Patrick Krauss, das ist der Mann, „der künstliche Intelligenz und Hirnforschung auf eine Weise verbindet, die selbst ein neuronales Netzwerk beeindrucken würde“. Diese Einschätzung von ChatGPT würde ich sofort unterschreiben, nachdem ich vor Kurzem das Vergnügen hatte, ihn zusammen mit Dirk Boucsein auf unserem Kanal Zoomposium zu interviewen. Von ChatGPT war dabei häufig die Rede. Der Chatbot habe erstmals den Turing-Test bestanden, meinte Herr Krauss. Ich war nicht restlos überzeugt und bin es auch jetzt noch nicht, wenn ich sehe, was ChatGPT sonst noch über den KI-Experten und Buchautor von der Uni Erlangen geschrieben hat: „Wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, die Grenzen des menschlichen Wissens zu erweitern, findet man ihn wahrscheinlich beim Versuch, den perfekten Espresso zu brauen oder seine neueste Entdeckung in der Welt der Humor-Comedy zu genießen.“

Möglich, dass ChatGPT mir Kenntnisse über Krauss‘ kulinarische Vorlieben voraus hat. Ein Gegenprobe bei Google (einige erinnern sich noch an diese gute, alte Suchmaschine) mit den Schlagwörtern „Patrick Krauss Espresso“ ergab allerdings keinen Treffer und was „Comedy“ angeht, legt eine kurze Recherche nahe, dass die KI Patrick Krauss mal eben bei „Patrick Krause Comedy“ verortet hat. Mir scheint: Googeln können Menschen bisher noch besser als KI.

Sicher ist dagegen, dass Patrick Krauss gerade ein lesenswertes Buch bei Springer veröffentlicht hat: Künstliche Intelligenz und Hirnforschung heißt es. Wer gesicherte Informationen über den Mann haben will, der Bücher über dieses hochaktuelle Thema schreibt, wendet sich aber einstweilen noch besser an diesen Blog als an ChatGPT. Patrick Krauss hat dankenswerterweise unsere „großen Fragen“ beantwortet.

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Wofür lassen Sie alles stehen und liegen?

Meine Kinder.

Welche Themen interessieren Sie am meisten?

Als Wissenschaftler interessieren mich Themen am Schnittpunkt von Kognitions- und Neurowissenschaft, Künstlicher Intelligenz und Sprache. Zum Beispiel:

Wie funktioniert das Gehirn? Wie funktioniert Kognition? Was ist Intelligenz? Wie kann man das Gehirn nachbauen oder simulieren? Was lernen wir daraus für die Künstliche Intelligenz, und umgekehrt, was lernen wir von der Funktionseise der KI über das Gehirn? Wie entsteht Bewusstsein? Können Maschinen Bewusstsein haben? Wie entstand Sprache? Wie funktioniert Sprache? Wie wird Sprache im Gehirn repräsentiert, verarbeitet und erzeugt?

Privat interessiere ich mich auch für grundlegende Fragen wie: Was ist Realität? Was sind die Grenzen unserer Erkenntnis? Was ist Zeit? Was ist Materie? Was ist die Natur des Universums (oder Multiversums)? Wie entstand das Leben? Gibt es außerirdisches Leben?

Welcher Wissenschaftler fasziniert Sie besonders?

Karl Friston, mit dem ich schon die Ehre und das Vergnügen hatte gemeinsam zu arbeiten. Sein Wissen und sein Arbeitspensum sind immens.

Und welcher Philosoph?

Daniel Dennet und David Chalmers wegen ihrer tiefgründigen Beiträge zur Philosophie des Geistes, insbesondere in Bezug auf das Bewusstsein.

Welche drei Bücher würden Sie den Lesern des Blogs der großen Fragen empfehlen?

„On Intelligence“ von Jeff Hawkins. Darin entwickelt er eine sehr bemerkenswerte, relativ einfache und universelle Theorie der Funktion der Großhirnrinde.

„Ich fühle, also bin ich“ von Antonio Damasio. Meiner Ansicht nach die vielversprechendste, mechanistischste und gleichzeitig am meisten unterschätzte Theorie des Bewusstsein.

Und mein eigenes Buch über „Künstliche Intelligenz und Hirnforschung“. Für alle die wissen möchten, warum beide Disziplinen sich gegenseitig brauchen und in Zukunft immer mehr verschmelzen werden.

Welche Musik mögen Sie?

Jazz

Auf welchem Gebiet herrscht heutzutage die größte Unwissenheit?

Als gelernter Physiker würde ich tatsächlich sagen in der Theoretischen Physik, vor allem in Kosmologie und Quantenphysik. Wir kommen einer Theory of Everything welche Quantenmechanik und Allgemeine Relativitätstheorie seit Jahrzehnten nicht näher. Noch dazu häufen sich empirische Beobachtungen, welche des Theoriegebäude der Physik in Frage stellen, z. B: fehlende Hinweise auf Supersymmetrie am CERN, die Entdeckung durch das James Webb Space Teleskop von sehr alten Sternen, Galaxien und Schwarzen Löchern, die es nach dem Standardmodell eigentlich gar nicht geben dürfte, Unterschiedliche Massen des Protons je nach Messmethode, unterschiedliche Werte für die Hubble-Konstante, sowie die nach wie vor unklare Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie, usw. usf.

Was macht eine Frage bedeutend?

Dass ihre Beantwortung

  1. auch zuvor nichtgestellte Fragen mitbeantwortet
  2. ebenfalls Implikationen hat, welch über den konkreten Kontext der Frage hinausgehen, möglicherweise sogar angrenzende oder völlig andere Bereiche tangieren
  3. gleichzeitig neue Fragen aufwirft

Eine Fee verspricht Ihnen die Antwort auf eine beliebige Frage. Was fragen Sie?

Wie viele belebte Welten gab oder gibt es in der Galaxis?

Wo sehen Sie Grenzen menschlicher Erkenntnis?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Wesen bzw. die Natur der Realität jemals vollständig erfassen können.

Jemand erklärt Ihnen, die Frage nach Gott sei belanglos. Was antworten Sie?

Es ist klar, dass aus wissenschaftlicher Sicht die Existenz Gottes weder bewiesen, noch widerlegt werden kann. Da der Glaube oder Nicht-Glaube an die Existenz Gottes aber das Potenzial hat, menschliches Verhalten sehr stark beeinflussen zu können, hat die Frage nach Gott Auswirkungen und teils weitreichende Konsequenzen in der realen Welt. Deshalb ist die Frage nach Gott keineswegs belanglos.

Welche Bedeutung hat der Tod für Sie?

Im Alltag (glücklicherweise) wenig.

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Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

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