Kein Denken ohne Fühlen? – Teil 2 – Marc Solms im Gespräch über „rohe Gefühle“ und ihr Beitrag zum Bewusstsein

„Ich fühle, also bin ich“, so haben wir kürzlich unser Gespräch mit Prof. Achim Stephan überschrieben. Nach unserem Interview mit Prof. Marc Solms von der Universität Kapstadt könnte man diesen Satz noch mit einem Wort konkretisieren: Ich fühle, also bin ich bewusst. Bewusste Erlebnisse gebe es nämlich nur dann, wenn sie über Impulse aus dem Hirnstamm, dem Sitz der Triebe und Gefühle, aktiviert würden. Das, so Solms, sei empirisch belegt:


„Es ist nicht möglich, kortikale Prozesse zu haben, die bewusst sind, wenn sie nicht vom Hirnstamm aktiviert werden und die Aktivierung des Hirnstamms ist affektiv [ein Affekt ist eine Gefühlregung, die von physiologischen Erscheinungen begleitet wird – A. S.]. Dies sind zwei unwiderlegbare Tatsachen. Das zeigt uns, dass die grundlegende Form des Bewusstseins Affekte sind, Gefühle, rohe Gefühle.“

Ein Gedanke, der auch im Lichte der Evolution Sinn ergibt, denn die vegetativen, „unbewussten“ Funktionen sind früher entstanden sind als die bewussten. Verdauen können schon Mehlwürmer, ganz ohne Großhirn und Bewusstsein und auch der Mensch erledigt diesen Vorgang in der Regel unbewusst. Bewusstsein – was immer das genau ist – tauchte erst später in der Entwicklung des Lebens auf und muss daher auf bereits Vorhandenem aufgebaut und es im Sinne der Spezies verbessert haben. Anders ausgedrückt: Bewusstsein muss ein Selektionsvorteil gewesen sein.

Worin der besteht, das ist Gretchenfrage, auf die Marc Solms im Interview ebenfalls eine spannende Antwort parat hat, die es Wert wäre, breit diskutiert zu werden. Schauen Sie hier den Trailer zum Video, das wie immer Dirk Boucsein und ich zusammen geführt haben.

Kein Denken ohne Fühlen? – Teil 1 – Achim Stephan im Gespräch

Gefühle und Gedanken, Emotion und Ratio, Rausch und Rationalität, Herz und Hirn – da gibt es so einen Dualismus, der unser Leben, ja, unsere Gesamte Kultur durchzieht. Die Griechen beschrieben diese beiden Qualitäten durch das Götterpaar Dionysos und Apollon. Dionysos stand für die Freude, den (Wein-)Rausch und die Ekstase, die immer auch das Chaos und den Wahnsinn in sich trägt, während Apollon Harmonie, sittliche Reinheit, Mäßigung, Rationalität und Ordnung symbolisierte.

Empfinden tun dies die meisten Menschen heute noch so, selbst wenn sie mit der Götterwelt der Griechen nichts mehr am Hut haben, weshalb die meisten Menschen so etwas wie „fühlende Dualisten“ sind, was uns auch Prof. John-Dylan-Haynes im Interview bestätigte. Ob dieses Gefühl aber das Abbild einer dualistischen Realität ist oder ob der Schein trügt, ist eine der ältesten und umstrittensten Fragen der Philosophie und inzwischen auch der Hirnforschung. Hängen Gefühle und Bewusstsein vielleicht viel stärker zusammen, als wir annehmen? Sind sie gar so etwas wie zwei Seiten derselben Münze?

Grund genug für Dirk Boucsein und mich auf unserem YouTube-Kanal Zoomposium zwei Experten zu diesem Thema zu befragen. Im ersten Teil sprachen wir mit Prof. Achim Stephan von der Universität Osnabrück über die Frage, wie Gefühle unser Denken beeinflussen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Philosophie des Geistes, und dort besonders die Emergenz, Emotionen und Affektivität.

Zum vollständigen Interview geht es hier.

Zwischen Physik und (Para-)Psychologie – Walter von Lucadou im Gespräch

Nein, es hat nicht gespukt im Studio vom Zoomposium, aber wir haben Walter von Lucadou trotzdem angerufen. Der Physiker und (Para-)Psychologe, der seit 30 Jahren die parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg im Breisgau leitet, konnte schon bei vielen seiner Klienten paranormale Phänomene zum Verschwinden bringen. Für die Erklärung derartiger Ereignisse bezieht sich der Träger zweier Doktortitel aber nicht auf spiritistisches oder okkultes Gedankengut, sondern auf Naturwissenschaft und die Systemtheorie. Wir sprachen mit ihm über die Welt zwischen Physik und Psychologie, Verschränkungen zwischen Personen, Telepathie und sich spontan entzündende Jalousien.

Ach ja, und ein kleines Problem von Dirk (von philosophies), der wie immer zusammen mit mir das Interview führte, konnte Herr von Lucadou dann doch lösen. Sehen Sie dazu auch unseren Teaser:

Zum vollständigen Interview geht es hier.

„We are robots made of robots made of robots“ – Daniel C. Dennett im Gespräch

Wir hatten ja schon die Ehre mit einigen große Namen beim Zoomposium: Wolf Singer, Gerhard Roth, John-Dylan Haynes … Aber wenn man mir vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass wir darüberhinaus einen der bekanntesten Vertreter der Philosophie des Geistes, der auch noch auf der anderen Seite des großen Teichs lebt, interviewen werden – ich hätte nur schmunzelnd abgewunken.

Aber jetzt ist es passiert. Das bewährte Team aus Dirk Boucsein von philosophies und meiner Wenigkeit hat diesen „dicken Fisch“ an Land gezogen. Daniel C. Dennett, Großmeister des Naturalismus, bekannter Qualiaeliminierer und diskussionsfreudiger Gegenpol zu David Chalmers hat uns Rede und Antwort gestanden. Warum Willesfreiheit und „hard problem“ Scheinprobleme sind, wie wir uns – wenn überhaupt – von Robotern unterscheiden und warum wir angesichts der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz äußerst vorsichtig sein sollten – all das hören Sie in unserem Interview. Hier wie üblich der Trailer. Zum vollständigen Interview geht es hier.

Der Meister der Worte – Ein Nachruf auf Peter Bieri alias Pascal Mercier

„Lieber Herr Stöcker, haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie können das Buch gerne an mich schicken – ich werde es dann an Peter Bieri weiterleiten.“ Die Mitarbeiterin des Carl Hanser Verlags, bei dem Nachtzug nach Lissabon 2004 erschienen ist, war sehr freundlich. Das war am vierten Mai dieses Jahres. Ich hatte gerade meinen Roman Balduins Welträtsel veröffentlicht, in dem Bieris berühmtes Trilemma eine zentrale Rolle spielt. Nach einer Recherche im Netz war mir klar: Pascal Mercier, so Peter Bieris Pseudonym als Romancier, lebt zurückgezogen und meidet die Öffentlichkeit. Aber vielleicht schnuppert er ja in das Buch hinein, so meine stille Hoffnung, und schreibt mir eine kurze Email und sei es nur aus schweizerischer Höflichkeit. Dann hätte ich versucht, ihn zum Zoomposium einzuladen. Anfang Mai wusste ich noch nicht, dass diese Hoffnung unerfüllbar sein würde, denn Peter Bieri verstarb am 27. Juni 2023 mit 79 Jahren in Berlin.

Wenn man das zentrale Thema von Pascal Merciers Leben auf einen einzigen Begriff bringen wollte, dann wäre das sicherlich der Begriff Sprache. So träumt der Protagonist seines letzten Romans Das Gewicht der Worte (2020) davon, die Sprachen aller an das Mittelmeer angrenzenden Länder zu lernen und liebt es, Antiquariate nach alten Grammatiken zu durchstöbern. Doch die Sprache war nicht nur ein Erkennungszeichen des Schriftstellers Pascal Mercier, sondern auch des Philosophen Peter Bieri. Er wolle kein einziges Wort verwenden, das nicht jedermann versteht, soll er einmal gesagt haben. Das ist ein ehrenwertes, aber in der Philosophie des Geistes, jenem Biotop für Wortungetüme und gestelzte Formulierungen, fast schon wieder verstiegenes Unterfangen, bei dem man sich unweigerlich fragt, ob es überhaupt erfüllbar ist. Über Bieri darf man wohl sagen, dass er diesem Ideal erstaunlich Nahe kam. Sein philosophisches Hauptwerk Das Handwerk der Freiheit von 2001 ist nicht nur eine brillante Einführung in die „Entdeckung des eigenen Willens“ in einer von deterministischen Anschauungen geprägten Zeit, sondern auch ein Lehrbuch darüber, wie man philosophische Gedanken in verständlicher und gleichzeitig schöner Sprache formuliert. Eine Kostprobe:

„Wir empfanden uns als Teil der Natur und gleichzeitig als frei und verantwortlich, und nun stellt sich heraus, daß die beiden Dinge nicht zusammengehen, wobei es unmöglich erscheint, das eine für das andere zu opfern.“

Sprachlich schön und bis heute aktuell ist auch Bieris Aufsatz „Was macht Bewußtsein zu einem Rätsel?“ von 1994, in dem er das berühmte „Qualiaproblem“ erklärt, auch wenn dieser Begriff dort noch gar nicht auftaucht. Wie schon im Bieri-Trilemma (1981, ich habe mich hier schon einmal ausführlich damit beschäftigt)  und im „Handwerk der Freiheit“ geht es auch dabei vor allem um zwei Fragen, die in Bieris philosophischem Werk immer wieder eine Rolle spielen:

  • Warum sind mache physiologischen Prozesse (im Gehirn) von Erleben begleitet und andere nicht?
  • Wie kann Erleben in unserem Verhalten kausal wirksam werden? (Problem der mentalen Verursachung)

Bieri geht alle Erklärungsansätze durch, bis hin zu der Möglichkeit, sich die Frage einfach „abzugewöhnen“.

„Es ist Zeit, sich daran zu erinnern, daß Rätsel nicht auf der Straße liegen, daß sie nicht etwas sind, was es in der Welt einfach so gibt. Ein Phänomen, ein Sachverhalt ist stets nur rätselhaft vor dem Hintergrund bestimmter Erwartun­gen des Erklärens und Verstehens; und die können, wie andere Erwartungen auch, berechtigt sein oder unangebracht. Ist es vielleicht so, daß wir einfach zuviel erwarten, wenn wir unbedingt verstehen wollen, in welcher Weise die materiellen oder die funktionalen Eigen­schaften des Gehirns – oder beide zu­sammen – das Entstehen von Erleben notwendig machen?“

Doch er verneint dies schließlich und endet mit den Worten:

„Ich habe das Rätsel des Bewußtseins nicht gelöst. Natürlich nicht. Aber ich hoffe, Sie sehen jetzt besser, worin es besteht und welche Rolle es spielt in unserem Denken über die Welt und uns selbst. Das wäre nicht wenig. Und mehr hat der Titel ja auch nicht versprochen.“

Im letzten Drittel seines Lebens entfernte sich Peter Bieri zunehmend vom akademischen Betrieb und wandte sich dem Schreiben von Romanen und der Poesie zu. Es ist kein Geheimnis, dass dies nicht völlig reibungslos über die Bühne ging. Er war der Ansicht, die Analytische Philosophie verlöre sich in artifiziellen, zum Selbstzweck gewordenen Begriffswelten und Begründungskonstruktionen und bezahle dies mit einer inhaltlichen Leere hinsichtlich der existenziellen Grundfragen. Man könnte auch sagen: Es würden zu viele eitle Sprechblasen produziert. So ist Bieris erster Roman Perlmanns Schweigen denn auch eine Satire auf den universitären Betrieb. Man ahnt, warum er sich ein Pseudonym zulegte.

Der Philosophie blieb Bieri jedoch treu. Die existenziellen Fragen wie Wer bin ich? sind für ihn letztlich nur in der Fantasie und damit der Poesie zu beantworten. (Denn Poesie in Sprache gegossene Fantasie und für Sprache ist Biere Experte.) Oder, anders ausgedrückt:

„Nichts sagt mehr darüber, wer wir sind, als die Geschichten, die wir erfinden.“

Pascal Mercier, Das Gewicht der Worte

Wobei „beantworten“ nicht ganz das richtige Wort ist, „ergründen“ wäre vermutlich besser, denn

„Es geht nicht darum das Mysterium zu verstehen, es geht darum, es zu leben.“

ebenda

Solche Sätze hat nun mancher seinerseits als eitle Sprechblase abgetan. Die Kritiker haben vor allem Merciers spätere Romane zum Teil des Kitsches bezichtigt. Das dürfte ihm, spätestens nachdem Nachtzug nach Lissabon in 32 Sprachen übersetzt und verfilmt worden ist, egal gewesen sein.

Ich persönlich denke, dass Peter Bieri seine sprachliche Klarheit und Brillanz in sein belletristisches Werk hinübergerettet hat. Ich finde dort immer wieder Gedanken, die ich auch schon gedacht, aber noch nie so klar formuliert habe. So sollte Literatur sein. Man wird sowohl Peter Bieri als auch Pascal Mercier noch für sehr lange Zeit lesen.

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Weitere Links:

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Foto: YouTube-Screeshot

Die Simulation des Bewusstseins – Petra Ritter im Gespräch

Prof. Petra Ritter ist Leiterin der Sektion für Gehirnsimulation an der Berliner Charité. Charité? Hatten wir – Dirc Boucsein von philosophies und ich – da nicht vor Kurzem schon jemanden interviewt? Natürlich! „Ist Ihr Interview mit John schon draußen? Er arbeite nur ein paar Türen weiter, aber wir sehen uns fast nie.“ Ja, Forschung ist zeitintensiv, das haben wir sowohl bei Frau Ritter, als auch bei John-Dylan Haynes gemerkt. Umso dankbarer waren wir, dass beide sich kurz nacheinander die Zeit für uns nahmen.

Mit Petra Ritter sprachen wir unter anderem über die Frage, ob Interviews bald von Chatbots statt von Bloggern geführt werden können und wie Intelligenz den Entscheidungsfindungsprozess beeinflusst. Zumindest auf die letzte Frage gab es eine überraschend einfache Antwort. Aber sehen Sie selbst den Trailer (zum vollständigen Interview geht es hier).

100. Beitrag: John-Dylan Haynes im Gespräch

Dies ist der 100. Beitrag auf diesem Blog. Es hätte keinen besseren Interviewpartner treffen können als John-Dylan Haynes, den ich wie immer zusammen mit Dirk Boucsein von philosophies.de interviewen durfte. An Haynes‘ faszinierenden Experimenten habe ich mich schon in den Anfangszeiten dieses Blogs abgearbeitet (hier und hier) und in meinem Roman Balduins Welträtsel wird kontrovers über sie diskutiert. Allen voran das „Duell Mensch gegen Maschine“ – ein Hauch von High Noon in der Neurowissenschaft. Daher stand Haynes auf meiner persönlichen Wunschliste der Interviewpartner ganz weit oben.

Getroffen haben wir einen sympathischen und bescheidenen Wissenschaftler, der sich selbst einen Empiriker nennt, sich aber über die philosophischen Konsequenzen seiner Experimente mehr Gedanken gemacht hat als mancher andere, so mein Eindruck. Und jemand, der seine eigenen früheren Aussagen reflektiert. Manche Ergebnisse würde er heute weniger deterministisch auslegen als damals. Aber schauen Sie selbst. Hier wie immer der Trailer. Das vollständige Interview gibt es auf dem YouTube-Kanal Zoomposium.

Führt mehr (künstliche) Intelligenz zu (künstlichem) Bewusstsein? – Prof. Dimitri Coelho Mollo im Gespräch

Im Interview, das Dirk Boucsein von Philosophies und ich führten, ging es auch dieses Mal wieder um aktuelle Fragen künstlicher Intelligenz und künstlichem Bewusstsein. Professor Dimitri Coelho Mollo, Wissenschaftsphilosoph mit Spezialisierung auf Künstliche Intelligenz und Kognitionswissenschaft, fragten wie unter anderem, wie man diese beiden Begriffe voneinander abgrenzen könne. Als Gast-Interviewer unterstützte uns dieses Mal Yervant Kulbashian (Engineering Manager bei einer kanadischen KI-Plattform). Vielen Dank!

Coelho Mollo ist Gebietskoordinator des Centre for Transdisciplinary AI (TAIGA) an der Umeå University (Schweden) und externer Principal Investigator am Science of Intelligence Cluster (Berlin). Seine Forschung konzentriert sich auf grundlegende und erkenntnistheoretische Fragen innerhalb der künstlichen Intelligenz und der Kognitionswissenschaft und sucht nach Wegen, unser Verständnis von Geist, Kognition und Intelligenz in biologischen und künstlichen Systemen zu verbessern.

Wie immer kann man hier über unseren Teaser in hineinschnuppern. Das vollständige Interview findet sich hier auf unserem Kanal Zoomposium.

Ein philosophischer Roman und zwei Klappentexte

Es ist soweit! Der schon mehrfach angekündigte Roman ist raus! In Balduins Welträtsel – Das Körper-Geist-Problem und die Liebe geht es, wie schon der Untertitel sagt, um zwei große – vielleicht die größten – menschlichen Rätsel. Der Klappentext verrät folgendes:

Balduin Schönwald arbeitet als Neurowissenschaftler an einem renommierten Institut und versucht, eines der letzten Welträtsel zu lösen: die Natur des menschlichen Bewusstseins. Bei einem Experiment während einer Gehirnoperation macht sein Team eine spektakuläre Entdeckung. Haben sie die Seele aufgespürt? Balduins Überzeugungen geraten ins Wanken, doch als die Journalistin Sara Almeida am Institut auftaucht und sich für das Experiment interessiert, erkennt er, dass es noch größere Rätsel gibt.

Balduins Welträtsel, Klappentext

Nun ist es kein Geheimnis, dass Klappentexte so etwas wie der kleinste gemeinsam Nenner sind, um möglichst viele Leser anzusprechen. Für die Leser dieses Blogs und alle, die in den Problemkreis Bewusstsein-Qualia-Willensfreiheit schon ein wenig eingedrungen sind, daher hier ein etwas tiefergehender, alternativer Klappentext:

Das Forschungsteam um den verträumten Mathematiker Balduin Schönwald hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen die Natur des menschlichen Bewusstseins enträtseln. Das nach dem bekannten Philosophen Peter Bieri benannte Bieri-Trilemma soll gelöst und die Frage, ob der Geist ein Produkt des Körpers ist oder nicht, endlich beantwortet werden. Ein Experiment während einer Gehirnoperation, das der ebenfalls berühmte Neurowissenschaftler Benjamin Libet kurz vor seinem Tod vorgeschlagen hat, soll Klarheit schaffen. Dabei machen sie eine spektakuläre Entdeckung.
Der unerwartete Ausgang des Experiments verwirrt Balduin. Die Beziehung zwischen Geist und Körper scheint ihm mysteriöser denn je. Als dann die Journalistin Sara Almeida am Institut auftaucht und ihn zu dem Experiment befragt, merkt er allerdings, dass es noch größere Rätsel gibt, und dass das Verhältnis zwischen Körper und Geist nicht nur beim Bewusstsein, sondern auch in der Liebe ungeklärt ist.

Balduins Welträtsel war nahe daran, einen Verlag zu finden. Es gab Literaturagenten, die sich die Zeit nahmen, das ganze Manuskript zu lesen. So weit muss man auch erst mal kommen. Am Ende sollte es nicht sein, aber das ist in Ordnung. Die (Post-)Moderne hat auch ihr Gutes und so kann man Balduins Welträtsel hier als E-Book oder gebundenes Buch bestellen und damit auch diesen Blog unterstützen. Aber nun genug der Geschichten über Klappentexte und Literaturagenten. Lesen Sie hier das erste Kapitel und kaufen Sie danach. Tauchen Sie ein in zwei große Mysterien der Menschheit.

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„Gehirn: das Instrument, mit dem unser Geist Musik macht.“ Karl R. Popper

„In den besseren Stunden aber wachen wir soweit auf, dass wir erkennen, dass wir träumen.“ Ludwig Wittgenstein

„Der Geist baut ein Luftschiff. Die Liebe aber macht gen Himmel fahren.“ Christian Morgenstern


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“I am doing science on the mind and the brain …”

Dieser Hirntumor war ein Glücksfall! Balduin blätterte in der Patientenakte. Er tat es nur, um die Zeit zu überbrücken, denn er kannte die Akte praktisch auswendig. Der Tumor hatte das Sehzentrum der Patientin befallen. Das Sehzentrum! Da eine Chemotherapie erfolglos geblieben war, musste es operativ entfernt werden. Das war exakt das, wonach sie gesucht hatten.

Was für die Ärzte ein Misserfolg war, das war für Balduin und sein Team eine Chance, denn er war kein Arzt, er war Hirnforscher im Institut am anderen Ende der Stadt. Genau genommen war Balduin Mathematiker und Philosoph. Vor zwei Jahren war er jedoch zu diesem Projekt gekommen, in dem die Natur des menschlichen Bewusstseins enträtselt werden sollte. Es ging um uralte Fragen: Woher stammt der Geist? War er ein Produkt des Gehirns, wie die meisten Wissenschaftler annahmen, oder doch etwas Eigenständiges? Balduins normaler Arbeitsalltag fand zwischen Hirnscannern, Computern und Büchern statt, doch heute würde es blutiger zugehen, denn sie brauchten ein abgetrenntes Sehzentrum, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Er hob seinen Blick und schaute durch die Glaswand in den Operationssaal. Die Patientin war bereits narkotisiert. Drei Ärzte standen in weißen Kitteln um sie herum und trafen Vorbereitungen.

„Jetzt kommt der unangenehme Teil.“ Eva-Maria, die biologisch-technische Assistentin des Teams, schaute ebenfalls gespannt auf die Szenerie. Balduin sah ihr Nicken im Reflex der Glasscheibe. Er mochte ihre Stupsnase. Wenn das Experiment so ausginge, wie sie erwartete, stünde die Hirnforschung Kopf, so viel war sicher. Eva-Maria war überzeugt, sie standen kurz vor der Entdeckung der Seele. Sie war die Einzige aus der Arbeitsgruppe, die diesen Gedanken auszusprechen wagte, wenn sie in den Pausen im Institutsgarten ihren Kaffee schlürften. Die anderen belächelten sie hinter vorgehaltener Hand dafür, besonders natürlich Waldemar. Sie waren sich einig, dass es bei dem Experiment keine Überraschungen geben konnte – jedenfalls sagten sie das. Alles andere hätte schließlich die gültige Theorie in Frage gestellt, nach der Bewusstsein ein Produkt des Gehirns war.

Der Chirurg begann mit der Trepanation. Kein Anblick für zarte Gemüter. Trepanation kam vom lateinischen Wort trepanum – und das bedeutete Bohrer. Balduin senkte den Blick und sah auf das Foto der Patientin. Ihm ging es um das Experiment und seine Forschung, dennoch ließ ihn ihr Schicksal nicht kalt. Dafür war er bei aller wissenschaftlichen Zielstrebigkeit viel zu zart besaitet. Er hatte im Auftrag des Instituts die Verbindung zu ihr hergestellt. Außenkontakte waren seine Sache. Kohlstätter, sein Chef, meinte, er habe ein Händchen dafür. Das Rätsel des Bewusstseins und das ganze Forschungsprojekt waren ihm angesichts ihrer gesundheitlichen Probleme mit einem Schlag so unbedeutend vorgekommen. Er bewunderte ihre Tapferkeit. Als er ihr alles erklärt und sich schließlich zu der Frage durchgerungen hatte, ob sie für das Experiment zur Verfügung stünde, hatte sie nur geschmunzelt. Das wäre kein Problem, da sie die OP ohnehin über sich ergehen lassen müsste, böte es sich doch an, der Wissenschaft damit einen kleinen Dienst zu erweisen.

Sie hatte es ihm leicht gemacht. Wie schon mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur und ihrer unaufgeregten Art hatte sie ihn damit an Angelika, seine Verflossene, erinnert. Balduin hatte sie vor etwa drei Jahren – er war gerade dabei gewesen, seiner Doktorarbeit den letzten Schliff zu verpassen – bei einer Studentenfete auf einem abgelegenen Bauernhof kennengelernt. Trotz mäßiger Musik hatten sie ein paar Mal getanzt. Als er dann zu angeheitert gewesen war, um noch nach Hause zu fahren, hatte sich herausgestellt, dass sie einen großen Schlafsack dabeihatte.

Angelika war pragmatisch und betrachtete die Dinge meist von ihrer funktionalen Seite. Das galt auch für ihr Verhältnis zu Sex. Balduin mochte das, er war schließlich ein Mann. Aber zu behaupten, dass dies der Grund für ihre Beziehung gewesen sei, wäre ungerecht. Er hatte sie aufrichtig gemocht und zuvorkommend behandelt, wie es seine Art war. Ob er sie auch geliebt hatte, war indes eine schwierige Frage für einen Philosophen. Einmal waren sie nach einem Bachkonzert – es war die Ouvertüre in C-Dur – bei einem Glas Wein zusammengesessen. Balduin war noch immer den Tränen nahe gewesen, als sie begonnen hatte, von einem Problem mit ihrer Waschmaschine zu berichten. Da hatte er sich zum ersten Mal einsam in der Zweisamkeit gefühlt. Dennoch hatte es ihn schwer getroffen, als sie ihn zwei Monate später wegen eines Juristen hatte sitzen lassen. Er war auf Arbeitssuche gewesen und hatte die Wahl zwischen einem gut bezahlten Job bei einer Versicherung und dem Bieri-Projekt gehabt, für das er sich schließlich entschied. Niemand hatte das Geist-Gehirn-Problem so prägnant formuliert wie Peter Bieri in seinem Trilemma. Angelika hatte ihm natürlich zu der Stelle bei der Versicherung geraten. Den Geist erforschen, das könne nicht gutgehen, hatte sie zu ihm gesagt. Aber da er ein Träumer sei, werde er ohnehin dieses „komische Projekt“ wählen, da sei sie sicher.

Seine Entscheidung hatte er dann als Single treffen müssen. Bis heute ärgerte ihn die Leichtigkeit, mit der sie seine Wahl damals vorhergesehen hatte. War er so einfach zu durchschauen? Wo war sein freier Wille? Er hatte sich für das Bieri-Projekt entschieden, nicht, weil es „irgendwie dubios“ gewesen wäre, wie Angelika es nannte. Das Gegenteil war der Fall. Es war Forschung an einem der ältesten Rätsel überhaupt, einem Welträtsel sozusagen. Das war keine Träumerei, sondern die Chance bei etwas Großem dabei zu sein. Auch wenn Angelika nichts davon verstand, er würde ihr das Paper unter die Nase halten, sobald sie eine bedeutende Entdeckung gemacht hatten.

Inzwischen war die Trepanation beendet. Der Schädel der Patientin war geöffnet und der Narkosearzt machte sich an einigen Schläuchen zu schaffen. Es würde nicht mehr lange dauern. Eva-Maria schaute Balduin fragend an. Sollten sie jetzt den anderen Bescheid geben? Er nickte ihr zu und sie griff nach ihrem Handy, um eine WhatsApp zu senden.

Eva-Maria hatte mit ihrem andächtigen Blick und ihren langen, glatten Haaren eine Ausstrahlung, die gut zum zweiten Teil ihres Vornamens passte. Sie besaß eindeutig mehr Maria- als Eva-Anteile, wozu ihre Erziehung vermutlich das ihre beigetragen hatte. In einer evangelikalen Gemeinde auf dem Dorf aufgewachsen, war sie Anhängerin der Intelligent-Design-Theorie, nach der die plausibelste Erklärung für die Entstehung des Menschen im Alten Testament, genauer gesagt, im Buch Genesis zu finden war. Fragen nach dem Alter der Erde pflegte sie auszuweichen. Ob das auch ursächlich für ihre gescheiterte Kurzzeitehe gewesen war, war schwer zu sagen. Jedenfalls hatte ihr frisch gebackener Ehemann nicht nur sie, sondern gleich die ganze Gemeinde kurz nach der Vermählung sitzen lassen. Dieser Schicksalsschlag hatte sie aber nicht davon abgehalten, ihre Ausbildung zur biologisch-technischen Assistentin abzuschließen. Viele am Institut konnten nicht nachvollziehen, wie jemand mit solchen Ansichten biologisch-technische Assistentin werden konnte, weshalb Eva-Maria oft im Mittelpunkt der Gespräche stand – jedenfalls dann, wenn sie nicht anwesend war. Wie auch immer, sie gehörte zu Balduins verlässlichsten Arbeitskollegen.

Ein Knacken ließ Balduin aufhorchen. Der riesige Monitor an der Seitenwand des Raumes wurde eingeschaltet. Ab jetzt konnten sie dort jedes Detail der Operation in Ton und Bild verfolgen. Der geöffnete Schädel der Patientin erschien. Balduin hatte freien Blick auf die gewundenen Strukturen des rätselhaftesten Organs des Menschen.

Da ging die Tür auf. Professor Ehrenhardt, der Direktor des Instituts, kam herein, gefolgt von Kohlstätter, dem Projektleiter und Waldemar. Waldemar war Physiker und Informatiker, Balduin hatte ihn im Studium bei einem Seminar über Turing-Maschinen kennengelernt. Als er zum Projekt gekommen war, war Waldemar schon am Institut angestellt gewesen und war eigentlich mit der Programmierung neuronaler Netze beschäftigt. Ehrenhardt wollte ihn jedoch ebenfalls beim Bieri-Projekt haben, so dass Waldemar schließlich wechselte, wenn auch nicht ganz freiwillig. Er fand das Projekt „ein bisschen spiritistisch“, wie er sich in Abwesenheit Ehrenhardts gelegentlich ausdrückte. Jedenfalls waren Balduin und Waldemar sich so wieder begegnet. Inzwischen waren sie Freunde.

Aus dem Lautsprecher tönte die Stimme des Chirurgen: „Wie geht es Ihnen?“ Die Frage war an die Patientin gerichtet.

„Habe mich nie besser gefühlt! Und selbst?“ Balduin zuckte zusammen. Auch wenn er gewusst hatte, dass sie die Patientin wecken würden, kam es ihm jetzt, nachdem er die Trepanation mit eigenen Augen gesehen hatte, unwirklich vor, wie sie putzmunter mit dem Chirurgen scherzte. Es war nicht ungewöhnlich, dass solche Operationen bei vollem Bewusstsein durchgeführt wurden. Das Gehirn erzeugte das Schmerzempfinden für den gesamten Köper – außer für sich selbst. Es war komplett gefühllos. Eine Musikerin hatte einmal bei einer solchen OP gesungen, während ihr ein Hirntumor entfernt wurde. Dadurch konnten sich die Chirurgen sicher sein, dass sie den auditiven Cortex nicht verletzten, der für das musikalische Können der Patientin unerlässlich war.

Heute hätte man die Patientin in der Narkose belassen können, wenn nicht das Experiment gewesen wäre. Das war der kritischste Punkt, den Balduin ihr hatte erklären müssen. Wer möchte schon, dass man ihm bei vollem Bewusstsein am Hirn herumschnippelt? Er hatte ihr das Video gezeigt, auf dem die Musikerin während der Operation „Take me home, country roads“ trällerte. Sie hatte nur genickt. Eine toughe Person!

Auf dem Monitor war nun ihr Gesicht zu sehen. Sie trug eine schwarze Stoffbrille, denn es durfte keinerlei Licht in ihre Augen dringen, das war für das Experiment entscheidend. Danach zeigte der Schirm wieder ihr Gehirn. Balduin spürte, wie die Spannung bei den Anwesenden zunahm. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Der Chirurg hantierte eine Weile mit verschiedenen Geräten herum, dann gab er das verabredete Zeichen. Er hatte den entscheidenden Schnitt gesetzt. Auf dem Bildschirm erkannte man ein Stückchen graue Masse, das nur noch durch einen schmalen Steg mit dem Rest des Gehirns verbunden war. Es war das Sehzentrum. Dieser kleine Hirnlappen war jetzt vom Nervensystem der Patientin getrennt, wurde aber noch durch ihre Blutgefäße versorgt. Ein Stück lebendes Gehirn ohne neuronale Verbindung zu einem Körper!

Der Assistenzarzt hielt zwei haarfeine Elektroden in die Höhe und blickte durch das Glas in ihre Richtung. Kohlstätter nickte ihm zu. Professor Ehrenhardt fixierte das Geschehen im OP wie jemand, der auf keinen Fall eine Sensation verpassen wollte. Kohlstätter gab sich wie immer unbeeindruckt, aber auch bei ihm registrierte Balduin eine ungewöhnliche Anspannung der Gesichtsmuskeln. Eva-Maria hatte glasige Augen und selbst Waldemar schien nervös. Sein überlegenes Lächeln wirkte aufgesetzt. In Balduin herrschte ein Chaos aus sich einander widersprechenden Empfindungen. Ein Gefühl war dabei dominant, doch er war sich nicht sicher, wie er es benennen sollte. War es Hoffnung?

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Balduins Welrätsel – Das Körper-Geist-Problem und die Liebe, ISBN: 9798390510803
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Ist künstliches Bewusstsein möglich? – Dieter Birnbacher im Gespräch (Video)

In Zeiten, in denen ChatGPT in aller Munde ist, durften Dirc Boucsein von philosophies und ich einen Experten in Fragen des Transhumanismus und deren ethischer Bewertung befragen. Mit Prof. Dieter Birnbacher sprachen wir über die Frage, ob der Materialismus das menschliche Bewusstsein erklären kann, ob ChatGPT vielleicht eines Tages bewusst wird und ob der Epiphänomenalismus ein befriedigende Erklärung für der Orgasmus liefert. In folgenden Teaser kann man wie immer hineinschnuppern. Zu vollständigen Interview geht es hier.

Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher, Jahrgang 1946, ist ein deutscher Philosoph mit den Schwerpunkt Ethik. Er befasst sich unter anderem mit Problemen im Spannungsfeld von Transhumanismus und Biokonservativismus: Inwieweit dürfen und sollen wir die Natur des Menschen verändern? Hat die Unterscheidung von Künstlichkeit und Natürlichkeit ethisches Gewicht? Weitere Schwerpunkte sind Probleme des Epiphänomenalismus, Emotionstheorien und Schopenhauerforschung. Er ist außerdem Vizepräsident der Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. und der Schopenhauer-Gesellschaft und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung.