Balduin Schönwald arbeitet als Neurowissenschaftler an einem renommierten Institut und versucht, eines der letzten Welträtsel zu lösen: die Natur des menschlichen Bewusstseins. Bei einem Experiment während einer Gehirnoperation macht sein Team eine spektakuläre Entdeckung. Haben sie die Seele aufgespürt? Balduins Überzeugungen geraten ins Wanken, doch als die Journalistin Sara Almeida am Institut auftaucht und sich für das Experiment interessiert, erkennt er, dass es noch größere Rätsel gibt.
Balduins Welträtsel, Klappentext
Nun ist es kein Geheimnis, dass Klappentexte so etwas wie der kleinste gemeinsam Nenner sind, um möglichst viele Leser anzusprechen. Für die Leser dieses Blogs und alle, die in den Problemkreis Bewusstsein-Qualia-Willensfreiheit schon ein wenig eingedrungen sind, daher hier ein etwas tiefergehender, alternativer Klappentext:
Das Forschungsteam um den verträumten Mathematiker Balduin Schönwald hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen die Natur des menschlichen Bewusstseins enträtseln. Das nach dem bekannten Philosophen Peter Bieri benannte Bieri-Trilemma soll gelöst und die Frage, ob der Geist ein Produkt des Körpers ist oder nicht, endlich beantwortet werden. Ein Experiment während einer Gehirnoperation, das der ebenfalls berühmte Neurowissenschaftler Benjamin Libet kurz vor seinem Tod vorgeschlagen hat, soll Klarheit schaffen. Dabei machen sie eine spektakuläre Entdeckung. Der unerwartete Ausgang des Experiments verwirrt Balduin. Die Beziehung zwischen Geist und Körper scheint ihm mysteriöser denn je. Als dann die Journalistin Sara Almeida am Institut auftaucht und ihn zu dem Experiment befragt, merkt er allerdings, dass es noch größere Rätsel gibt, und dass das Verhältnis zwischen Körper und Geist nicht nur beim Bewusstsein, sondern auch in der Liebe ungeklärt ist.
Balduins Welträtsel war nahe daran, einen Verlag zu finden. Es gab Literaturagenten, die sich die Zeit nahmen, das ganze Manuskript zu lesen. So weit muss man auch erst mal kommen. Am Ende sollte es nicht sein, aber das ist in Ordnung. Die (Post-)Moderne hat auch ihr Gutes und so kann man Balduins Welträtsel hier als E-Book oder gebundenes Buch bestellen und damit auch diesen Blog unterstützen. Aber nun genug der Geschichten über Klappentexte und Literaturagenten. Lesen Sie hier das erste Kapitel und kaufen Sie danach. Tauchen Sie ein in zwei große Mysterien der Menschheit.
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„Gehirn: das Instrument, mit dem unser Geist Musik macht.“Karl R. Popper
„In den besseren Stunden aber wachen wir soweit auf,dass wir erkennen, dass wir träumen.“Ludwig Wittgenstein
„Der Geist baut ein Luftschiff. Die Liebe aber macht gen Himmel fahren.“Christian Morgenstern
Dieser Hirntumor war ein Glücksfall! Balduin blätterte in der Patientenakte. Er tat es nur, um die Zeit zu überbrücken, denn er kannte die Akte praktisch auswendig. Der Tumor hatte das Sehzentrum der Patientin befallen. Das Sehzentrum! Da eine Chemotherapie erfolglos geblieben war, musste es operativ entfernt werden. Das war exakt das, wonach sie gesucht hatten.
Was für die Ärzte ein Misserfolg war, das war für Balduin und sein Team eine Chance, denn er war kein Arzt, er war Hirnforscher im Institut am anderen Ende der Stadt. Genau genommen war Balduin Mathematiker und Philosoph. Vor zwei Jahren war er jedoch zu diesem Projekt gekommen, in dem die Natur des menschlichen Bewusstseins enträtselt werden sollte. Es ging um uralte Fragen: Woher stammt der Geist? War er ein Produkt des Gehirns, wie die meisten Wissenschaftler annahmen, oder doch etwas Eigenständiges? Balduins normaler Arbeitsalltag fand zwischen Hirnscannern, Computern und Büchern statt, doch heute würde es blutiger zugehen, denn sie brauchten ein abgetrenntes Sehzentrum, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Er hob seinen Blick und schaute durch die Glaswand in den Operationssaal. Die Patientin war bereits narkotisiert. Drei Ärzte standen in weißen Kitteln um sie herum und trafen Vorbereitungen.
„Jetzt kommt der unangenehme Teil.“ Eva-Maria, die biologisch-technische Assistentin des Teams, schaute ebenfalls gespannt auf die Szenerie. Balduin sah ihr Nicken im Reflex der Glasscheibe. Er mochte ihre Stupsnase. Wenn das Experiment so ausginge, wie sie erwartete, stünde die Hirnforschung Kopf, so viel war sicher. Eva-Maria war überzeugt, sie standen kurz vor der Entdeckung der Seele. Sie war die Einzige aus der Arbeitsgruppe, die diesen Gedanken auszusprechen wagte, wenn sie in den Pausen im Institutsgarten ihren Kaffee schlürften. Die anderen belächelten sie hinter vorgehaltener Hand dafür, besonders natürlich Waldemar. Sie waren sich einig, dass es bei dem Experiment keine Überraschungen geben konnte – jedenfalls sagten sie das. Alles andere hätte schließlich die gültige Theorie in Frage gestellt, nach der Bewusstsein ein Produkt des Gehirns war.
Der Chirurg begann mit der Trepanation. Kein Anblick für zarte Gemüter. Trepanation kam vom lateinischen Wort trepanum – und das bedeutete Bohrer. Balduin senkte den Blick und sah auf das Foto der Patientin. Ihm ging es um das Experiment und seine Forschung, dennoch ließ ihn ihr Schicksal nicht kalt. Dafür war er bei aller wissenschaftlichen Zielstrebigkeit viel zu zart besaitet. Er hatte im Auftrag des Instituts die Verbindung zu ihr hergestellt. Außenkontakte waren seine Sache. Kohlstätter, sein Chef, meinte, er habe ein Händchen dafür. Das Rätsel des Bewusstseins und das ganze Forschungsprojekt waren ihm angesichts ihrer gesundheitlichen Probleme mit einem Schlag so unbedeutend vorgekommen. Er bewunderte ihre Tapferkeit. Als er ihr alles erklärt und sich schließlich zu der Frage durchgerungen hatte, ob sie für das Experiment zur Verfügung stünde, hatte sie nur geschmunzelt. Das wäre kein Problem, da sie die OP ohnehin über sich ergehen lassen müsste, böte es sich doch an, der Wissenschaft damit einen kleinen Dienst zu erweisen.
Sie hatte es ihm leicht gemacht. Wie schon mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur und ihrer unaufgeregten Art hatte sie ihn damit an Angelika, seine Verflossene, erinnert. Balduin hatte sie vor etwa drei Jahren – er war gerade dabei gewesen, seiner Doktorarbeit den letzten Schliff zu verpassen – bei einer Studentenfete auf einem abgelegenen Bauernhof kennengelernt. Trotz mäßiger Musik hatten sie ein paar Mal getanzt. Als er dann zu angeheitert gewesen war, um noch nach Hause zu fahren, hatte sich herausgestellt, dass sie einen großen Schlafsack dabeihatte.
Angelika war pragmatisch und betrachtete die Dinge meist von ihrer funktionalen Seite. Das galt auch für ihr Verhältnis zu Sex. Balduin mochte das, er war schließlich ein Mann. Aber zu behaupten, dass dies der Grund für ihre Beziehung gewesen sei, wäre ungerecht. Er hatte sie aufrichtig gemocht und zuvorkommend behandelt, wie es seine Art war. Ob er sie auch geliebt hatte, war indes eine schwierige Frage für einen Philosophen. Einmal waren sie nach einem Bachkonzert – es war die Ouvertüre in C-Dur – bei einem Glas Wein zusammengesessen. Balduin war noch immer den Tränen nahe gewesen, als sie begonnen hatte, von einem Problem mit ihrer Waschmaschine zu berichten. Da hatte er sich zum ersten Mal einsam in der Zweisamkeit gefühlt. Dennoch hatte es ihn schwer getroffen, als sie ihn zwei Monate später wegen eines Juristen hatte sitzen lassen. Er war auf Arbeitssuche gewesen und hatte die Wahl zwischen einem gut bezahlten Job bei einer Versicherung und dem Bieri-Projekt gehabt, für das er sich schließlich entschied. Niemand hatte das Geist-Gehirn-Problem so prägnant formuliert wie Peter Bieri in seinem Trilemma. Angelika hatte ihm natürlich zu der Stelle bei der Versicherung geraten. Den Geist erforschen, das könne nicht gutgehen, hatte sie zu ihm gesagt. Aber da er ein Träumer sei, werde er ohnehin dieses „komische Projekt“ wählen, da sei sie sicher.
Seine Entscheidung hatte er dann als Single treffen müssen. Bis heute ärgerte ihn die Leichtigkeit, mit der sie seine Wahl damals vorhergesehen hatte. War er so einfach zu durchschauen? Wo war sein freier Wille? Er hatte sich für das Bieri-Projekt entschieden, nicht, weil es „irgendwie dubios“ gewesen wäre, wie Angelika es nannte. Das Gegenteil war der Fall. Es war Forschung an einem der ältesten Rätsel überhaupt, einem Welträtsel sozusagen. Das war keine Träumerei, sondern die Chance bei etwas Großem dabei zu sein. Auch wenn Angelika nichts davon verstand, er würde ihr das Paper unter die Nase halten, sobald sie eine bedeutende Entdeckung gemacht hatten.
Inzwischen war die Trepanation beendet. Der Schädel der Patientin war geöffnet und der Narkosearzt machte sich an einigen Schläuchen zu schaffen. Es würde nicht mehr lange dauern. Eva-Maria schaute Balduin fragend an. Sollten sie jetzt den anderen Bescheid geben? Er nickte ihr zu und sie griff nach ihrem Handy, um eine WhatsApp zu senden.
Eva-Maria hatte mit ihrem andächtigen Blick und ihren langen, glatten Haaren eine Ausstrahlung, die gut zum zweiten Teil ihres Vornamens passte. Sie besaß eindeutig mehr Maria- als Eva-Anteile, wozu ihre Erziehung vermutlich das ihre beigetragen hatte. In einer evangelikalen Gemeinde auf dem Dorf aufgewachsen, war sie Anhängerin der Intelligent-Design-Theorie, nach der die plausibelste Erklärung für die Entstehung des Menschen im Alten Testament, genauer gesagt, im Buch Genesis zu finden war. Fragen nach dem Alter der Erde pflegte sie auszuweichen. Ob das auch ursächlich für ihre gescheiterte Kurzzeitehe gewesen war, war schwer zu sagen. Jedenfalls hatte ihr frisch gebackener Ehemann nicht nur sie, sondern gleich die ganze Gemeinde kurz nach der Vermählung sitzen lassen. Dieser Schicksalsschlag hatte sie aber nicht davon abgehalten, ihre Ausbildung zur biologisch-technischen Assistentin abzuschließen. Viele am Institut konnten nicht nachvollziehen, wie jemand mit solchen Ansichten biologisch-technische Assistentin werden konnte, weshalb Eva-Maria oft im Mittelpunkt der Gespräche stand – jedenfalls dann, wenn sie nicht anwesend war. Wie auch immer, sie gehörte zu Balduins verlässlichsten Arbeitskollegen.
Ein Knacken ließ Balduin aufhorchen. Der riesige Monitor an der Seitenwand des Raumes wurde eingeschaltet. Ab jetzt konnten sie dort jedes Detail der Operation in Ton und Bild verfolgen. Der geöffnete Schädel der Patientin erschien. Balduin hatte freien Blick auf die gewundenen Strukturen des rätselhaftesten Organs des Menschen.
Da ging die Tür auf. Professor Ehrenhardt, der Direktor des Instituts, kam herein, gefolgt von Kohlstätter, dem Projektleiter und Waldemar. Waldemar war Physiker und Informatiker, Balduin hatte ihn im Studium bei einem Seminar über Turing-Maschinen kennengelernt. Als er zum Projekt gekommen war, war Waldemar schon am Institut angestellt gewesen und war eigentlich mit der Programmierung neuronaler Netze beschäftigt. Ehrenhardt wollte ihn jedoch ebenfalls beim Bieri-Projekt haben, so dass Waldemar schließlich wechselte, wenn auch nicht ganz freiwillig. Er fand das Projekt „ein bisschen spiritistisch“, wie er sich in Abwesenheit Ehrenhardts gelegentlich ausdrückte. Jedenfalls waren Balduin und Waldemar sich so wieder begegnet. Inzwischen waren sie Freunde.
Aus dem Lautsprecher tönte die Stimme des Chirurgen: „Wie geht es Ihnen?“ Die Frage war an die Patientin gerichtet.
„Habe mich nie besser gefühlt! Und selbst?“ Balduin zuckte zusammen. Auch wenn er gewusst hatte, dass sie die Patientin wecken würden, kam es ihm jetzt, nachdem er die Trepanation mit eigenen Augen gesehen hatte, unwirklich vor, wie sie putzmunter mit dem Chirurgen scherzte. Es war nicht ungewöhnlich, dass solche Operationen bei vollem Bewusstsein durchgeführt wurden. Das Gehirn erzeugte das Schmerzempfinden für den gesamten Köper – außer für sich selbst. Es war komplett gefühllos. Eine Musikerin hatte einmal bei einer solchen OP gesungen, während ihr ein Hirntumor entfernt wurde. Dadurch konnten sich die Chirurgen sicher sein, dass sie den auditiven Cortex nicht verletzten, der für das musikalische Können der Patientin unerlässlich war.
Heute hätte man die Patientin in der Narkose belassen können, wenn nicht das Experiment gewesen wäre. Das war der kritischste Punkt, den Balduin ihr hatte erklären müssen. Wer möchte schon, dass man ihm bei vollem Bewusstsein am Hirn herumschnippelt? Er hatte ihr das Video gezeigt, auf dem die Musikerin während der Operation „Take me home, country roads“ trällerte. Sie hatte nur genickt. Eine toughe Person!
Auf dem Monitor war nun ihr Gesicht zu sehen. Sie trug eine schwarze Stoffbrille, denn es durfte keinerlei Licht in ihre Augen dringen, das war für das Experiment entscheidend. Danach zeigte der Schirm wieder ihr Gehirn. Balduin spürte, wie die Spannung bei den Anwesenden zunahm. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Der Chirurg hantierte eine Weile mit verschiedenen Geräten herum, dann gab er das verabredete Zeichen. Er hatte den entscheidenden Schnitt gesetzt. Auf dem Bildschirm erkannte man ein Stückchen graue Masse, das nur noch durch einen schmalen Steg mit dem Rest des Gehirns verbunden war. Es war das Sehzentrum. Dieser kleine Hirnlappen war jetzt vom Nervensystem der Patientin getrennt, wurde aber noch durch ihre Blutgefäße versorgt. Ein Stück lebendes Gehirn ohne neuronale Verbindung zu einem Körper!
Der Assistenzarzt hielt zwei haarfeine Elektroden in die Höhe und blickte durch das Glas in ihre Richtung. Kohlstätter nickte ihm zu. Professor Ehrenhardt fixierte das Geschehen im OP wie jemand, der auf keinen Fall eine Sensation verpassen wollte. Kohlstätter gab sich wie immer unbeeindruckt, aber auch bei ihm registrierte Balduin eine ungewöhnliche Anspannung der Gesichtsmuskeln. Eva-Maria hatte glasige Augen und selbst Waldemar schien nervös. Sein überlegenes Lächeln wirkte aufgesetzt. In Balduin herrschte ein Chaos aus sich einander widersprechenden Empfindungen. Ein Gefühl war dabei dominant, doch er war sich nicht sicher, wie er es benennen sollte. War es Hoffnung?
Guten Abend allerseits! Das Geist-Gehirn-Problem beschäftigt die Menschheit seit der Antike. Hinsichtlich des Gehirns gab es dank boomender Forschung in den letzten Jahrzehnten einen explosionsartigen Wissenszuwachs. Dennnoch sind die vollmundigen Ankündigungen aus den 10er-Jahren, die Neurowissenschaften würden die „schweren Fragen der Erkenntnistheorie“ angehen und ein „neues Menschenbild“ schaffen, folgenlos verklungen.
Ernüchtert müssen wie feststellen: Die Aussagen der Neurowissenschaftler bewegen sich noch immer auf dem Niveau von Fußballweisheiten. Für die Praxis gilt: „Das Gehirn ist (annähernd) rund“ und „Wichtig ist im Gehirn“, während wir für die theoretische Seite festhalten können: „Nach der Theorie (des Geistes) ist vor der Theorie“, denn „Eine neue Theorie gilt immer nur 90 Minuten“.
Was lag da näher, als die wichtigste Nebensache der Welt (das Geist-Gehirn-Problem) mit der wichtigsten Hauptsache der Welt (Fußball) zusammenzubringen und die Geschichte der Philosophie des Geistes als Fußballpartie darzustellen?
Die beiden Mannschafen „Team Geisteswissenschaften“ und „Team Naturwissenschaften“, sind bereits beim Gespann der Unparteiischen – dem Bieri-Trilemma – und führen die Seitenwahl durch. Es kommentiert Dirk Boucsein. Schaun mer mal!
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Die Geschichte der „Philosophie des Geistes liest sich wie eine Chronik zum Wettkampf der verschiedenen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen „Ismen“ (Plural des -ismus, z. B. Materialismus, Idealismus, Positivismus,…). Viele Verbalschlachten, Begriffsscharmützel und Wortstellungskriege der Vergangenheit wären aber sicherlich vermeidbar gewesen, hätte man sich im Vorfeld auf eine gemeinsame Sprache – oder zumindest auf eine einheitliche Konnotation eines bestimmten Begriffes geeignet. Wenn es mir an dieser Stelle gestattet sei, würde ich gerne diesen Kampf der Ismen aber nicht so martialisch beschreiben, sondern lieber zu dem Begriff „UEPhA (Union of European Philosophy Associations)-Cup„-Spiel zwischen dem Team der Geisteswissenschaften (Soziologie, Geschichte, Linguistik,…) und dem der Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie,…) wechseln. Auch wenn ich keine Ahnung vom Fußball habe, aber damit es in der PdG nicht ganz so kopflastig wird 😉
Im Folgenden möchte ich versuchen, anhand einiger ausgewählter Begriffsanalysen den jeweiligen Standpunkt der vermeintlich diametralen Lager in der Philosophie des Geistes deutlich zu machen, um in einem letzten Schritt die bereits gebildeten Gräben und Risse wieder zu zuschütten und zu kitten. Meine Arbeitshypothese soll darin liegen zu zeigen, dass Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften nur die zwei Seiten ein und derselben Münze sind und in der Philosophie des Geistes oder Neurowissenschaft eine gemeinsame Schnittstelle besitzen. Diese Schnittstelle sehe ich in der relativ jungen Disziplin der Neurophilosophie gegeben, auf die ich aber in meinem weiteren Artikel „Die Neurophilosophie“ (https://philosophies.de/index.php/2021/02/15/die-neurophilosophie/) aufgrund der ansonsten entstehenden „epischen Länge“ gesondert eingehen möchte.
Zur Erläuterung meiner Arbeitshypothese sei mir hier zunächst einmal eine begriffliche Standortbestimmung und Einordnung der Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft in die Genese und Evolution der Philosophie des Geistes erlaubt.
Das alte Schisma Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
»Als Gegner stehen einander nicht zwei wissenschaftliche Fächer gegenüber, mit unterschiedlichen Gegenständen, aber ähnlichem Wissenschaftsverständnis, sondern zwei wissenschaftliche Konfessionen, deren Auseinandersetzungen nicht selten Züge eines Glaubenskrieges annehmen.« (Vowinckel, in: Zwischen Natur und Kultur, S. 35)
Es soll im Folgenden zunächst einmal um die Klärung des „Wissens-„/“Wissenschafts-„Begriffes gehen. Doch schon an dieser Stelle tritt eine begriffliche Verwirrung auf. Bedeutet die begriffliche Unterscheidung in Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, dass sich die „Geisteswissenschaften“ (Dilthey, Hegel) nur mit dem „Geist“ und nicht mit der „Natur“ und die „Naturwissenschaften“ nur mit der „Natur“ und nicht mit dem „Geist“ beschäftigen? Diese – bei näherer Betrachtung – doch sehr merkwürdige Begriffswahl erscheint nicht nur im deutschen Sprachraum. In der angelsächsischen Sprache ist der Wissenschaftsbegriff noch stärker polarisiert. Man unterscheidet hier „science“ von „humanities„, wobei sich der Begriff „science“ hauptsächlich auf die „natürlichen Wissenschaften“ (natural science, life science, physical science,…) bezieht und „humanities“ auf die „menschlichen Wissenschaften“. Also dürfte auch im Angelsächsischen „science“ unmenschlich sein, ebenso wie die „humanities“ (anthropology, history, philosophy,…) unnatürlich wären, sonst benötigte man keine solche Unterscheidung der Wissenschaftsobjekte. Die Differenzierung zielt aber im Deutschen, wie im Angelsächsischen weniger auf das Objekt der Untersuchung, sondern liegt eigentlich viel mehr in dem vermeintlichen Unterschied der Methodik. In den Naturwissenschaften wird nach eigener Aussage eher empirisch, induktiv und reduktiv gearbeitet, wohingegen die Geisteswissenschaften ihre Methodik vielleicht eher als logisch, deduktiv und spekulativ bezeichnen würde. Dieser künstlich-erzeugte Dualismus hat – wie man später noch sehen wird – weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Evaluation von Ergebnissen, am Beispiel der Philosophie des Geistes vs. der Neurowissenschaft. Aber zunächst soll hier erst einmal der „Graben/Riss“ an dem Begriff der „Wissenschaften“ gezeigt werden.
„Hiatus philosophicus“ – der Riss im Wissen
Der eigentliche Graben/Riss in der Philosophie („Hiatus philosophicus“) ist vielleicht noch nicht so alt wie das Schisma der katholischen Kirche von 1054. Er ist aber schon angelegt in den Anfängen der Philosophie in der Antike, bei den „ollen Griechen“, hier besonders Platon (* 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; † 348/347 v. Chr. in Athen) und sein Schüler Aristoteles (* 384 v. Chr. in Stageira; † 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa):
„Die Griechen sind von maßgeblicher Bedeutung, weil sie bei der Kontrastierung von moderner und vormoderner Wissenschaftlichkeit einen Angel- und Wendepunkt in der Geschichte bilden. Sie stellen in der Weltgeschichte der Wissenschaften eine Zwischenstufe dar: ein Scharnier zwischen den ersten Anfängen der Wissenschaft bei den antiken Hochkulturen und der elaborierten Wissenschaftssystematik der Moderne.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen. Zum Problem des Unterschieds zwischen Natur- und Geisteswissenschaft in der griechischen Antike, anhand von Aristoteles‘ Physik und Politik“, S. 21)
Die verschiedenen Wissensstufen des antiken Griechenlands
Im antiken Griechenland wurde lediglich zwischen verschiedenen Wissensstufen unterschieden:
1. Vorwissenschaftliches Wissen:
a) ἐμπειρία (empiria ≈ bloßes Erfahrungswissen),
b) ἱστορία (istoria ≈ gesammelte Einzelkenntnisse) und
c) τέχνη (téchne ≈ systematisch-praktisches Wissen in Form von praktischem Können)
2. wissenschaftliches Wissen: ἐπιστήμη (epistéme ≈ theoretisches Wissen in Form von Gelerntem oder Erdachtem
3. philosophisches Wissen: φιλοσοφία (philosophia ≈ höchste Wissensstufe als Sammlung von verschiedenen Weisheiten/Wissen)
„Bezüglich der Differenzierung von vorwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Wissen zeigt sich Folgendes: In der Moderne wird ein bestimmter Begriff der «Wissenschaft» bzw. «science» vorausgesetzt und über dessen Ausdehnung gestritten («Wissenschaft» qua strenge Wissenschaft vs. Geistes«wissenschaft» u. dgl.). Bei den Griechen stellt demgegenüber weniger die Breite eines normativen Konzepts, sondern die Begriffsüberlappung das Hauptproblem dar. Neben dem Begriff ἐπιστήμη [epistéme] dienen auch μαθήματα [mathímata] oder gar τέχνη [téchne] u.ä. als Bezeichnung für wissenschaftliches Wissen, und die allgemeine Bedeutung von ἐπιστήμη [epistéme] als „Wissen“ lebt weiterhin fort.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen…“, S. 25)
Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
Für Platon und Aristoteles stellte sich die Frage nach der Definition der „Wissenschaft“ geschweige denn der Abgrenzung von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft noch überhaupt nicht. Bis in die Moderne differenzierte sich allerdings der Wissenschaftsbegriff sehr stark, wobei die Naturwissenschaft ihre Wurzeln stärker in empiria und téchne schlugen und die Geisteswissenschaft sich lieber über die epistéme und philosophia verorten lassen wollten. Die philosophia wurde gegenüber dem antiken Konzept stark entwertet und einfach der Geisteswissenschaft zugeschlagen. Diesen Hiatus philosophicus zu verorten ist nicht so einfach, da es sich eigentlich um einen kontinuierlichen Prozess gehandelt hat. Man könnte aber Francis Bacon als ersten „modernen Naturwissenschaftler“ bezeichnen, da er sich von der epistemischen Scholastik in Form der „Naturphilosophie“ abwendet und sich der durch empirische Daten (empiria) gewonnen Erkenntnis und technischen (Aus-)nutzbarkeit (téchne) zuwendet. Mit den antiken Begriffen veranschaulicht – ohne eine Bewertung zu beabsichtigen – bedeutet dies, dass die niederen, antikenWissensstufen „techné“ und „empiria“ aufgewertet und die höheren Wissensstufen „philosophia“ und die „epistéme“ abgewertet wurden.
Diese wissenschaftsgeschichtliche Vorbetrachtung ist aber wichtig für das weitere Verständnis des darauf folgenden späteren Kampfes zwischen der Geisteswissenschaftund Naturwissenschaftin Form der Ismen in der Philosophie des Geistes.
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Das Schiedsrichtergespann soll das in meinem vorherigen Essay „Der Geist in der Materie“ beschriebene Bieri-Trilemma abgeben, da es die zugrundegelegten Basen der jeweiligen Ismen besser bewertbar macht; das gilt im Übrigen sowohl für die Dualismen und Monismen. Das Bieri-Trilemma soll in diesem Sinne ausdrücklich keine neue Theorie sein, sondern lediglich nur ein Instrument dienen. Wenn ich das Bieri-Trilemma aus diesem Grunde noch einmal kurz vorstellen dürfte:
Dualismus:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene. (2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam. (mentale Verursachung; z.B. allg. für Verhalten, „vor Scham erröten“) (3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Jede der drei Annahmen wirkt auf den ersten Blick plausibel: Zu (1): Das Bewusstsein scheint durch seine interne Struktur – insbesondere durch das subjektive Erleben – von jedem physischen Ereignis verschieden. Zu (2): Mentale Phänomene (etwa Angst) scheinen ganz offensichtlich Ursache von physischen Phänomenen (etwa Weglaufen) zu sein. Zu (3): In der physischen Welt scheinen jedoch immer hinreichende, physische Ursachen auffindbar zu sein.
Monismus:
(1) Wenn mentale Phänomene im kausal geschlossenen Bereich physischer Phänomene eine kausale Rolle spielen sollen, dann müssen sie physische Phänomene sein. (2) Mentale Phänomene sind M. (3) Phänomene, die M sind, können nicht physische Phänomene sein. (M steht für Charakteristika, denen Eigenschaften zugesprochen werden, die exklusiv mentalen Phänomenen zugeordnet werden.) (Peter Bieri: „Analytische Philosophie des Geistes„, S. 9.)
Das Trilemma besteht nach Bieri darin, dass die Sätze paarweise, aber nicht alle zugleich wahr sein können. Wenn mentale Phänomene auf die physikalische Welt einwirken können (1 und 2), so ist sie nicht geschlossen (Widerspruch zu 3). Wenn dagegen das Mentale von der physischen Welt unabhängig ist und die physische Welt kausal geschlossen (Satz 1 und Satz 3), so kann es keine Wirkung mentaler Phänomene auf die physikaische Welt geben (Widerspruch zu 2). Wenn mentale Phänomene physische Vorgänge verursachen und die physische Welt kausal geschlossen ist (2 und 3), so muss das Mentale auf die physische Welt reduzierbar sein (Reduktionismus, Widerspruch zu 1).“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bieri-Trilemma)
Die Untersuchung in wie weit die Prämisse (3) überhaupt Bestand hat, muss leider auch noch auf den späteren Essay „Neurophilosophie“ verschoben werden.
Anstoß der Partie durch die Geisteswissenschaft
Der Wettkampf um den UEPhA-Cup der Philosophie des Geistes wird selbstverständlich durch das Team um die Geisteswissenschaft angestoßen, da zu Beginn des „Spiels“ die Mannschaft um das Team Naturwissenschaft noch Probleme mit der richtigen Technik zur Behandlung des Objektes „Geist“ (der Begriff ist übrigens sprachlich auch nicht unproblematisch) haben. Es fehlen die empirischen Daten.
„Sokrates: Unser Leib, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele? Protarchos: Offenbar wollen wir das. Sokrates: Woher aber, o lieber Protarchos, sollte er sie erhalten haben, wenn nicht auch des Ganzen Leib beseelt wäre, dasselbe habend wie er und noch in jeder Hinsicht trefflicher?“ (Platon: Dialog „Philebos“ (30a).
Der Ball landet auch im gegnerischen Spielfeld, wo er von den Verteidigern des Teams NW, den „Atomisten“ Leukipp, Demokrit und Epikur mit ihrer substanzmonistischen Theorie zunächst einmal abgewehrt wird (die Idee wird aber – wie man später noch sehen wird – zum Physikalismus in Form der „Identitätstheorie“ ausgebaut). Platons eigentlicher Plan lag zwar eher darin, die Unsterblichkeit der Seele zu postulieren, aber von nun an ist die Differenz zwischen zwei vermeintlichen Entitäten dem „Leib“ und der „Seele“ unwiderruflich in der Welt. Er liefert in seinem Dialog „Phaidon“ allerdings keine genaue Definition zu dem Begriff „Seele“, „was es ist zu sein„, außer dass sie etwas Immaterielles (Nicht-Körperliches) sein soll.
„Ich kann mir klar und deutlich vorstellen, dass Geist ohne Materie existiert. Was man sich klar und deutlich vorstellen kann, ist zumindest prinzipiell möglich. Also ist es zumindest prinzipiell möglich, dass Geist ohne Materie existiert. Wenn es prinzipiell möglich ist, dass Geist ohne Materie existiert, dann müssen Geist und Materie verschiedene Entitäten sein. Da also Geist und Materie verschiedene Entitäten sein müssen, ist der Dualismus folglich wahr.“ (René Descartes: „Meditationes de prima philosophia.“ (1641), S. 98)
Auf Descartes Interaktionismus gehe ich hier nicht ausführlicher ein, da ich ihn bereits in meinem letzten Essay „Der Geist in der Materie“ beschrieben habe. Nach Descartes ist die Seele zwar „unräumlich“, jedoch würde sie in engem Kontakt mit der Zwirbeldrüse stehen, die als Vermittlerin zwischen Körper und Seele fungieren soll. Dies konnte aber bis heute weder durch das Team um die Naturwissenschaft empirisch bestätigt werden, noch hielten die Kommentatoren aus der Geisteswissenschaft-Kurve diesen Ansatz für erfolgversprechend (Andreas Kemmerling: „Ideen des Ichs: Studien zu Descartes‘ Philosophie“ 1996).
Spinozas Substanzmonismus
Als taktischer Einzelspieler übernimmt nun aber Spinoza nochmals den Ball mit seinem Substanzmonismus. Der Substanzmonismus soll aber anders als bei den antiken „Atomisten“ nicht in der Materie, sondern in Gott als unendliche, substantiell in ihren Eigenschaften konstante, einheitliche und ewige „Substanz“ in allem Seienden (Pantheismus) gefunden werden. Die hieraus entwickelte Erkenntnistheorie für die Philosophie des Geistes führt bei ihm im Gegensatz zum IA zu einem psychophysischen Parallelismus. Der menschliche Intellekt kann Spinoza zufolge zwei „Attribute“ das „Denken“ (Geist) und die „Ausdehnung“ (Materie) der einen Substanz natura naturans = schöpferische Natur (Gott) erkennen.
Leibniz Parallelismus
Dieselbe Taktik verfolgt ebenfalls sein Parallelismus-Mitspieler Leibniz, der jeglichen psychophysischen Interaktionismus zwischen Leib und Seele ablehnt und diese nur als zwei Uhren vergleicht, die voneinander getrennt, aber durch Gott vollkommen synchronisiert, ablaufen würden. Die perfekte Parallelität ohne Kausalität erscheint schon damals fragwürdig, aber endgültig scheitert der Pass durch seinen Determinismus an den Verteidigern der „Willensfreiheit„. Wie stabil diese Verteidigungsmauer ist, muss allerdings auch in einem späteren Essay untersucht werden. Auch ein weiterer idealistischer Parallelismus-Spieler Kant kommt mit seinem torgefährlichen Doppelpass in Form des transzendental-apriorischen Eigenschaftsdualismus weit in den Strafraum des NW. Er kann aber leider auch nicht erfolgreich abschließen, da das Bieri-Trilemma-Schiedsrichtergespann ihn im Abseits sieht, wie ich auch bereits in „Der Geist in der Materie“ dargestellt hatte.
Der Bieri-Trilemma-Schieri muss nun allerdings auch endlich mal einschreiten und das „Spiel abpfeifen“, da bei allen Spielzügen des Teams um die Geisteswissenschaft, sowohl beim Substanzdualismus, als auch beim Substanzmonismus, die Prämisse (1) mit der Prämisse (2) konfligieren, entweder weil sie zu einseitig (1) oder (2) betonen oder weil sie mit Prämisse (3) nicht mehr unter einen Hut gebracht werden können. Dies führt natürlich dazu, dass nun das Team um die Naturwissenschaft in einen längeren Ballbesitz kommen, wobei sie beabsichtigen, über die Empirie zu verlässlichen Daten und schließlich zu stabilen Theorien in der Philosophie des Geistes zu gelangen.
Konter durch die Naturwissenschaft
Huxleys Epiphänomenalismus
Als neuen Spielzug im UEPhA-Cup wurde der Epiphänomenalismus durch das Team Naturwissenschaft in Form der Spieler Bonnet oder dem populäreren Spieler Thomas Henry Huxley (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn, dem Autor Aldous Huxley „Schöne, neue Welt, s. „Das Technopol„) – auch als „Automatismus“ genannt – in die Philosophie des Geistes gebracht. Der Epiphänomenalismus baut ebenfalls auf einem Substanzdualismus auf, bezieht sich aber eher auf die Eigenschaften der Materie, so dass er auch als Eigenschaftsdualismus bezeichnet wird. Die taktische Idee des Epiphänomenalismus kann man als „lange Flanke“ sehen, die nur eine Richtung kennt: das Physische hat Auswirkungen auf das Mentale, aber nicht umgekehrt. Der immaterielle Geist, die Seele „erscheint“ nur als Epiphänomen der Materie und ist damit für den Epiphänomenalismus eigentlich redundant. Wie dies die Materie im Gehirn bewerkstelligt, bleibt der Epiphänomenalismus damals (aber auch heute noch) trotz zahlreicher empirischer Daten (EEG, CT, MRT, DTI,…) schuldig, obwohl auch hier neue Spieler, wie zum Beispiel Thomas Metzinger mit seinem Phänomenalen Selbstmodell (PSM) ins Team aufgenommen wurden.
Team Naturwissenschaften (Bild: philosophies)
Skinners Behaviorismus
Den Ball wollte sich natürlich die noch relativ junge Disziplin – die Psychologie – nicht wegnehmen lassen, da auch sie noch Probleme mit ihrer Standortbestimmung hatte, ob sie denn nun eher dem Geisteswissenschaft- oder Naturwissenschaft -Team angehören wollte. Um sich dem Naturwissenschaft -Lager anzuschließen, wurde ein Spieler namens Watson („Psychology as the Behaviorist views it“ (1913) auf das Spielfeld geschickt, der menschliches Verhalten („Behaviour„) durch seine „objektive Methode“ als Reiz-Reaktions-Schema („stimulus-response„) beschreiben wollte. Der Behaviorismus war begründet. Um es mit der Sprache des Behaviorismus zu sagen, der Epiphänomenalismus war der „Reiz“ und der Behaviorismus die „Reaktion“. Man wollte das Spielfeld nicht dem Materialismus der Geisteswissenschaft oder Physikalismus der Naturwissenschaft überlassen, sondern selber ein Team zusammenstellen. Skinner („Science and Human Behavior“ 1953) wurde als bekannter Spieler hinzugewonnen und verstärkte die Position im „radikalen Behaviorismus „. Der Behaviorismus geht allgemein davon aus, dass die dem beobachteten menschlichen Verhalten zugrundeliegenden, physiologischen Vorgänge als „Black Box“ nicht erschlossen werden können und auch dementsprechend irrelevant sind. Die Psychologie sollte zur „exakten Wissenschaft“ werden, die mit Hilfe von Experimenten und naturwissenschaftlichen Begriffen das menschliche Verhalten im biologischen Sinne exakt beschreiben konnte. Der Behaviorismus erwies sich allerdings, abgesehen von dem Nachwirken in der Psychologie in Form der „Experimentellen Verhaltensanalyse„, als entschiedener Fehlpass.
Places/Smarts Identitätstheorie
Insgesamt ist aber nun weiterhin das Team der NW mit der von Place und Smart begründeten Identitätstheorie im Ballbesitz. Die Identitätstheorie ist geradezu als Einwurf auf die gescheiterte Behaviorismus anzusehen, da sie beherzt die Spielstrategie wechselte. Der Substanzdualismus des Behaviorismus wird als falsch angesehen, da er scheinbar an der Prämisse (1) des Bieri-Trilemma gescheitert ist. Demgegenüber wird von der Identitätstheorie die Einheit von physisch-materiellem Körper und psychisch-mentalem Geist beschworen, weil sie die „physikalische Geschlossenheit“ der Prämisse (3) des Bieri-Trilemma erreichen möchte. Insofern könnte man auch den Transfer des Substanzdualismus zum Substanzmonismus als Eigenschaftsdualismus beschreiben, der doch wieder stark an den Epiphänomenalismus erinnert. Der Unterschied liegt allein darin, dass nun die psychisch-mentalen Zustände durchaus als gegeben erachtet werden, sie müssen allerdings durch das Physisch-Materielle realisiert werden. Diese taktische Festlegung führt zum Physikalismus, der von den logischen EmpiristenCarnap und Neurath aus dem Naturwissenschaft-Team begründet wurde, um sich vom „metaphysischen Begriff“ der Geisteswissenschaft, dem Materialismus zu distanzieren, der auf die Cambridger PlatonistenMore und Cudworth zurückgeht. Die Identitätstheorie verwendet interessanterweise beide Begriffe – ungeachtet der unterschiedlichen Lager – synonym.
Die Identitätstheorie erscheint allerdings in zwei unterschiedlichen Spielarten der Identität. Bei der Token-Identität handelt es sich um zwei konkrete Exemplare eines Typs, die identisch sind. Also der Spieler Place wird sowohl von dem Zuschauer A als auch von dem Zuschauer B als Exemplar gesehen, aber von beiden als Token-Identität betrachtet. Demgegenüber können bei der Typ-Identität bestimmte Mengen von Exemplaren zusammengefasst werden, die bestimmte Eigenschaften erfüllen. So kann man den Spieler Place mit der Eigenschaft, dass er im Spielfeld der Naturwissenschaft steht und das Trikot der Identitätstheorie trägt, als Typ-Identität sehen. Wenn nach Smart alle mentalen Zustände durch die Typ-Identität reduktiv auf bestimmte neuronale Zustände zurückführbar seien, so wäre es nur eine Frage der Zeit und der Forschung, bis die NeuroW alle offenen Fragen der Psychologie geklärt hätten. Man kann aber nun auch beobachten, dass er sich mit dem stark reduktiven Charakter der Typ-Identität „vertrippelt“ und den „Ball ins Aus“ geschlagen hat.
Putnams/Fodors Funktionalismus
Hier erfolgt nun erneut ein Einwurf durch den Funktionalismus, ausgeführt von den Spielern Putnam und Fodor, die versuchen das Problem der Identitätstheorie – die „multiple Realisierung“ – zu lösen. Wenn man annehmen kann, dass alle Wirbeltiere so etwas wie „Qualia„, z. B. „Schmerz“ als mentalen Zustand empfinden, wird man aber auch davon ausgehen können, dass der Spieler Place bei einem Beinbruch einen anderen neuronale Zustand besitzt, als der gemeine Lurch auf dem Platz. Der Funktionalismus versucht dieses Problem der multiplen Realisierung dadurch zu lösen, dass es den verschiedenen neuronalen Zuständen des Gehirns den gleichen funktionalen Zuständen zuordnet. Die mentalen Zustände werden dann einfach mit den funktionalen Zuständen gleichgesetzt. Die funktionalen Zustände werden gerne mit Hilfe der Automatentheorieerklärt, die davon ausgeht, dass ein funktionaler Zustand durch einen Input, einen entsprechenden Output liefert und hierbei in einen anderen funktionalen Zustand wechselt (s. „Colaautomat“ https://de.wikipedia.org/wiki/Funktionalismus_(Philosophie). Dieses Bild hat natürlich der Analogie von Gehirnfunktion und Computermodulation erheblichen Vorschub geleistet und eine Brücke zur Informatik und Kybernetik geschlagen.
bewusstes Erleben von mentalen Zuständen
Dem Funktionalismus kommt nun allerdings das „Bewusstsein“ in die Quere, was als Problem an dem „China-Gehirn„-Gedankenexperiment verdeutlicht wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#Funktionalismus). Die Erklärung, wie der Geist in die Flasche oder hier in die Materie kommt, bleibt auch der Funktionalismus schuldig. Auch die funktionalen Zustände der neuronalen Gehirnaktivitäten liefern keine schlüssigen Theorien für das bewusste Erleben von mentalen Zuständen, die man als „Ich„, „Selbst“ oder auch die Wahrnehmung des „Anderen“ bezeichnen könnte.
Das Team wollte den Ball aber noch nicht als verloren geben, sodass es beim Bieri-Trilemma-Schieri einen Einspruch geltend machte, dass der Schieri befangen sei und zu oft falsch gepfiffen hätte. Man solte sich die Szenen noch einmal unter folgenden Voraussetzungen erneut anschauen und neu bewerten:
1. Der Materialismus ist wahr, mentale Zustände müssen materielle Zustände sein. 2. Die einzelnen reduktiven Vorschläge sind alle unbefriedigend: Mentale Zustände lassen sich nicht auf Verhalten, Gehirnzustände oder funktionale Zustände zurückführen.
Davidsons nicht-reduktiver Materialismus
Also mussten wieder ein paar Ersatzspieler von der Bank einspringen, die das Spiel noch zu retten versuchten. Die Rede ist vom nicht-reduktiven Materialismus, der von Davidson als „anomalen Monismus“ in Form des „Supervenienzprinzip“ eingeführt wurde. Das Supervenienzprinzip geht davon aus, dass die psychisch-mentalen Zustände des Gehirns von den physisch-materiellen Zuständen der Neuronen abhängig sind und nicht umgekehrt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis der psychisch-mentalen Zustände von der physisch-materiellen Zuständen führte zu einem weiteren taktischen Spielzug; der „Emergenz„. Die Emergenz postuliert, das bestimmte Phänomene nur auf der Makroebene eines Systems erscheinen, aber nicht auf der Mikroebene der Systemkomponenten beobachtet werden können. Insofern spielt die Emergenz eine herausragende Rolle für den nicht-reduktiven Materialismus, da sie das Problem mit dem Bewusstsein dadurch versucht zu erklären, dass diese mentalen Zustände auf der Makroebene der menschlichen Kognition erscheint, er aber nicht in den neuronalen Zuständen der Gehirnaktivitäten nachzuweisen ist. Dies hat natürlich auch zu Buhrufen im Stadion geführt, da die Erklärung für eine materialistische Theorie als nicht sehr befriedigend erscheint und einige Fans der Naturwissenschaft hierin sogar wieder ein Foul durch einen Eigenschaftsdualismus der Geisteswissenschaft gesehen haben.
P./P. Churchlands eliminativer Materialismus
Zum Schluss gibt es noch einen letzten verzweifelten Angriffsversuch vor dem Abpfiff des Bieri-Trilemma-Schieris, der sich das Spiel auch nicht mehr länger anschauen konnte. Patricia und Paul Churchland schossen den Ball als eliminativen Materialismusauf das gegnerische Tor, indem sie einfach behaupteten:„Es gibt keine mentalen Zustände.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#cite_note-32). Die Vorstellung von den mentalen Zuständen würden lediglich auf einer Annahme der Alltagspsychologie beruhen, die aufgrund der fortschreitenden Ergebnisse der Neurowissenschaft irgendwann einmal zum Paradigmenwechsel der zur Zeit noch bestehenden Theorien des Philosophie des Geistes führen würde.
Paradigmenwechsel durch die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie
Dass dieser Paradigmenwechsel zwingend notwendig erscheint, ist hoffentlich durch das Hin und Her im UEPhA-Cup der Ismen mehr als deutlich geworden. Allerdings sehe ich ihn eher darin, die beiden Teams GW und NW endlich wieder zu vereinen, da zur Lösung des Problems der Philosophie des Geistes wie der Geist in die Materie kommt, beide Methoden vonnöten sind. Dieses Zuschütten des Grabens oder das Kitten des Risses könnte die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie aus meiner Sicht leisten. Aber hierzu mehr in meinem nächsten Essay „Die Neurophilosophie„.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Dirk Boucsein philosophies. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und Blogbetreibers. Überschrift und Einleitung von Axel Stöcker.
Sehen wir alle dasselbe, wenn wir „rot“ sagen? (Bild: youtube screenshot)
Im Jahre 2004 erschien der Roman Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier. Es sollte ein Weltbestseller werden, der in 32 Sprachen übersetzt und 2013 schließlich auch verfilmt wurde.
Über eine seiner Hauptfiguren, Amadeu de Prado, einen charismatischen portugiesischen Arzt zu Zeiten der Salazar-Diktatur, heißt es darin „…er war unersättlich in seinem Bedürfnis nach Erklärungen, und es muß im Hörsaal dramatische Szenen gegeben haben, wenn er mit seinem unerbittlichen kartesischen Scharfsinn darauf hinwies, daß etwas, was als Erklärung ausgegeben wurde, in Wirklichkeit keine war.“
Pascal Mercier ist ein Pseudonym, hinter dem sich der Schweizer Philosoph Peter Bieri verbirgt. An welche Pseudoerklärung er beim Schreiben dieser Zeilen dachte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber es ist gut möglich, dass er sich von den heutigen „Erklärungen“ für das Phänomen Bewusstsein inspirieren ließ. Denn auch über das Bewusstsein hat Bieri geschrieben und die fundamentalen Probleme bei der Erklärung desselben in einem prägnanten Trilemma zusammengefasst.
Wie uns Di- und Trilemmata die großen Fragen erschließen
Das magische Dreieck erklärt das Projektmanagement-Trilemma: Man kann eine gutes Projekt schnell und teuer oder langsam und billig realisieren. Schnelle und billige Projekte sind dagegen von geringer Qualität. (Bild: youtube-screenshot)
Dilemmata begleiten uns im Grunde auf Schritt und Tritt. Die kompakteste Formulierung für ein Dilemma ist vielleicht die englische Redensart „you can’t eat your cake and have it“ – man kann seinen Kuchen nicht gleichzeitig essen und für morgen aufbewahren, obwohl man vielleicht beides gerne täte. Man kann auch nicht Schokolade essen und gleichzeitig abnehmen. Oder seinem Partner treu sein und gleichzeitig mit einem anderen anbändeln – grandios eingefangen in dem 90er-Jahre-Deutschrapp-Klassiker „Jein“ von Fettes Brot.