Logo des Blogs „philosophies“ von Dirk Boucsein

Für die jungen Leute ist es selbstverständlich andere „im Netz“ kennenzulernen, zu treffen oder zu „daten“. Da wird dann vorher erst mal per App abgecheckt, ob der oder die andere auch zur eigenen Peergroup gehört. Jedenfalls stelle ich mir das in meiner Ahnungslosigkeit ungefähr so vor. Meine Generation ist da noch anders gepolt. Bei uns musste das Leben noch ohne Netz funktionieren (manchmal tut es das auch heute noch) und Begegnungen waren nicht planbar und hatten daher immer auch etwas schicksalhaftes.

Manchmal kommt aber auch beides zusammen. Ich stieß vor kurzem bei Facebook auf die Seite eines Philosophieblogs und da fiel es mir gleich ins Auge: Bieri-Trilemma, Qualia, Geist-Gehirn-Problem… Das sind doch auch Schwepunktthemen bei mir. Dann – ganz modern per Skype – mit dem Blogger Kontakt aufgenommen und es stellte sich heraus: Es gibt noch mehr Parallelen. Alter, Beruf, früherer Berufswunschn, Interessen… Gleiche Peergroup, ganz ohne App.

Natürlich nicht wirklich ein Doppelgänger. Die Themen behandelt Dirk Boucsein auf seinem Blog „philosophies“ aus einer ähnlichen Perspektive, aber nicht derselben. Grund genug jedenfalls, ihm die „großen Fragen“ zu stellen.

Wofür lassen Sie alles stehen und liegen?

Wenn es etwas Leckeres zu essen oder zu trinken gibt. Draußen die Sonne scheint. Oder am besten, wenn alle drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind. Also draußen picknicken im Sonnenschein.

Welche Themen interessieren Sie am meisten?

Die Grenzbereiche zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, weil ich selber aus so einem Grenzbereich komme und nie verstanden habe, warum man eine solche Grenze gezogen hat. Zum Beispiel im Bereich der Philosophie des Geistes und seiner Schnittstelle zur Neuro- und Kognitionswissenschaft wird ganz klar deutlich, dass die eine Wissenschaft ohne die andere gar nicht kann und im höchsten Maße Interdisziplinarität gefragt ist.

Welcher Wissenschaftler fasziniert Sie besonders?

Eigentlich keiner, höchstens Stephen W. Hawking, aber eigentlich eher wegen seiner Lebensgeschichte. Dass es ihm trotz – oder gerade wegen – seiner ALS-Erkrankung gelungen ist, sich über sein Schicksal hinweg zu setzen und solch große Leistungen im Bereich der Theoretischen Physik erbracht hat. Hawking hat mal gesagt, dass er aufgrund seiner motorischen Erkrankung gezwungen war bildlich statt sprach-schriftlich zu denken. Das fand ich sehr interessant und inspirierend auch hinsichtlich der Funktionsweise unseres Gehirns.

Und welcher Philosoph?

Wenn überhaupt dann Michel Foucault und seine anderen Kumpels vom französischen Poststrukturalismus (Derrida, Deleuze, Lacan), weil ich hier in der Diskursanalyse während meines Studiums zum ersten Mal ein passendes Werkzeug gefunden habe, um zum Beispiel Macht- und Wissensfrage (gehört ja zusammen: Wissen ist Macht 😉 besser untersuchen zu können. Das hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und jetzt vermute ich hinter allem eine Struktur (just kidding).

Welche drei Bücher würden Sie den Lesern des Blogs der großen Fragen empfehlen?

Puh, schwierig sich auf 3 Bücher zu reduzieren. Aber dann würde ich tatsächlich mal die drei nehmen, die ich zur Zeit auch immer mal wieder in die Hand nehme und die auch nicht Gefahr laufen langweilig zu werden:
1. Michel Fouault, Archäologie des Wissens
2. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode und
3. Stephen W. Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit.

Welche Musik mögen Sie?

Eigentlich fast alles, aber hauptsächlich Depeche Mode.

Auf welchem Gebiet herrscht heutzutage die größte Unwissenheit?

Die größten Entdeckungen sind meines Erachtens noch im Bereich der Hirn- und Kognitionsforschung zu erwarten, da wir von der adäquaten Beschreibung der Funktionsweise unseres Oberstübchen noch Lichtjahre entfernt sind. Wir wissen noch viel zu wenig, wie der Geist in die Flasche oder besser gesagt in die Materie kommt. Sehr spannendes Thema, das aber auch leider mit sehr viel Unwissenheit verknüpft ist. Besonders die Hybris des Materialismus/Physikalismus des naturwissenschaftlichen Lagers macht die Sache nicht einfacher, sondern führt zu populärwissenschaftlichen Fehldeutungen.

Was macht eine Frage bedeutend?

Dass sie etwas Existenzielles besitzen muss. Reine Scholastik ist langweilig und ermüdend. Sie muss der Impuls für neue Fragen sein und am besten noch eine Auswirkung auf das reale Leben haben.

Eine Fee verspricht Ihnen die Antwort auf eine beliebige Frage. Was fragen Sie?

Bist du echt? Ne, verdammt, dann ist sie wahrscheinlich schon weg. Dann vielleicht: „Was passiert mit mir, wenn ich tot bin?“

Wo sehen Sie Grenzen menschlicher Erkenntnis?

Die sind aus meiner Sicht sehr schnell erreicht. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen zu behaupten, alles, was wir erkennen können, sind wir selbst. Also im Sinne Hans Blumenbergs als postulierter Anthropozentrismus finden wir bei all unseren Forschungen zu der Wirklichkeit und den letztendlich absoluten Wahrheiten nur uns selber immer wieder. Ich will nicht soweit gehen und von Solipismus sprechen, aber wenn einer mit absoluten Wahrheiten gerade in der Ontologie und Epistemologie daherkommt, werde ich immer sehr skeptisch.

Jemand erklärt Ihnen, die Frage nach Gott sei belanglos. Was antworten Sie?

Okay, kein Problem oder besser gesagt, Dein Problem. Wir sprechen uns wieder, wenn der Sensenmann an der Tür klopft. Ich halte Glauben für etwas sehr Persönliches um nicht zusagen Privates. Ich gebe offen zu, auch wenn es momentan moderner ist Atheist zu sein, dass ich zum Glauben an Gott gefunden habe. Ich habe nur weiterhin meine Probleme mit der Kirche.

 Welche Bedeutung hat der Tod für Sie?

Oh, ich glaube, das ist aus meinen vorherigen Antworten ablesbar. Ich will mich nicht wiederholen, sondern nur ergänzen, dass der Tod etwas Elementares im Leben darstellt. Er hat zunächst einmal etwas Finales und macht aus diesem Grunde, das Leben und Erleben aber umso kostbarer. Ich habe nicht das Ziel sehr alt zu werden, eher nach der Devise: kurz und heftig als lang und langweilig. Also, wenn es soweit ist, will ich sagen: „Ich habe gerne gelebt, jetzt reicht es aber auch.“
PS: „Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder ;-)“

Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

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