbänder, die man während des Geschlechtsverkehrs tragen kann. Dieses Armband sammelt Daten wie etwa Puls, Schweißproduktion, Dauer des Geschlechtsverkehrs, Dauer des Orgasmus und Zahl der dabei verbrauchten Kalorien. Diese Daten werden in einen Computer eingespeist, der die Informationen analysiert und Ihre Leistung anhand präziser Zahlen eingestuft.“ (S. 509)

Also nichts mehr von wegen „Wie war es für dich?“ oder „War ich gut?“. Man mag darüber lachen und vielleicht auch dieser speziellen Frage keine Träne nachweinen, doch das Entscheidende ist etwas anderes.

„Menschen, die sich unablässig über solche Apparate vermittelt erleben, betrachten sich vermutlich schon bald selbst als eine Ansammlung biochemischer Systeme und weniger als Individuen […]“ (S. 509)

Könnte das wissenschaftlich-physikalistische Weltbild, das uns erklärt, wir wären nichts anderes als Algorithmen so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden?

Man spricht manchmal vom Gutenberg-Gap. Damit ist das Zeitalter des Lesens gemeint, die fünfhundert Jahre zwischen den beiden Erfindungen Buchpresse und Smartphone. In dieser Zeit musste man lesen, um an der Gesellschaft teilzunehmen. Vor der Buchpresse ging das noch nicht, weil es schlicht zu wenig zu lesen gab. Seit dem Smartphone braucht man es nicht mehr, da man sich alle Informationen auch vorlesen lassen oder auf Videos anschauen kann.

Gibt es vielleicht auch ein Descartes-Gap, ein Zeitalter des Bewusstseins? René Descartes hat mit seinem berühmten Satz „Ich denke, also bin ich!“ das Bewusstsein quasi zum Macher des menschlichen Individuums befördert, das dann schließlich den Humanismus hervorbrachte. Was aber, wenn wir immer mehr Hirnarbeit der KI überlassen, weil die das besser, schneller oder einfach für uns bequemer erledigt? Heißt es dann „Ich lasse denken, also bin ich nicht mehr?“

Das sollten wir uns überlegen, solange wir es noch können.

Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

33 Antworten auf „Der Descartes-Gap – Abschied vom Bewusstsein?

  1. How to close the Descartes gap?

    Will man den Bewusstseinsbegriff neu erfinden, darf man nicht mit den alten Kategorien und Bedeutungen arbeiten. Also weg mit allen Verbrämungen wie Geist, Intelligenz, Moral, Ethik etc. und weg mit allen -ismen.
    Fangen wir von vorne an. Bewusstsein ist eine Eigenschaft des Gehirns, denn nimmt man Teile davon weg, verschwindet Bewusstsein. Das Gehirn wiederum – betrachtet man es emotions- und wertfrei – dient wie seine evolutionären Vorläufer der Orientierung. Andere Interpretationen sind reine Metaphysik, etwa Teleologie, kosmischer Geist u.a.
    Ein so allgemeiner Bewusstseinsbegriff als Orientierung ist in der Lage, alle Perspektiven, etwa die biologische, physiologische, psychologische oder soziale (intersubjektive) zu integrieren. Insofern hat die Kritik des Neurozentrismus recht (und nur dann), wenn sie diejenigen meint – und das dürften die meisten sein- die diese Integration nicht leisten.
    Wie aber funktioniert Bewusstsein? Fangen wir wieder von vorne an: Leben ist Struktur, also die Art und Weise, wie tote Bausteine zusammenarbeiten. Oder: das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile. Bewusstsein, als Eigenschaft des (zentralnervösen) Lebens ist also ebenso Struktur. Man kann sagen, entsteht in einem zentralen Nervensystem Struktur bzw. Ordnung, entsteht Bewusstsein – und umgekehrt.
    In einem solchen Bewusstseinsbegriff sind alle Einzelaspekte, die in den derzeitigen Bewusstseinsmodellen thematisiert werden, wie Information, Arbeitsraum, Vorhersage, Raum-Zeit etc. enthalten.
    Überlagern sich solche Strukturen bzw. Muster, entstehen Abstraktionen. Beim Menschen werden diese mit gesellschaftlichen Bedeutungen verknüpft und können beliebig kombiniert werden, die Literatur ist ein gutes Beispiel dafür.
    Viele solcher (Meta-) Strukturen entwickeln das ICH und machen es zur bewussten wie unbewussten Steuerinstanz.
    Ein solcher Bewusstseinsbegriff beschreibt auf mentaler wie physiologischer Seite immer dasselbe und überwindet damit jeden Dualismus.

    Ich teile Hararis Pessimismus nicht. Schon mit der Erfindung der Dampfrösser sollte die Welt untergehen. Die Menschen haben sich bisher jeder Veränderung angepasst.

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    1. Danke für diesen interessanten Kommentar! Ich finde den Ansatz sehr spannend, muss aber gestehen, dass er mich nicht befriedigt.

      Es geht schon los mit der Feststellung „Bewusstsein ist eine Eigenschaft des Gehirns, denn nimmt man Teile davon weg, verschwindet Bewusstsein.“ Dieser Schluss ist m. E. überhaupt nicht zwingend, denn mit demselben Argument könnte man sagen, dass die Musik, die aus einem Radio kommt, eine Eigenschaft des Radios ist, weil sie ja verschwindet, wenn man einen Teil des Radios (z. B. die Antenne) entfernt. Das ist aber offensichtlich nicht richtig. Es zeigt nur, dass das Radio/das Gehirn notwendig für Musik/Bewusstsein ist. Ob es auch hinreichend ist, bleibt eine offene Frage – das Radio ist es nicht.

      Dann die Frage, wie Bewusstsein „funktioniert“. Für mich ist die Frage nach der Funktion von Bewusstsein ungeklärt, wie auch das Beispiel mit dem Mensch, der vor dem Löwe fliegt, zeigt. Warum muss der Mensch überhaupt Angst empfinden, wenn doch die neuronalen Prozesse vom Eintreffen der „Löwenphotenen“ auf der Netzhaut bis zum Impuls der Beinbewegung vollständig geklärt sind? Warum hat die Evolution das subjektive Erleben von Angst überhaupt hervorgebracht? Welchen Selektionsvorteil bringt es mit sich?

      Und schließlich ist da noch die Sache mit dem Bewusstsein als Struktur. Leben ist eine Phänomen der Strukturierung von Materie. Das scheint mir relativ offensichtlich zu sein und es wurde ja im Artikel auch ausgeführt. Für das Bewusstsein wissen wir das nicht, aber möglicherweise bringt uns dieser Ansatz auch hier weiter. Die Frage, die sich mir hier stellt (und das ist jetzt eine echte Verständnisfrage): Gibt es einen Unterschied zwischen den von Dir angenommen „Strukturen“ und dem was Harari „Algorithmen“ nennt (er sagt ja, für die Wissenschaft seien Menschen im Grund biochemische Algorithmen)?

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      1. „Es geht schon los mit der Feststellung „Bewusstsein ist eine Eigenschaft des Gehirns, denn nimmt man Teile davon weg, verschwindet Bewusstsein.“ Dieser Schluss ist m. E. überhaupt nicht zwingend …“

        Ich wollte hier kein Buch schreiben, aber was soll Bewusstsein denn sonst sein, wenn keine Eigenschaft des Gehirns. Bevor es Gehirne gab, gab es kein Bewusstsein. Es sei denn, man nimmt an, dass Einzeller Bewusstsein haben – oder Steine. Es ist eine zwangsläufige Schlussfolgerung. Wer das bezweifelt, muss eine alternative Antwort liefern.

        „Warum muss der Mensch überhaupt Angst empfinden, wenn doch die neuronalen Prozesse vom Eintreffen der „Löwenphotenen“ auf der Netzhaut bis zum Impuls der Beinbewegung vollständig geklärt sind?“
        Das ist ein Irrtum. Geklärt sind lediglich die physikalischen Teilaspekte. Wie wir aber wissen, bringen Teilaspekte kein Licht ins Dunkel des Gesamtzusammenhangs – nennen wir ihn ‚Struktur‘. Dein Argument führt gradewegs in den Physikalismus, und wo das endet, wissen wir ja.

        „Leben ist eine Phänomen der Strukturierung von Materie. Das scheint mir relativ offensichtlich zu sein und es wurde ja im Artikel auch ausgeführt. Für das Bewusstsein wissen wir das nicht…“
        Wenn wir Bewusstsein als Eigenschaft des Gehirns und damit des Lebens – und nicht etwa als Ergebnis eines metaphysischen Vorgangs – vewrstehen, dann gilt der Strukturbegriff auch für das Bewusstsein.

        „Gibt es einen Unterschied zwischen den von Dir angenommen „Strukturen“ und dem was Harari „Algorithmen“ nennt (er sagt ja, für die Wissenschaft seien Menschen im Grund biochemische Algorithmen)“
        Nein, das ist blanker Unsinn. Algorithmen müssen programmiert werden, von wem? Man muss endlich von der physikalischen und Informatikebene wegkommen. Leben kann damit einfach nicht beschrieben werden. Diese Analogien führen zu absolut nichts. Algorithmen organisieren sich nicht selbst.

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      2. Ich halte eben das Bewusstsein für ein ziemlich erklärungsbedürftiges Phänomen und bin deswegen etwas skeptisch bei ad-hoc-Festlegungen. Was soll das Bewusstsein anderes sein als eine Eigenschaft des Gehirns? Nunja, wenn wir einen Dualismus zugrundelegen ist es das ja gerade nicht. Und wenn ich Philipp und Dirk richtig verstanden habe, glauben sie auch nicht – natürlich aus ganz anderen Grünen – dass Bewusstsein im Gehirn zu finden ist, sondern sind der Ansicht, es sei ebensogut „da draußen“ in der Interaktion des Individuums mit der Umwelt zu finden. Das wären zwei alternative Antworten. Wie gesagt, ich weiß es natürlich auch nicht. Ich finde nur man sollte mit schnellen Festlegungen bei so einem schwierigen Thema vorsichtig sein.

        Dann die Sache mit dem Mensch, der vor dem Löwen wegläuft. Ich dachte eigentlich, dass der Reiz der „Löwenphotonen“und die daraus resultierenden neuronalen Reaktionen gerade die Strukturen sind, die das Individuum reagieren lässt. Ja, das führt in den Physikalismus, da hast Du völlig recht und mit dem will mich auch nicht gemein machen. Aber dass es Physikalismus ist, ist für sich genommen ja noch kein Gegenargument. Deswegen bin ich mir auch bei den Algorithmen nicht so sicher. Nehmen wir eine Pflanze. „Nimm wahr, aus welcher Richtung das Licht kommt. Drehe dann deine Blätter so, dass sie möglichst vollständig vom Licht beschienen werden.“ Was ist das anderes als ein Algorithmus? Will sagen: Es scheint mir recht klar, dass man mit solchen, von der Evolution optimierten Algorithmen viele biologische Mechanismen erklären kann. Zu sagen, diese Analogie führe zu „nichts“, halte ich deshalb für gewagt. Selbst wenn Algorithmen sich nicht selbst organisieren (wobei ich mir da auch nicht sicher bin, es gibt doch lernende Algorithmen?), passen sie sich im Laufe der Evolution an. Ich verstehe deshalb, wie gesagt, den Unterschied nicht zwischen diesen ablaufenden Prozessen und dem, was als „Strukturen“ bezeichnet wird.

        Eine letzte Bemerkung zu dem Satz: „Bevor es Gehirne gab, gab es kein Bewusstsein.“ Ob das stimmt, hängt sehr davon ab, was man mit Bewusstsein meint. Angepasstes, sogenanntes intelligenzanaloges Verhalten gab es lange vor Gehirnen, worauf kein Geringerer als Hoimar von Ditfurth hingewiesen hat. Auch hier wäre ich daher vorsichtig mit Schnellschüssen.
        Siehe hier:

        Sollte Gehirn&Geist sich umbenennen?

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      3. Axel fragt: “Dann die Frage, wie Bewusstsein „funktioniert“. Für mich ist die Frage nach der Funktion von Bewusstsein ungeklärt, wie auch das Beispiel mit dem Mensch, der vor dem Löwe fliegt, zeigt. Warum muss der Mensch überhaupt Angst empfinden, wenn doch die neuronalen Prozesse vom Eintreffen der „Löwenphotenen“ auf der Netzhaut bis zum Impuls der Beinbewegung vollständig geklärt sind? Warum hat die Evolution das subjektive Erleben von Angst überhaupt hervorgebracht? Welchen Selektionsvorteil bringt es mit sich?”

        ——-
        Die Annahme dass ein Organismus auf der Stufe des Menschen mit seiner Umwelt ohne „Bewusstsein“ interagieren kann ist ja bereits eine philosophische Annahme der bestimmte Prämissen vorausgehen.

        Dieser Frage, also warum es nicht auch ohne „Bewusstsein“ funktioniert, liegt ein Dualismus zugrunde. Ich kann das auch nicht oft genug wiederholen, denn die sich wiederholenden Fragen beruhen meiner Ansicht nach auf diesem Fehler.

        Man trennt Erleben (Bewusstsein) von dem Organismus (und seiner Interaktion mit der Umwelt) ab. Oder anders formuliert: man splittet physiologische Prozesse des Körpers, die man von außen beobachtet, implizit ontologisch von dem Erleben des Organismus ab.

        Thomas Fuchs hat einmal in etwa formuliert dass allein die Tatsache dass wir diese Frage stellen (so wie du, Axel) zeigt wie dualistisch wir bzw. unsere westliche Kultur noch denkt.

        Ich würde bezüglich deiner Frage beispielsweise die Lektüre von Maurice Merleau-Ponty „Phänomenologie der Erfahrung (Phenomenology of Perception)“ empfehlen, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Buch ist wirklich sehr zu empfehlen.
        Merleau-Ponty hat wunderbar beschrieben wie das Thema des Bewusstseins auch ganz anders verstanden werden kann, jenseits der Trennung zwischen „Leib“ und „Seele“.

        Zwei weitere Empfehlung wären noch „The Embodied Mind“ aus dem Jahre 1991 von Varela, Thompson und Rosch das 2017 auch neu aufgelegt wurde. Oder „Mind in Life“ aus dem Jahre 2007 von Evan Thompson, ebenfalls ein gutes Buch abseits des heutigen Mainstreams.

        Ich denke dass dein Fehler eine Repräsentationstheorie des Bewusstseins ist. Du nimmst an, dass Bewusstsein eine innere Repräsentation einer äußeren „realen“ Welt sei und kannst dir nicht vorstellen dass es auch ganz anders funktionieren kann. Die philosophische Vorstellung dass das Subjekt internal das Objekt repräsentieren muss, ja dass es gar nicht anders funktionieren kann, ist einfach so unheimlich verbreitet bei uns im Westen. Das bekommt man kaum noch aus den Köpfen wieder raus. 😉

        Die drei Buchempfehlungen oben erläutern wie man „Bewusstsein“ auch ganz anders auffassen kann.
        Der vor einiziger Zeit verstorbene berühmte Neurowissenschaftler Walter Freeman hat es z.B. auch ähnlich wie Varela gesehen.

        Besten Gruß und schöner Artikel, auch wenn wir inhaltlich wie so oft anderer Meinung sind.
        Philipp der Tafelrunde

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  2. Habe noch was vergessen:
    Qualia ist die subjektive Erlebensseite des Bewusstseins und ist hinter einem subjektiven Code versteckt. Es kann nicht untersucht werden. Alle diesbezüglichen Versuche machen ebenso wenig Sinn, wie die Frage nach dem Grund für das Entstehen des Universums. Und: man darf diese subjektive mit der o.g. objektiven Seite nicht vermischen, sonst wirds crazy.

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  3. Lieber Axel,
    wenn ich dezent darauf hinweisen darf, dass es sich bei meinen Überlegungen weder um ad-hoc Behauptungen noch um Schnellschüsse handelt, da ich mich mit diesen Themen seit 40 Jahren beschäftige – was natürlich nichts über die Güte aussagt.

    Ich versuche, einfache logische Schritte zu vollziehen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Erklärung von Leben nicht im Baustein, sondern in der Struktur liegt – was uns zugegebenermaßen äußerst schwerfällt, da es unserer Intuition widerspricht – wir also sagen, Leben ist Struktur, ist es nicht mehr weit zu der Aussage, das Gehirn ist nur als Struktur zu verstehen (was natürlich nicht bedeutet, dass man die Bausteine – Neuronen etc. – nicht untersuchen müsste). Es dürfte mit Ausnahme von Esoterikern Einigkeit darüber herrschen, dass das Bewusstsein ein Zustand ist, der vom Gehirn erzeugt wird (von wem auch sonst). Logischer Schluss: Struktur erzeugt Bewusstsein. Struktur ist Ordnung. Indem das Gehirn also aus sensorischem Rauschen Ordnung oder Struktur erzeugt, erzeugt es Bewusstsein, also die ‚Gewahrwerdung‘ von Formen. Man könnte auch sagen, Bewusstsein formt die Welt (in unserem Kopf). Wir Menschen verbinden diese ‚Formen‘ mit gesellschaftlichen Bedeutungen in sprachlicher Weise.
    Dieser Zusammenhang ist die Betrachtung ‚von außen‘. Jeder von uns erlebt dieses Erlebnistheater auf seine eigene individuelle, subjektive Weise. Wenn du die Farbe Rot siehst, kannst du es mir sprachlich mitteilen, aber dein Rot kann ich nicht fühlen und genauso wenig wissenschaftlich ergründen. Dieses ‚von innen‘ darf man deshalb nicht in einen Topf werfen mit der Betrachtung von außen, sonst gerät alles durcheinander.

    Da wir es sind, die das alles Empfinden und Erleben, ist es für uns schwer, das einfach hinzunehmen ohne zu fragen, warum wir etwas erleben. Warum ist Wasser nass? Man kann physikalisch die verschiedenen Zustände erklären, aber warum das so ist, dafür kann man keine Erklärung finden. So ist es auch mit der Qualia.

    Wenn wir also – von außen betrachtet – sagen, Bewusstsein entsteht mit Struktur/ Ordnung, dann können wir diese Aussage – ganz undualistisch – sowohl mit neurophysiologischen wie mentalen Inhalten füllen, ohne dass es einen Widerspruch gibt. Ist das nicht schön. 😊

    P.S. Ich möchte mit meinen Überlegungen niemanden missionieren. Betrachte es als Angebot, das man mögen kann oder auch nicht.

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    1. Lieber Wolfgang,
      ich wollte nicht sagen, dass Deine Überlegungen ad-hoc-Thesen sind. Ich habe damit nur sozusagen den ersten Eindruck beim Lesen einzelner Passagen Deines Kommentars wiedergegeben. Aber, wie Du richtig sagst, ist ja ein Kommentar kein Buch und da verkürzt man gezwungenermaßen.
      Ich hätte bis vor einem Jahr auch gesagt, dass Bewusstsein selbstverständlich aus dem Gehirn entsteht. Ich glaube auch jetzt noch, dass es möglicherweise so ist, aber ich bin eben nicht mehr sicher. Wenn dieser Weg funktioniert, dann kann Bewusstsein nur in der Struktur des Gehirns liegen, nicht in den Bausteinen an sich, da bin ich völlig Deiner Meinung. Nur scheint mir der Weg nicht mehr so erfolgversprechend wie früher. Und da Du ja selbst sagst, man müsse die Qualiaproblematik dabei aussparen, finde ich ihn auch nicht sehr befriedigend. Deshalb sollte man m. E. auch Ansätze ernsthaft diskutieren, die nicht von dieser Prämisse ausgehen.
      Wir haben z. B. das ungeklärte Phänomen der Nahtoderfahrungen, das nach meinem Eindruck von der etablierten Wissenschaft in die Schmuddelecke verbannt wurde. Das müsste man mal angehen.
      Und dann ist da noch der Ansatz des Strukturenrealismus, den z. B. Phillip vertritt. Ich habe ihn zwar immernoch nicht so richtig verstanden, aber er meint, dass das Bewusstsein in den Strukturen liegt, aber eben nicht in denen des Gehirns, sondern in denen der Interaktion des Organismus mit der Umwelt. M. E. löst aber auch dieser Ansatz nicht das Qualiaproblem, deswegen bin ich auch damit nicht wirklich glücklich.
      Auf Facebook hat ein Leser meines Beitrags das Bewusstsein mit der dunklen Materie der Kosmologie verglichen. Ungeklärt. Scheint mir kein schlechter Vergleich. Deswegen bin ich etwas skeptisch bei „schnellen“ Antworten.
      Schöne Grüße

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      1. „Und da Du ja selbst sagst, man müsse die Qualiaproblematik dabei aussparen, ….“

        Ich suche immer noch nach einer augenfälligen Argumentation, warum Bewusstsein und Qualia wissenschaftlich nichts miteinander zu tun haben. Es sind halt zwei Bezugssysteme, das erste hat das Hirn zum Gegenstand, das zweite hat MICH zum Gegenstand.
        Wie gesagt, deinen Schmerz werde ich nie fühlen können und damit auch kein anderer und somit auch die Wissenschaft nicht. Also kann er kein Gegenstand von Wissenschaft sein.

        Objektiv betrachtet erlebst du Schmerz, weil du per Geburt Subjekt bist, und zwar ein erlebnisfähiges, da sich sensorische Reize in deinem Gehirn verfangen, dort viele Ebenen ineinander greifen und dir damit ein vieldimensionales Erleben bescheren.

        Natürlich kann Schmerz wissenschaftlich untersucht werden, aber nur als statistische Korrelation in Form sprachlicher Mitteilung oder beobachtbarer Äußerung. Mit dem subjektiven Erleben hat das nichts zu tun.
        Es gibt keine Metaphysik der Qualia.

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      2. Hallo Wolfgang,
        Ja, das Qualiaproblem …
        Wissenschaftlich kann man nur über Dinge sprechen, die eine Beobachetergemeinde wahrnehmen kann, da gebe ich Dir völlig recht. Also, wenn jemand sagt, es gibt im Wald Kobolde, die sofort unsichtbar werden, wenn eine Person in reichtweite ist, kann man da nix zu sagen und sollte es wohl auch nicht.
        Beim bewussten Erleben ist es nicht ganz so, denn jeder beobachtet sein eigenes und man kann mit Hilfe introspektiver Berichte auf das von anderen indirekt zugreifen. Es ist also etwas anderes, wie wenn man über die Bahn eines Planeten spricht, ja, aber es entzieht sich auch nicht völlig der Beobachtung. Insofern würde ich a priori nicht ausschließen, dass man dazu wissenschaftlich sinnvolle Aussagen machen kann.

        Problembeladen ist m. E. Deine Argumentation mit den Bezugssystemen. Du schreibst:
        „Es sind halt zwei Bezugssysteme, das erste hat das Hirn zum Gegenstand, das zweite hat MICH zum Gegenstand.“
        Das ist zwar korrekt, wirft aber sofort die Frage auf: Wer ist MICH bzw. ICH? Philipp und Dirk würden jetzt sofort das böse D-Wort rufen (frei nach Harald Schmidt: „Der hat Dualismus gesagt!!! Der muss weg!“) und damit wäre für sie der Fall erledigt (Philipp, Dirk, ihr dürft gerne mit mir schimpfen, wenn ich zu ungezogen bin).
        Ich sehe das wesentlich entspannter, aber natürlich entstehen daraus weitere, nicht gerade triviale Fragen: Wer oder was ist dieses Ich? Macht es irgend etwas? Falls ja, wie macht es das? Falls nein, warum ist es im Laufe der Evolution überhaupt entstanden (Stichwort: Selektionsvorteil)? Etc.
        Du merkst, damit stehen wir hart am Rand jener Metaphysik der Qualia, die es Deiner Meinung nach nicht gibt.
        Um es mal – halbernst – auf die Spitze zu treiben: Über dem Eingang des Orakels von Delphi standen die Worte: Erkenne dich selbst (im Inneren ging der Satz übrigens weiter: … damit du Gott erkennst). Mehr Bezug zur Metaphysik ist kaum möglich. Wer also „Ich“ sagt, steht bereits mit einem Bein in der Metaphysik. Mir gefällt das übrigens.
        Schöne Grüße

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      3. @Axel

        „zwei Bezugssysteme, ….Er hat Dualismus gesagt!“

        Lieber Axel,
        ich habe mich wahrscheinlich missverständlich ausgedrückt. Mit zwei Bezugssystemen meine ich zwei Maßstäbe. Nehmen wir mein Gehirn. Wenn ich mein Denken und Empfinden beobachte, nehme ich mein ganz persönliches subjektives Qualia-Maßband. Es hat seine eigene Maßeinheit.
        Der Neurowissenschaftler, der auch mein Hirn betrachtet, nimmt sein neurowissenschaftliches Maßband mit ganz anderen Maßeinheiten. Es ist also kein Dualismus, denn wir betrachten mein Hirn, und zwar nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven, sondern auch noch aus unterschiedlichen Bezugssystemen (Maßbänder).
        Dualismus wäre es, wenn jemand sagen würde, man muss beide Maßbänder addieren, um das Gehirn als Ganzes zu verstehen. Als Mathematiker weißt du, dass das nicht geht (Äpfel und Birnen kann man nicht addieren).
        Mit diesem Unsinn schlagen wir uns jetzt schon zweieinhalb Tausend Jahre herum.

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      4. Axel, ich vertrete nicht den ontologischen Strukturenrealismus (OSR).

        Wenn mich ein Philosoph fragt “ja, aber welche Ontologie oder Metaphysik vertreten Sie denn, irgendwas müssen sie doch vertreten?” dann würde ich antworten dass der OSR ontologisch oder metaphysisch vielleicht am besten dem entspricht was ich denke über das hier behandelte Thema denke.

        Aber ich sehe mich nicht als Vertreter des OSR, als jemand der diesen beispielsweise in philosophischen Diskussionen verteidigen müsste.

        Wenn du mich fragst was das Ich bzw. Selbst ist:
        Für mich ist das Selbst/Ich ein Prozess, kein Ding. Stasis bedeutet Tod. Der Organismus nutzt homeodynamische Prozesse: im Gehirn, im Herzen, lokomotorisch, überall.

        Das Ich ist für mich der gesamte Organismus, aber stets in Relation zu seiner Umwelt. Nicht in Relation zu „der Umwelt“, sondern die erschlossene Umwelt des Organismus (ungefähr im Sinne Uexkülls). Wenn du das Ich/Selbst wieder nur im Bezug auf ein „mentales Bewusstsein“ setzt, dann… den Rest kennst du.

        Ich bin ein Organismus der in Relation zu seiner Umwelt steht. Man kann den Organismus auch von seiner Umwelt trennen. Das macht die Wissenschaft. Sie zerteilt und untersucht die Dinge mitunter abgetrennt voneinander. Das mache ich auch wenn ich das Gehirn untersuche, weil es methodisch gar nicht immer anders geht.

        Aber ontologisch sind für mich Subjekt und Objekt eins; ich trenne beides nicht.

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      5. Die Diskussion ist interessant und doch vermisse ich etwas. Es scheint sich immer mehr herauszukristallisieren, dass Information die Basis oder der (Unter-)Bau dieser Welt ist.
        In einem 3D Computerspiel benutze ich einen Körper, der in einer Welt agiert, die zwar beschränkt, aber durchaus Eigenschaften aufweist, denen man sich nicht leicht entziehen kann. Ich kann mich in den Körper (Avatar) hineinversetzen oder aber einen Meter schräg hinter ihm agieren. Ist das nicht eine Nähe zu dem “Nahen Tod“?
        Wenn ich auch für so eine begrenzte Welt eine Super-KI bin, so kann ich doch nicht – durch die Endlichkeit meines Avatars begrenzt – meine Intelligenz voll ausleben.
        Kann ich das in der sogenannten Wirklichkeit vielleicht auch nicht? Bin ich doch vielleicht mehr als mein Kohlenstoff-Wasser-Gebilde?
        Worauf das natürlich hinausläuft ist die Simmulationshypthese.
        Ein Aspekt, der Evolution ist da vielleicht das immer komplexer und umfangreicher werdende Gebilde an Informationen.
        Wie kann man das nur Erreichen? Durch ständigen Wechsel von Harmonie und Disharmonie. Nur so ist Entwicklung möglich. Eine KI , die nicht einen Widerpart hat, der ebenso intelligent ist wird sich nicht entwickeln können und ich bezweifle, dass sie allein je zu Bewusstsein kommen könnte, zumindest zu dem, was wir als Bewusstsein bezeichnen.

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  4. Lieber Axel,

    vielen Dank für Deinen tollen Essay, der Dir scheinbar sehr flüssig aus der Feder geflossen ist, da er sich ebenso flüssig lesen lässt. Ich habe ihn mit großem Interesse und Freude gelesen und wollte als „alte Senftube“auch mal meinen Senf dazu geben ;-).

    Zunächst einmal finde ich klasse, dass Du den Harari mit seinem „Homo Deus“ mal in seiner ganzen göttlichen Pracht erörtert hast. In meinen Essays hatte er ja nur als eine Randfigur eine kleinen Auftritt als „Deus ex machina“. Aber nun mal lieber zum Inhaltlichen zu kommen.

    Das erwähnte Zitat von Harari „Menschen sind Algorithmen, die nicht Tee oder Kaffee produzieren, sondern Kopien ihrer selbst (also eine Art Getränkeautomat, der, wenn man die richtigen Tasten drückt, einen weiteren Getränkeautomaten produziert).“ (S. 135) und Deine Replik hierauf „Sie sind „biochemische Algorithmen“ die sich im Laufe der Evolution entwickelt und optimiert haben und unser Verhalten steuern.“

    Das ist natürlich schon ein „scharfer Tobak“ vom guten, alten Harari, das man so natürlich nicht unkommentiert stehen lassen kann . Man denkt hier natürlich quasi algorithmisch an eine „Mathematiserung des Lebens“ und des Bewusstseins, die schon bereits bei Thomas Hobbes in seinen Grundannahmen zur rationalen Erkenntnis angedacht worden ist, dann im Funktionalimus bei Putnams Identitätstheorie als „Computer-Metapher des Geistes“ „herumspukte“ und schließlich im Computationalismus als Computertheorie der Kognition in der „Neuroinformatik“ oder in der „Computational Neuroscience“ wieder „fröhliche Urständ feiern“.

    Ich glaube aber, dass man hierbei Harari den falschen „Quellcode“ zuordnet, da er den Begriff „Algorithmus“ in Bezug auf den Menschen nicht in einem physiologischen, kognitiven oder evolutionären Sinne versteht, sondern eher im Sinne einer Informationstheorie, aber in der Wienerschen Spielart als Kybernetik, die auf Big Data und Data-Mining aufbaut. Hier wird dann der Algorithmus vom Wheelerschen „It from bit“ in den Quellcode weiter geschrieben. Die Information des Mediums wird nun selber zum „Trägermaterial des Seins“ oder anders ausgedrückt: „Wir sind unsere Informationen.“ Dies knüpft ebenso nahtlos an das große Narrativ des „Big Data“ an. Die Auswirkungen, die ein solches großes Projekt der Menschheit auf die zukünftigen Gesellschaftsformen und die Medienwirklichkeit hat, wurde zum Beispiel schon von Steve Lohr seinem Buch „Data-ism: The Revolution Transforming Decision Making“ (2015) untersucht und genau hierauf weist auch Harari in „Homo Deus“ hin:

    „Der Dataismus erklärt, dass das Universum aus Datenströmen besteht, und der Wert jedes Phänomens oder jeder Entität wird durch seinen Beitrag zur Datenverarbeitung bestimmt“ und „Wir können die gesamte menschliche Spezies als ein einziges Datenverarbeitungssystem interpretieren, wobei der einzelne Mensch als dessen Chip dient.“ (Yuval Noah Harari: „Homo Deus: A Brief History of Tomorrow“, 2017, S.445)

    Aus dieser informationstheoretischen Sicht macht dann die von Dir zitierte Harari Frage „Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?“ (S. 608) auch wieder Sinn, da es nicht um die Physiologie oder die Kognition des Organismus geht, sondern nur um seinen reinen „Informationsgehalt“ (was das auch immer sein mag ;-).

    Man kann hier ja zu der Informationstheorie stehen wie man will, allerdings sind die Konsequenzen, die aus dem Dataismus auf die zukünftigen Gesellschaftsformen und ihre Medienwirklichkeiten in Form einer „starken KI“ zukommen werden, jetzt schon unübersehbar. Wie Florian Felix Weyh dies in seinem 2019 im Deutschlandfunk erschienenen Essay „Philosophie in der digitalen Welt – DigiKant oder: Vier Fragen, frisch gestellt“ dystopisch – ähnlich wie Harari – beschreibt:

    „Die Erste Aufklärung hat Gott vermenschlicht, die Zweite wird den Menschen entgöttlichen; jedenfalls in der Art, in der er sich selbst zum Schöpfer erkor. Mit der Digitalisierung ging er einen Schritt zu weit. Sie veränderte den humanen Code so, dass der Mensch am Ende seine Macht wieder verlieren muss, die er zwischenzeitlich durch die Maschinen gewonnen zu haben schien. Er diffundiert in eine schwer fassbare Entität hinein, in ein vielleicht beglückendes Wir, das ohne Ichs auskommt. Damit entsteht, Ironie der Geschichte, ein echter kollektiver Souverän und kein bloß metaphorischer mehr wie in der parlamentarischen Demokratie. Rückwirkend erweist sich diese Demokratie als Biotop, in dem der massenhaft auftretende, narzisstische Prothesengott am besten gedieh. Im Jahr 2050 wird er fast drei Jahrhunderte lang viel Unheil angerichtet haben. Ist sein Verschwinden Grund zur Sorge? Uns Heutigen, den Akteuren der Übergangsphase, riet jedenfalls 2014 der KI-Forscher Jürgen Schmidhuber zu Gelassenheit: „Umarmen wir das Unvermeidliche!“ Oder schalten wir den Strom ab. (ebd., S. 13)

    Also, ich wäre ehrlich gesagt eher für das „Strom abschalten“ als für das „Umarmen“ der KI. Denn ansonsten kommt es so, wie Du schon treffend hingewiesen:„Ich lasse denken, also bin ich nicht mehr?“ Ich denke also (so lange ich das noch selber kann ;-), es gilt eher ein „Google-Gap“ oder „Facebook-Gap“ in Bezug auf das Bewusstsein zu verhindern.

    Alles weitere vielleicht lieber in unserer hoffentlich baldigen Tafelrunde.

    Liebe Grüße
    Dirk

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    1. Lieber Dirk,
      vielen Dank für Deinen Kommentar.
      Du sprichst da einen wichtigen Punkt an: Ich welchem Sinne verwendet Harari den Begriff Algorithmus? An der Stelle mit dem Getränkeautomat meint er den Begriff, denke ich, tatsächlich „klassisch“ (im Sinne eines Rezepts), denn er paraphrasiert dort das Menschenbild, wie es die Wissenschaft seiner Meinung nach zeichnet. Dafür spricht auch die Stelle, wo er beschreibt, was neuronal passiert, wenn ein Mensch vor einem Löwen flieht. Ist ja im Grunde das Bild von Leibniz mit dem begehbaren Gehrin, wo man nirgendwo den Geist findet. Ja, das kann man als Computer-Metapher des Geistes sehen, aber es ist andererseits natürlich auch schlichte Evolution. Inwieweit die heutige Biologie dieses Menschenbild tatsächlich schon überwunden hat – Du nanntest die Stichwörter Informationstheorie und Kybernetik – wäre eine interessante Frage, wo Du mir, glaube ich, voraus bist. Das sollten wir nochmal erörtern. Die Frage, die sich mir dabei auch stellt, ist natürlich – Du ahnst es – ob sich mit diesem Algorithmenbegriff das Qualiaproblem lösen ließe (das ja für Dich aus irgeneinem Grund, den ich immernoch nicht verstanden habe, gar nicht existiert ;-)).

      Den von Dir zurecht angesprochenen „Dataismus“ habe ich hier nur angedeutet. Der Begriff kommt im Artikel gar nicht vor, aber natürlich in Hararis Buch. Etwa die letzten 50 Seiten handeln davon. Ich hatte mir überlegt – und Dein Kommentar bestärkt mich jetzt darin – darüber noch einen zweiten Teil zu schreiben. Wobei in dem von Dir angeführten Zitat von Weyh die wichtigen Punkte schon angesprochen werden. Das „beglückende Wir, das ohne Ichs auskommt“ ist der Abschied vom Bewusstsein, jedenfalls in seiner individuellen Ausprägung. Der Mensch könnte seine Macht an eine Art digitales Nirvana verlieren (ich habe überlegt, ob ich an dieser Stelle „abgeben“ schreiben soll, aber das würde ja eine bewusste Entscheidung voraussetzen, die gar nicht getroffen wird). Du kennst vermutlich die buddhistische Weisheit:

      Wie kann man verhindern, dass ein Tropfen austrocknet?
      Man gibt ihn ins Meer!

      Aber noch gibt es ja zumindest uns beide Tröpfchen (und natürlich noch einige andere), die nachdenken.

      In diesem Sinne schöne Grüße
      Axel

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  5. Danke Axel! Deine letzten Absätze sollten die Diskussion steuern, analog zum Titel des Essays. Darüber denke ich noch nach, finde es aber gelungen, sich zu fragen, ob das Nutzen der KI eine Gefahr der Abflachung für unser eigenes Denken darstellen kann.

    Insofern frage ich mich auch, im Sinne des Absatzes zu Gutenberg, welches Licht es auf mich wirft, dass ich mir den Essay auf dem Rad mittels der App „Pocket“ vorlesen ließ.
    😀

    Im Prinzip bin ich also bzgl. der Erleichterungen beim Wissenstransfer jenseits der Buchform und des Lesens Optimist. (Mache mir aber Sorgen um die Rechtschreibung bei Schülern!) Beim Thema KI und „Denken lassen“ sehe ich die Gefahren, die auch Harald Lesch einmal aussprach: Wir haben als Mensch nichts davon, von einer KI eine Lösung zu erhalten, für die wir aber keine Gründe mehr nachvollziehen könnten. Ohne die Gründe gleicht es einem Zufallsprodukt, allein durch das Vertrauen in den menschlich vorgeschriebene Algorithmus der Gewichtungen gerechtfertigt. Dann mag das, was die KI berechnet hat, wahr sein, wir müssten es aber einfach akzeptieren. Die Mechanismen des kritisch rationalen Argumentenkampfes ist aber ein wichtiger Baustein unseres Wissens, bin ich mit Popper überzeugt.

    Die KI müsste also Argumente liefern, nicht nur Berechnungsergebnisse.

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    1. Hallo Christian,
      unsere Generation, und Du sicher mehr als andere, hat genug gelesen, um in den Genuss des dadurch entstehenden tieferen Verständnisses zu kommen. Da spricht nichts dagegen, wenn man sich auch mal vorlesen lässt ;-). Aber deswegen ist Dein Hinweis auf die Schüler auch genau richtig. Formal empfängt man beim Vorlesen die gleichen Informationen wie beim Selbstlesen, aber sind es auch dieselben?
      Was Lesch sagt in allen Ehren, ich kann sehr gut nachvollziehen, was er meint und bin mit ihm und Popper d’accord. Aber ich fürchte, er wird Geschwindigkeit des fahrenden Zuges nicht einmal um 1 cm pro Stunde verringern.
      Ich merke gerade, ich klinge viel zu pessimistisch. Vielleicht sollte ich mich auf’s Romane schreiben verlegen?

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      1. Warum sollten Romane pessimistische Luft atmen? Aber ja, Romane von Axel Stöcker wären zu begrüßen!

        Zum ersten Thema glaube ich, dass das Zuhören auch große Vorteile gegenüber dem Lesen hat. „Vorlesung“ war meines Wissens ehemals tatsächlich das Vorlesen von Büchern. Ich schaue mal bei Wikipedia nach, was zum Thema Vorlesung zu finden ist.

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  6. Hallo Axel,

    ich habe gerade deinen neuen Artikel gelesen und möchte kurz zu Harari kommentieren.

    Ein aus meiner persönlichen Sicht bestehendes Problem des Naturalismus, wie ihn anscheinend Harari versteht, ist folgendes:

    Wenn es um die Frage geht was der Mensch, das Leben, oder unser Bewusstsein ist, dann lässt sich dieses Phänomen (oder „die Welt“ allgemeiner formuliert) meiner Ansicht nach nicht im Rahmen einer Metaphysik der westlichen Philosophie, wie die des Materialismus/Physikalismus, etc., verstehen.

    Der Naturalismus, von dem es ohne Frage zig Formen gibt – jeder macht sich eben seine eigene Suppe – geht oftmals hin und eliminiert, ganz schon wie René Descartes, alles Erleben und „subjektive“ aus der Welt. Descartes hat das selbstgeschaffene Problem „gelöst“ indem er das subjektive Erleben auf die Entität der Res Cogitans attribuiert hat.

    Der Naturalismus postuliert nun keine Res Cogitans mehr, aber er geht, ganz so wie Descartes, nach wie vor von einer rein mechanistischen, „objektiven“ und sinnentlerten Welt eines einseitigen Naturwissenschaftlichen Bildes aus.
    Dem Gegenüber stellt der Naturalismus das Bewusstsein, also subjektives Erleben – genauso wie Descartes. Nun möchte der Naturalismus aber letzteres, also Erleben, unsere menschliche Lebenswelt, d.h. unseren Alltag – „das ganz normale Leben“, aus ersterem, also einer rein mechanistischen Welt eines eng umgrenzenten Wissenschaftsverständnis, erklären.

    Genau dieses Unternehmen wird meiner Meinung nach niemals machbar sein oder zum Erfolg führen, da eine solche „Erklärung“ innerhalb dieses Weltgebäudes unmöglich ist.

    Ich kann philosophisch Leben, Bewusstsein, oder unsere menschliche Existenz, nicht mehr „verstehen“ oder „erklären“ (was auch immer unter einer Erklärung hier verstanden wird) wenn ich all dies aus meinem philosophischen Weltbild bereits a priori eliminiert habe.

    Man stellt sich also selbst in eine Sackgasse und versucht dann mit allen möglichen theoretischen Überlegungen dieser wieder zu entkommen, beispielsweise dem Einsatz von „Alogrithmen“ die uns als Lebewesen dann, mehr oder weniger, fundamental erklären oder bestimmen sollen. Es wird nicht funktionieren.

    Gruß,
    Philipp

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    1. Hallo Philipp,

      vielen Dank für Deine anregenden Kommentare. Beim Schreiben des Artikels hatte ich einige Bemerkungen von Dir im Hinterkopf, vor allem die aus der letzten Tafelrunde, man könne statt „Strukturen“ auch „Prozesse“ sagen. Und Du schreibst ja im Kommentar auch:
      „Für mich ist das Selbst/Ich ein Prozess, kein Ding. Stasis bedeutet Tod. Der Organismus nutzt homeodynamische Prozesse: im Gehirn, im Herzen, lokomotorisch, überall […] Ich bin ein Organismus, der in Relation zu seiner Umwelt steht.“
      Ja, das würde ich sofort unterschreiben (es gibt dazu ja dieses – simple, aber ich denke nicht ganz falsche – Bild von der Welle, die ja auch nicht einfach Wasser „ist“, sondern die Art und Weise, wie das Wasser organisiert bzw. strukturiert ist).

      Aber auch wenn ich an dieser Stelle wieder in die Sackgasse der Dualismus und der vom Naturalismus verdrängten Res Cogitans abbiege, muss ich noch einmal einhaken, und zwar bei den Prozessen. „Homeodynamische Prozesse“, also z. B. chemische Gleichgewichte, sind es, über die der Organismus in seine Umwelt eingebettet ist. Das bestreitet ja eigentlich niemand. Was ich mich beim Schreiben nun gefragt habe: Sind diese „Prozesse“ im Grunde nicht das, was Harari – in dem von ihm zugegebenermaßen holschnittartig paraphrasierten Naturalismus – „Algorithmen“ nennt? Geordnete Prozesse, die dem Organismus die Existenz sichern?
      Würdest Du Hararis Schlüsselfrage dann auch als entscheidend betrachten? Und wäre Dein Ansatz vielleicht sogar eine Antwort darauf? Ich will das hier nochmal etwas ausführlicher darstellen: Er kommt auf der letzten Seite zu drei Befunden bzw. Prognosen und drei zugeordneten Fragen. Der erste Befund lautet:

      „1. Die Wissenschaft konvertiert zu einem allumfassenden Dogma, das behauptet, Organismen seien Algorithmen und Leben sei Datenverarbeitung.“ (S. 608)

      Dazu gehört dann die schon im Artikel erwähnte Schlüsselfrage („… die Sie, so hoffe ich, noch lange nach der Lektüre dieses Buches beschäftigen“ wird):

      „1. Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?“ (S. 608)

      Es geht mir nicht darum, Hararis Thesen hier als der Weisheit letzter Schluss darzustellen. Aber ich habe mich tatsächlich gefragt, ob das in Richtung der von Dir erwähnten Probleme der „Metaphysik der westlichen Philosophie“ gehen könnte.

      Für mich bleibt trotzdem – oder gerade dann – das Problem der Qualia bestehen. Aber das spare ich mir bis zur Tafelrund auf 😉. Merlau-Ponty sind 564 Seiten, die sich nicht so schnell lesen wie Harari (ich habe nachgeschaut). Aber vielleicht ist es einen Versuch wert.

      So viel für den Moment.
      Grüße!
      Axel

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      1. Hallo Axel,

        “1. Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?“ (S. 608)”

        Meine persönliche Meinung ist hier: nein. Was sind Daten im Lebewesen; wie definiert Harari Daten im Lebewesen? Welche Messungen hat er selbst vorgenommen oder auf welche Messungen bezieht er sich mit diesen Aussagen? Es kling für mich erst einmal sehr populärwissenschaftlich. Ich finde die Begriffe unpassend im Bezug auf Lebewesen.

        Ich glaube dass ein Problem entsteht wenn wir annehmen dass bestimmte Phänomene eigentlich X oder Y seien. D.h. wenn wir annehmen dass beispielsweise Leben ja eigentlich nur „Datenverarbeitung“ sei.

        Das ist … keine direkte Wissenschaft mehr nach meinem Verständnis … sondern Philosophie …

        Wir gelangen in eine philosophische Diskussion bei der es keinen Boden mehr gibt.

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      2. Harari selbst hat natürlich keine Messungen vorgenommen (Mir fehlt auch die Phantasie für Messungen, die belegen, dass Leben Datenverarbeitung ist. Es scheint mir per se eher ein philosophisches Thma zu sein). Er paraphrasiert in dem Buch das, was seiner Meinung nach die Ansicht des wissenschaftlichen Mainstreams ist.

        Nein – das hätte auch ich intuitiv geantwortet (und ich glaube, Harari auch). Aber die Frage, die dann kommen MUSS, lautet doch: Was dann??
        Gibt es hier jenseits esoterischer Vorstellungen eine befriedigende Antwort. Ich gestehe, dass mir im Moment keine einfällt.

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  7. ich würde gerne, wenns recht ist, einige kleine Anmerkungen zum Thema Bewusstsein machen
    Ich denke, es ist enorm wichtig, dass man bei den Diskussionen die unterschiedlichen Perspektiven und Ebenen auseinanderhält.
    1. Wenn wir über Bewusstsein sprechen, können wir das objektiv tun, ganz egal, ob wir über das Bewusstsein oder über die Qualia im ontologischen Sinn sprechen . Bei Beidem handelt es sich um eine ‚objektive‘ Betrachtungsweise und ist in diesem Fall dasselbe. Davon unterschieden werden muß die Beschreibung der Qualia als Erleben..
    Bewusstsein objektiv bedeutet Beobachtung, Bewusstsein als Qualia bedeutet Erleben. Beides kann nicht in eine logische Beziehung gebracht werden, sondern es sind zwei Welten. Das mögliche Gegenargument, man habe es ja bei beiden mit Bewusstsein zu tun, ist keines. Es wäre so, als würde ich sagen, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, regnet es draußen. Bei beiden geht es um Wasser, aber es besteht keine logische Beziehung zwischen beiden.
    Wenn ich Qualia von der objektiven Seite beschreiben soll, sage ich, Qualia entsteht, als Bewusstsein, durch Herstellung von Ordnung/ Struktur. In dem Augenblick, wo Reize strukturiert werden, empfinde ich. Bewusstsein ist für mich die Gesamtheit von Denken und Empfinden und ist ein und dasselbe unter jeweils anderer (sprachlicher) Gewichtung.
    2. Die Sicht aus unterschiedlichen Perspektiven ist noch kein Dualismus. Ich kann den selben Gegenstand physiologisch oder psychologisch beschreiben. Dualistisch wird es erst dann, wenn ich sage, zur Physiologie muss das Mentale hinzu addiert werden.
    3. Die Aussage, dass zum Mentalen das Körperliche gehört, wird schnell zur Binsenweisheit, wenn nicht konkretisiert wird, was analytisch damit gemeint ist. Dasselbe gilt für den Umweltbezug. Beides würde selbst der eingefleischte Empiriker nicht leugnen.
    4. Mein Vorschlag ist, nur inhaltlich, nicht epistemisch zu argumentieren, da Etiketten mehr zudecken als erhellen.
    @Philipp, wenn du sagst, für dich gibt es keinen Unterschied zwischen Subjekt (hier: Mensch) und Objekt (hier: Umwelt), dann denke bitte an ein autopoietisches System, das abgeschlossen vonn der Umwelt ist und natürlich Energie und Information austauscht. Subjekt und Objekt kann logisch nicht dasselbe sein.

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    1. Wolfgang, die weiter oben von Axel gestellte Frage, die ja von Harari in seinem Buch gestellt wurde (so wie von vielen anderen), nämlich warum es nicht denkbar wäre dass die Interaktion von Lebewesen mit der Umwelt, beispielsweise die des Menschen, nicht auch ohne „Bewusstsein“ möglich sei, beruht meiner Ansicht nach bereits auf einem implizit eingeschobenen Dualismus zwischen Erleben und physiologischen Prozessen des Körpers. Ansonsten käme man gar nicht mehr auf die Idee eine solche Frage zu formulieren.

      Lass es mich nachfolgend erläutern (du/ihr müsst ja nicht zustimmen ;)).

      Die Frage kann nur gestellt werden wenn man davon ausgeht dass der Organismus bzw. das Nervensystem „Informationen“ doch eigentlich völlig ohne Erleben auf dieser Interaktionsebene „verarbeiten“ kann. Diese Informationsverarbeitung ohne Erleben wäre dann theoretisch ausreichend für eine erfolgreiche Interaktion mit der Welt. Daher die Frage: warum der ganze Quatsch, wozu das „Bewusstsein“?
      Damit zusammen hängt bereits eine philosophische Sicht auf das Gehirn und auf das was es macht.

      Mein Standpunkt: das „Bewusstsein“ ist der physiologische Prozess und es gibt dahinter keine „unbewusste Informationsverarbeitung“ auf dieser Entwicklungsebene bzw. dieser Ebene in der Mensch-Umwelt Interaktion. Deshalb habe ich Bewusstsein immer in Anführungszeichen gesetzt, da Bewusstsein für mich eine Art des physiologischen Prozesses ist (nicht ein physiologischer Prozess wie wir ihn in der Dritten-Person Perspektive beobachten, sondern der lebende und echte Prozess, nämlich der Prozess aus Sicht des Organismus – das ist das Wunder der Natur sozusagen, das Leben und Erleben).

      Wenn man aber die Welt dualistisch trennt in:
      1. Rein objektiv-mechanistische Prozesse einerseits (der Körper sowie physiologische Prozesse des Nervensystems)
      2. Rein subjektiv-erlebbare Prozesse andererseits (das „Bewusstsein“, Qualia, etc.)

      dann wird man natürlich in alle möglichen philosophischen Probleme fallen. Dann ist das Tor zum Leib-Seele Problem weit offen und der ganze Rattenschwanz an weiteren Problem die aus diesem Problem folgt ist schier unendlich. Man wird beide Seiten nie mehr verbinden können, da man die Welt bereits a priori in zwei Seiten zerschnitten hat.

      Der Materialismus/Physikalismus ist nun der versuch Punkt 2 aus Punkt 1 zu erklären oder besser zu verstehen. Es kann nicht gelingen, da eben selbst die Materialisten für mich verkappte Dualisten sind (siehe Bennett und Hacker, die haben es lustig crypto-cartesianism genannt).

      Deshalb sind Formen des Naturalismus, die annehmen, dass die Beobachtung der Dritten-Person Perspektive eigentlich fundamental sei, und das Erleben nur sekundär ist, für mich eher ein „Antinaturalismus“. Sie abstrahieren von der realen Welt quasi in wissenschaftliche und philosophische Abstraktionen weg. Diesbezüglich hat der weiter oben von Axel zitierte Hoimar von Ditfurth ein paar sehr gute Dinge geschrieben.

      Natürlich gibt es epistemologische, phänomenologische, methodologische etc. Unterschiede. Natürlich arbeitet der Philosoph auf der Ebene A, der Psychologe auf der Ebene B, und der Neurowissenschaftler auf der Ebene C.

      Persönlich stimme ich nicht überein wenn man hier ein ontologisches bzw. metaphysisches Problem aufmacht. Die Wissenschaft kann daran nichts ändern. Man könnte alle Prozesse im Gehirn erklären und verstehen. Aber wenn jemand die Thematik im Framework des Leib-Seele Problems betrachtet, dann wird diese Person niemals mit irgendwelchen empirischen Befunden oder „Antworten“ zufrieden sein. Die Person wird immer wieder auf das Hard problem etc. verweisen.

      Es reicht wenn man sich einmal auf Youtube Videos anschaut in denen Philosophen mit Neurowissenschaftlern diskutieren. Viele Philosophen interessieren die empirischen Befunde gar nicht wirklich. Sie pressen den Wissenschaftler nur immer wieder auf ihre philosophischen Probleme auf die es keine Antworten gibt.

      Philipp

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      1. Hallo Philipp,
        ich bin mir nicht sicher, ob und inwieweit wir in unserer Auffassung differieren oder übereinstimmen.
        Für mich ist der Unterschied zwischen 1. und 3. Person-Perspektive tatsächlich nur eine Frage der Perspektive. Und die sollte man nicht vermischen.
        Ich habe ja gesagt, Qualia, also das ganz persönliche Erleben und das ganz persönliche subjektive Denken, ist ein und dasselbe. Diesen Satz kann ich genauso von der 3. Person Perspektive formulieren. Dann steht da nicht ‚mein persönliches Erleben oder Denken‘, sondern Bewusstsein (Denken und Empfinden, was dasselbe ist) entstehen dadurch, dass das Hirn Strukturen bildet (Ordnung schafft) aus chaotischen Reizen (von innen und von außen) und damit ontologisch Denken und Empfinden (Bewusstsein) generiert.
        [Hier darf man nicht den Fehler machen zu fragen, warum das so ist].
        Da sehe ich keinen Dualismus und auch keine Gefahr, in einen hinein zu rutschen.
        Im übrigen glaube ich, dass man das Gehirn im Besonderen und das Leben im Allgemeinen nur aus Sicht einer systemtheoretischen Betrachtung verstehen kann, denn Leben bzw. Bewusstsein ist nun mal System.
        Ich habe z.B. versucht, den ganzen ‚Körper‘ durch die verschiedenen phylogenetisch entstandenen Regulationsebenen ins Spiel zu bringen und denke darüber nach, wie diese Ebenen ineinander greifen. Mehr ‚Körper‘ geht nicht. Dasselbe versuche ich mit der ‚Umwelt‘, die in Form von sozialen Bedeutungen zu uns gelangt (zusammen mit all den anderen ‚Objekten‘).
        Aber dennoch kann ich die innere Dynamik des Gehirn versuchen zu beschreiben, ohne Neurozentrist zu sein. Oder käme man auf die Idee, einem Kardiologen Kardiozentrismus vorzuwerfen?
        Du hattest ja bereits gesagt, die (empirische) Untersuchung des Gehirns erfordere methodisch das Ausklammern anderer Einflussgrößen.

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      2. Hallo Wolfgang,

        danke für Deinen Kommentar. Ich bin ja in unserer Runde derjenige, der (vielleicht neben Christian) am wenigsten Probleme mit dem Dualismus hat. Für die anderen scheint es ein ko-Agrument zu sein. (Deshalb mein scherzhaftes, abgewandeltes Schmidt-Zitat: Er hat D… gesagt).

        Aber davon abgesehen: Wenn ich Philipp richtig verstehe, unterstellt (?) er Dir Dualismus, weil Du recht unkritisch von „ich“ redest. Wer ist ich? Sobald Du sagst, wir betrachten das Gehirn/das Bewusstsein (bei Dir ist das ja eng verzahnt) einerseits von außen und andererseits von Innen („ich“), hast Du natürlich einen Dualismus. Wie ich in einem anderen Kommentar sinngemäß schrieb: wer „ich“ sagt, muss „innere Repräsentation“ sagen und muss erklären, wie sie entsteht. Damit sind wir tatsächlich im Dualismus und in der ganzen Problematik, die Phillip umgehen will.

        Wie gesagt: Ich habe Zweifel, ob man die Problematik mit dieser Umgehung löst. Aber ich verstehe andererseits schon, dass Philip das als Dualismus bezeichnet.

        Ok, keine Annung, ob das wirklich hilfreich war. Ich habs versucht.
        Gruß
        Axel

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      3. Hallo Axel,
        ich fürchte, ich habe mich immer noch nicht klar genug ausgedrückt. Ein Mangel, der mir anhaftet. Leider habe ich nicht das Geschick, so populär zu schreiben wie Harari.
        Meinen ICH-Begriff beziehe ich nicht auf innen oder außen, sondern es ist ein funktioneller Systemaspekt. Wenn du Lust auf ein Bier hast, dann sagst du, ICH habe Lust auf ein BIer, du sagst nicht, meine Neuronen haben entschieden, ein Bier zu mögen. Diese phänomenal beobachtbare Erfahrung lässt den Schluss zu, dass es etwas gibt, das ich ICH nenne. Ich habe es erklärt als Agglomeration von Metastrukturen (kann man teilen oder nicht), die dazu führen, dass ein Kind sich etwa ab dem 2. Lebensjahr selbst erkennt (z.B. im Spiegel). Mit Dualismus hat das nichts zu tun.

        „Sobald Du sagst, wir betrachten das Gehirn/das Bewusstsein (bei Dir ist das ja eng verzahnt) einerseits von außen und andererseits von Innen („ich“), hast Du natürlich einen Dualismus.“

        Nein, ganz bestimmt NEIN! Die Betrachtung ein und derselben Sache aus verschiedenen Perspektiven hat absolut nichts mit Dualismus zu tun.
        Ich kann das Gehirn physiologisch, psychologisch oder sonstwie betrachten und verwende dafür die jeweilige Fachsprache. Ich kann das Gehirn von innen und von außen betrachten. Und, jetzt kommts, ich kann mein Gehirn erleben (Qualia), was etwas völlig anderes ist, als die Betrachtung. Nichts davon ist dualistisch.
        Eine dualistische Gehirntheorie hat immer das Problem, zu erklären, wie Körper und Geist zusammenhängen.
        Bei mir ist der Geist (Bewusstsein) eine Eigenschaft des Gehirns – mehr nicht. Egal, von welcher Seite man es betrachten mag.

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  8. Wolfgang,

    wenn du animmst dass Bewusstsein, beispielsweise die visuelle Wahrnehmung eines gesunden Menschen im Wachzustand (und nicht im Traum), im Gehirn lokalisiert ist, dann hast du ein philosophisches bzw. metaphysisches Problem.

    Im Schädel und im Gehirn ist es dunkel. Neurophysiologische Aktivität „leuchtet“ nicht.

    Wie kommst du aus diesem metaphysischen Problem jemals wieder raus? Ich kenne deine Ansicht halbwegs, aber sie umgeht oder löst dieses Problem meiner Meinung nach nicht. Ich habe dieses Problem so in dieser Form nicht, da ich, an dem Beispiel oben festhaltend, ohnehin nicht denke dass die visuelle Wahrnehmung nur auf das Gehirn lokalisiert ist.

    Das meinte ich mit dem Einbezug der Umwelt weiter oben. Das „Sehen“ ist nicht in der Umwelt, es ist auch nicht im Gehirn, sondern es ist ein relationer Prozess zwischen Organismus und Umwelt. Der physische Prozess selbst ist das sehen, und es gibt keine mentalen Abbilder.

    Philipp

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    1. Hallo Philipp,
      natürlich glaube ich nicht, dass im Gehirn ein Bild entsteht, wie in einer Kamera Obscura, und erst recht ist da kein Licht. Wie kommst du darauf, dass ich so was absurdes denke?
      Wenn ich einen Baum sehe, dann gelangen die Impulse über die Nervenbahnen ins Gehirn und erzeugen dort funktionelle Muster (also kein Bild und auch kein gegenständliches Muster), also eine funktionelle Struktur in der Form, dass bestiommte Neuronen feuern.
      Und jetzt wirds schwer: dieses Muster ist genau das, was mein Bewusstsein, meine Qualia ausmacht. Es braucht nichts weiter. Dieses Muster ist mein Erleben. Dazwischen ist nichts.
      Daraus ziehe ich den Schluss, zentrale Nervensysteme erzeugen Erleben eines Subjekts. Wie gesagt, die Frage, warum das so ist, kann man zwar stellen, aber sie ist genau so unbeantwortbar, wie etwa die Frage, warum das Universum existiert. Die einzige Frage, die man beantorten kann, ist, wie geschieht dies. Und da ist meine Antwort, durch Bildung von Ordnung/ Strukturen und im weiteren von Metastrukturen.
      Ich habe da kein dualistisches und auch kein metaphysisches (was soll das eigentlich sein?*) Problem.
      *Wenn du den Begriff Metaphysik verwendest, glaubst du an das Ding an sich, ansonsten braucht es keine jenseitige Physik, auch nicht im Sinne des noch nicht erforschten.
      Wir können das aber im Zoomposium weiter besprechen.

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      1. Du setzt voraus dass es eine Innenseite im Gehirn gibt, nämlich die des bewussten Erlebens.
        Dafür gibt es keine einzige empirische Evidenz.

        Es ist egal welche Begriffe du dafür verwendest. Ob du das Erleben „funktionelle Muster“ oder mentale Bilder nennst ist mir nicht wichtig und darum geht es nicht. Mir geht es nicht um die Begriffe per se. Ich möchte nicht auf Begriffen rumhacken, damit du mich nicht falsch verstehst.

        Wir Erleben Phänomene, kein Aktionspotentiale. Im Gehirn findest du aber nur Strom und Chemie, keine Phänomene.

        Du sagst, dass Erleben im Gehirn sein. Das, was wir als Phänomen erleben, sei identisch mit diesen neuronalen Mustern. Oder: das, was wir Erleben, ist dieses neuronale Muster.

        Das ist Metaphysik. Die Neurowissenschaften werden das niemals widerlegen noch beweisen können. Das ist so wie wenn ich behaupte es gibt Gott. Wissenschaft kann hier nichts mehr tun.

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      2. Hallo Philipp,

        Du sagst, „Du setzt voraus dass es eine Innenseite im Gehirn gibt…“
        Nein, ich setze voraus, dass es ein Gehirn gibt.
        Du sagst, „Wir Erleben Phänomene, kein Aktionspotentiale. Im Gehirn findest du aber nur Strom und Chemie, keine Phänomene.“

        Wie kommst du darauf, dass wir Phänomene erleben. Wir erleben Aktionspotentiale und interpretieren sie als Phänomene. Unser Gehirn erzeugt diese Phänomene erst, indem es aus eingehenden Impulsen Muster erzeugt, aus Sicht des Organismus ist das Ordnung.

        Du sagst, „Die Neurowissenschaften werden das niemals widerlegen noch beweisen können.“
        Empirie kann im Bereich des Lebendigen nichts beweisen, sie kann eine Theorie nur bestätigen oder sagen, so kann es nicht sein. Die empirischen Daten passen in mein Modell gut hinein. Das tun sie aber auch bei allen anderen Modellen.

        Ich sehe da keine Metaphysik. Die entsteht nur, wenn man etwas hineingeheimnisst. Aber da gibt es kein Geheimnis.

        Nochmal: mit Beginn des phylo- bzw. ontogenetischen Lebens haben wir es mit Subjektivität zu tun, also einem Subjekt, denn es agiert und ist damit Subjekt seiner Handlungen. Im Gegensatz zur toten Materie, die einfach nur so rumliegt.
        Beim Menschen bzw. zentralen Nervensystemen entwickelt sich bzw. konkretisiert sich dieses Subjekt zum ICH. Das heißt, das Nervensystem beginnt damit, sich in sich selbst zu spiegeln, was ab etwa zwei Jahren dazu führt, dass ein Kind Ich sagt bzw. sich im Spiegel erkennt. Dieser Selbstbezug führt quasi zur Interpretation von Reizen als ‚Phänomen‘ für mich. Ich interpretiere eine Reizkaskade als etwas, was für mich wichtig ist. Ich habe dieses ‚Phänomen‘ als Muster bezeichnet, im weiteren als Metastruktur, die ich gerne nochmals erläutere, hinter der aber auch keine Metaphysik steckt, sondern eine ganz banale Erklärung, wie die grade genannte.
        Der ganze Prozess ist natürlich genetisch gespeichert und läuft daher immer gleich ab.

        Der grundlegende Denkfehler der meisten Bewusstseinsmodelle liegt im kausalen Denken. Wir versuchen Bewusstsein als Ursache-Wirkungs-Kette zu beschreiben. Das ist falsch. Reize lösen bereits Bewusstsein aus. Das Gehirn strukturiert sie lediglich und interpretiert diese Muster als ‚Phänomen‘.

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  9. Hallo Wolfgang,

    ich nehme dein Angebot gerne an. Wir können das beim nächsten Treffen (oder übernächsten) weiter besprechen (nach dem die anderen Punkte der Menüliste von Dirk durch sind 😉 ).
    Ein letzter Punkt von mir hier in Axels Blog auf deinen Beitrag.

    Du schreibst:
    “Wie kommst du darauf, dass wir Phänomene erleben. Wir erleben Aktionspotentiale und interpretieren sie als Phänomene. Unser Gehirn erzeugt diese Phänomene erst, indem es aus eingehenden Impulsen Muster erzeugt, aus Sicht des Organismus ist das Ordnung.”

    Ich glaube nicht dass das Gehirn aus „Aktionspotentialen“ bzw. aus seiner neuronalen Aktivität „Phänomene“ bzw. das „Bewusstsein“ erzeugt. Wenn wir von erzeugen sprechen, dann klingt das für mich wieder dualistisch, so als ob das Gehirn das Bewusstsein schafft. Ich weiß, man wird jetzt den Kopf schütteln und denken „Mensch Philipp, du alter Begriffereiter… …ist ja nicht auszuhalten mit dir!“. Aber so wie du es formulierst ist es für mich im Framework des Leib-Seele Problems gedacht. Ich sehe das philosophisch anders.

    Ich nehme folgendes an: neuronale Aktivität und Bewusstsein sind epistemische aber nicht ontologische Unterschiede. Hier stimmst du, soweit ich dich verstehe, mir wohl mehr oder weniger zu. Man würde jetzt annehmen „mhh Philipp, das klingt nach einer Form der Identitätstheorie der Philosophie des Geistes“. Diese vertrete ich nicht. Ich muss also weiter ausholen.

    Das, was wir Bewusstsein nennen, ist für mich der dynamische Prozess zwischen dem Nervensystem und der Umwelt/Welt. Erleben ist immer über uns in Relation zur Welt. (Hier stimmst du mir wahrscheinlich so nicht mehr vollständig zu.)

    Ontologisch lässt sich unser Erleben also nicht nur auf das Gehirn reduzieren, da Gehirnaktivität, die mit Bewusstsein korrespondiert, stets ein Integral aus Spontanaktivität sowie interozeptiven und exterozeptiven Stimuli/Inputs ist, selbst im Schlaf wenn wir träumen.
    Man müsste hier aber für die empirischen Details weiter aufrollen und das geht über einen Blog in dem wir philosophisch diskutieren hinaus. Außerdem würden auch die empirischen Daten nicht reichen meine Position „zu beweisen“. Das ist klar.

    Ich nehme nach wie vor stark an dass der Rahmen, in dem diese Frage heute primär diskutiert wird, falsch ist. Wenn ich frage „wie hängt das Bewusstsein mit dem Gehirn zusammen“ beginne ich schon dualistisch. Die richtige Frage wäre für mich „wie muss das Nervensystem mit der Umwelt interagieren, damit Erleben möglich wird“. Diese Interaktion ist meiner Auffassung nach das Erleben. Mit anderen Worten: Bewusstsein existiert so wie es viele verstehen nicht. Aber auch diesen Satz von mir könnte man jetzt falsch verstehen.

    Das ist sowohl empirisch als auch philosophisch anders gedacht als es das Leib-Seele Problem angeht.

    Philipp

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    1. Hallo Philipp,
      „Ein letzter Punkt von mir hier in Axels Blog auf deinen Beitrag.“
      OK, dann hier eine letzte Erwiederung:
      Du sagst,“Das, was wir Bewusstsein nennen, ist für mich der dynamische Prozess zwischen dem Nervensystem und der Umwelt/Welt. Erleben ist immer über uns in Relation zur Welt.“
      Ich denke, der Umweltbezug ist keine Spezifik des Bewusstseins, sondern des Lebens allgemein, denn es existiert in einer Umwelt und muss sich mit dieser auseinander setzen. Von daher sehe ich das eher als Selbstverständlichkeit an und nicht als spezifischen Gegenstand der Neurowissenschaft und der Philosophie des Geistes, dieser ist dort aber das Gehirn selbst, so wie der Gegenstand des Kardiologen das Herz ist.
      Stell dir vor, du liegst auf dem Sofa, die Augen sind zu, und du denkst dir die verrücktesten Geschichten aus. Es gibt keinen Stimulus von außen und trotzdem erlebst DU Bewusstsein und kombinierst deine ‚Muster‘ völlig beliebig zu tollkühnen Abenteuern.

      Ich denke, Bewusstsein, so wie ich es verstehe, findet ausschließlich in diesem unglaublich kompakten und komplexen Organ namens Gehirn statt.

      Wir diskutieren dann in vivo weiter.
      Grüße
      Wolfgang

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