Wie uns Di- und Trilemmata die großen Fragen erschließen

Das magische Dreieck erklärt das Projektmanagement-Trilemma: Man kann eine gutes Projekt schnell und teuer oder langsam und billig realisieren. Schnelle und billige Projekte sind dagegen von geringer Qualität. (Bild: youtube-screenshot)

Dilemmata begleiten uns im Grunde auf Schritt und Tritt. Die kompakteste Formulierung für ein Dilemma ist vielleicht die englische Redensart „you can’t eat your cake and have it“ – man kann seinen Kuchen nicht gleichzeitig essen und für morgen aufbewahren, obwohl man vielleicht beides gerne täte. Man kann auch nicht Schokolade essen und gleichzeitig abnehmen. Oder seinem Partner treu sein und gleichzeitig mit einem anderen anbändeln – grandios eingefangen in dem 90er-Jahre-Deutschrapp-Klassiker Jein“ von Fettes Brot.

Moralische Dilemmata

Dramatischer, aber glücklicherweise nicht ganz so häufig sind moralische Dilemmata – Situationen, in denen man eine Entscheidung treffen muss und, salopp formuliert, nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat. Seit dem Angriff auf das World Trade Center vom 11. September 2001 gerne in folgendes Beispiel gekleidet: Eine entführte, voll besetzte Passagiermaschine ist dabei in einen Wolkenkratzer zu fliegen, in dem sich ebenfalls viele Menschen befindenden. Der Pilot eines Abfangjägers könnte das Flugzeug abschießen. Darf er das? Oder wäre der Abschuss gar moralisch geboten, weil der Pilot davon ausgehen muss, dass sein Abschuss die Anzahl der Todesopfer verringert, da die Insassen des Flugzeugs so oder so sterben werden, die Personen im Wolkenkratzer aber nicht?

Noch unauflösbarer ist das moralische Dilemma in dem Roman „Sophies Entscheidung“ (William Styron, 1979). Eine Jüdin kommt mit ihren beiden Kindern in ein Konzentrationslager. Der sadistische Wärter eröffnet ihr, dass eines ihrer Kinder sterben werde und dass sie entscheiden müsse, welches. Falls sie die Entscheidung verweigere, stürben beide Kinder. Das Di-lemma kann hier nur in die Ver-zwei-flung führen. Kein Wunder, dass der Teufel immer mit zwei Hörnern dargestellt wird.

Dilemmata werden daher häufig in der Literatur aufgegriffen. Sie faszinieren, weil sie uns die Verstrickung des Menschen in schicksalhafte Situationen und die damit einhergehende Unausweichlichkeit menschlicher Schuld vor Augen führen. Ein großes Thema für einen eigenen Beitrag. Doch in diesem Artikel wollen wir es eine Nummer kleiner und weniger verzweifelt halten.

Dilemmata in der Wissenschaft: Das „Viele-Welten-Dilemma“ der Kosmologie

Man kann Dilemmata (und noch mehr Trilemmata, auf die wir gleich zu sprechen kommen) nämlich auch benutzen, um (scheinbar) unlösbare Probleme der Wissenschaft oder Philosophie darzustellen. Dann geht es nicht um reale Dinge des Lebens, sondern nur um zwei (bzw. drei) Ideen, die man nicht unter einen Hut zu bringen vermag. Aber auch das kann spannend und in gewissem Sinne schmerzhaft sein.

Dazu ein Beispiel. Die Kosmologie befindet sich seit einiger Zeit in einem solchen Dilemma. Sie will einerseits Naturwissenschaft sein und damit Aussagen über die reale Welt machen und andererseits an ihren mathematischen Modellen (Stichwort Stringtheorie) festhalten, aus denen sie die Existenz von parallelen Welten ableitet, die nie eine Apparatur nachweisen, geschweige denn ein menschliches Auge sehen wird. Man will also arbeiten wie ein Mathematiker, aber Naturwissenschaftler sein. Nun ist weder an der Tätigkeit eines Mathematikers noch am Wunsch, Naturwissenschaftler zu sein, irgendetwas auszusetzen; beides ist durchaus ehrenwert. Das Dilemma entsteht erst dadurch, dass man meint, beides unter einen Hut bringen zu müssen. So entsteht das „Viele-Welten-Dilemma“, das die Kosmologen dazu verleitet, Diener zweier Herren sein zu wollen. Und so winden sie sich zwischen Natur- und Geisteswissenschaft ganz so, wie der Sänger von Fettes Brot zwischen seiner Freundin und seiner Ex in dem erwähnten Song „Jein“:

„Ihr wisst, dass ich meiner Freundin, der Naturwissenschaft, treu bin!“ beteuert der Kosmologe, doch da kommt die Mathematik und meint: „Na Kleiner, hast du Bock auf Schweinereien?“, darauf er: „Ja klar, äh nein, ich mein‘ Jein! – Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?“ Wie solche Geschichten im Allgemeinen ausgehen, ist bekannt…

Vom Dilemma zum Trilemma

Allen Dilemmata ist letztlich gemein, dass man zwei Dinge haben möchte, die sich gegenseitig ausschließen. Den Kuchen essen und gleichzeitig ihn aufbewahren, das Flugzeug abschießen und gleichzeitig weiterfliegen lassen, das eine Kind retten und gleichzeitig das andere auch, von parallelen Welten phantasieren und gleichzeitig den Anspruch erheben, etwas über die Realität auszusagen. Das ist immer der Kern eines Dilemmas, der uns ins Grübeln bringt oder gar verzweifeln lässt.

Beim Trilemma ist es ähnlich, nur sind es hier nicht zwei, sondern drei Dinge, die sich nicht unter einen Hut bringen lassen. Man hat es also mit drei Aussagen zu tun, von denen immer zwei miteinander vereinbar sind, aber dann der dritten widersprechen. In diesem Sinne könnte man das bekannte Zitat des österreichischen Kabarettisten Gerhard Bronner als „Nazi-Trilemma“ bezeichnen:

„Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“

Inhaltlich leuchtet das unmittelbar ein, weshalb wir uns hier auf die Struktur des Trilemmas konzentrieren können. Wir haben es mit drei Eigenschaften zu tun:

  1. Intelligenz
  2. Anständigkeit
  3. Nazi sein

Wann immer jemand zwei dieser Eigenschaften pflegt, rückt die dritte in weite Ferne. Das Vorhaben, alle drei Eigenschaften in einer Person zu vereinen, wäre daher von vorne herein zum Scheitern verurteilt.

Nun ist es erfreulicherweise aus der Mode gekommen, ein Nazi sein zu wollen, weshalb dieses Beispiel etwas konstruiert wirkt. Es kann aber durchaus sein, dass alle drei Ziele eines Trilemmas positiv besetzt sind. So in dem folgenden Beispiel, das ich das „Biofleisch-Trilemma“ nennen möchte. Eine Familie mit vier Kindern und geringem Einkommen hat drei Wünsche. Sie möchte

  1. Lebensmittel günstig einkaufen
  2. Fleisch essen
  3. Tierquälerei vermeiden

Ich behaupte mal, dass die ersten beiden Wünsche für eine solche Familie mindestens legitim sind. Das dritte Ziel ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

Nun lassen sich aber nicht alle drei Wünsche gleichzeitig verwirklichen. Man kann günstiges Fleisch aus Massentierhaltung kaufen, dann begünstigt man allerdings Tierquälerei. Man kann nur Fleisch aus artgerechter Haltung kaufen, dann vermeidet man Tierquälerei, aber der Einkauf ist nicht mehr günstig. Und man kann günstig einkaufen und Tierquälerei vermeiden – dann muss man allerdings auf Fleisch verzichten. Die Erfüllung aller drei Wünsche ist also unmöglich. Wir haben es mit einem Trilemma zu tun.

Trilemmata erlauben also, mehr als nur zwei legitime Aspekte zu berücksichtigen. Der Fleischeinkauf reduziert sich eben nicht auf die Frage „artgerechte Tierhaltung oder nicht“, sondern es kommt auch der legitime Aspekt des Preises hinzu.

So ist es auch beim „Projektmanagement-Trilemma“, das in der Abbildung dieses Beitrages dargestellt ist. Die Qualität des Projekts hängt nicht nur vom Geld ab, sondern auch von der Zeit. Und so bilden Geschwindigkeit, Sparsamkeit und Qualität des Projekts ein Trilemma: Ein gutes Projekt kann schnell realisiert werden, dann braucht man allerdings viel Geld dafür und muss daher auf Sparsamkeit verzichten. Will man wenig ausgeben, kann das Projekt trotzdem gut werden, man muss ihm allerdings mehr Zeit einräumen. Und wenn man wenig Zeit hat und kein Geld ausgeben will, so kann man das tun, aber das Projekt wird dann von geringer Qualität sein.

Das fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft

Als letztes Beispiel sei hier auf das „Rodrik-Trilemma“ eingegangen. Es stammt von dem türkischen Ökonom Dani Rodrik und ist im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um den Welthandel sehr interessant. Danach bilden die folgenden drei Aspekte ein Trilemma:

  1. Unbegrenzte Globalisierung („Hyperglobalisierung“)
  2. Nationalstaat
  3. Demokratie

Dabei geht Rodrik davon aus, dass Markt und Staat zusammengehören, weil jeder Markt einen Rahmen aus festen Regeln braucht, der vom Staat gesetzt wird. Ferner setzt er voraus, dass es für dieses Zusammenspiel von Markt und Staat unterschiedliche Ausprägungen gibt die historisch, kulturell und gesellschaftlich bedingt sind.

Daran schließt sich (vereinfacht) folgende Überlegung an: In einem Nationalstaat können die Regeln des Marktes von einer demokratisch gewählten Regierung gesetzt werden. Das schließt allerdings eine Hyperglobalisierung aus.

Hat man dagegen eine unbegrenzte Globalisierung, so bräuchte man eine Weltregierung, die dem globalen Markt das unbedingt notwendige Regelwerk gibt. Diese könnte dies aber nur tun, wenn ihr die Nationalstaaten die entsprechenden Kompetenzen übertrügen, was gegen das Demokratieprinzip verstieße.

Bliebe als logisch dritte Möglichkeit eine Weltregierung, die von der Weltbevölkerung demokratisch gewählt wäre, ohne dass es die Zwischenebene der Nationalstaaten gäbe. Das ist allerdings im Moment Science Fiktion und wohl auch wegen grundsätzlicher Überlegungen unmöglich. Denn Demokratie benötigt immer überschaubare Einheiten. Je weiter ein staatliches Gebilde expandiert, desto größer wird im Allgemeinen das Demokratiedefizit. Man denke nur an das römische Reich oder die EU. Rodrik folgert:

„Ich nenne dies das fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft: Wir können nicht gleichzeitig Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung betreiben. Wenn wir die Globalisierung weiterführen wollen, müssen wir entweder den Nationalstaat oder demokratische Politik aufgeben. Wenn wir die Demokratie behalten und vertiefen wollen, müssen wir zwischen dem Nationalstaat und internationaler wirtschaftlicher Integration wählen. Und wenn wir den Nationalstaat und Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir zwischen einer Vertiefung der Demokratie und einer Vertiefung der Globalisierung wählen.“

(Mehr zu Rodriks Trilemma findet sich hier und hier.)

Nun ist die Weltwirtschaft zweifellos ein wichtiges Thema. Aber es gibt natürlich noch größere Fragen. Da wären zum Beispiel das menschliche Bewusstsein, die Quantentheorie und die letzten Begründungen. Zu allen dreien gibt es Trilemmata, die wir auf diesem Blog natürlich genauer unter die Lupe nehmen wollen: das Bieri-Trilemma, das Maudlin-Trilemma und das Münchhausen-Trilemma.

Wir beginnen mit dem Bieri-Trilemma – demnächst auf diesem Blog.

Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

2 Antworten auf „Fettes Brot, die Weltwirtschaft und ein Nazi

  1. Schöner Artikel. Es macht Spaß in mehr Tiefe zu denken. Es ist auch notwendig dies zu tun. Ich bin fasziniert von philosophischen und psychologischen Methoden, Gedankenexperimenten durchzuführen, vor allem wenn es um Situationen geht, in denen man von unmöglicher Wahl gestellt wird.

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  2. Werter Herr Stöcker,
    zufällig stoße ich im „Jürgen Fritz-Blog“ auf Ihren Beitrag über *Di- und Trilemmata*. Sicher eines der wichtigen Themen, die im gegenwärtigen Macht- und Ideologie–Kampf zwischen „Links“ und „Rechts“ geklärt werden müssten. Wenn die BRD–„Rechte“ ihr Potential nicht voll ausschöpft, liegt das auch am Fehlen einer umfassenden, stimmigen Rahmen–Theorie. Insbesondere wäre das „geläuterte“ Weltbild einer demokratischen „Neo–Rechten“ darzustellen. Sozusagen als „di-lemmatischer“ Gegenzug zum Habermas`schen „Neo–Marxismus“.

    Was Uni-, Di- und Tri-Lemmata anbetrifft (die „1“ fehlt bei Ihnen), so missbrauchen diese selbst „Elfenbeinturm“–Intellektuelle bereits im begrifflichen und sprachlichen Bereich (etwa mit ihren allseits offenen Kombinationen: „religiöser Atheist“, „demokratischer Sozialismus“, „linke Nazis“ u.a.). Sicher ist das Abwägen von „Di-Lemmata“ oft nicht einfach, aber in Weltanschauungen müssen und können fundamentale Unterschiede klar getroffen werden – so wie man sich auf der Straße entweder für linkes oder rechtes Abbiegen entscheiden muss. Das erfordert ein Abwägen, Setzen von Prioritäten und Kenntnis der Ziele voraus, ferner Mehrheiten für die politische Macht. Genau genommen, verfällt man der marxistischen „unistischen“ Droge der EIN-fachheit, wie es leider unbedacht auch bei vielen Kapitalisten, „Konservativen“ und „Patrioten“ der Fall ist. Ein solches Thema kann m.E. auch nicht behandelt werden, ohne einen Gegen–Entwurf zum überholten Kant`ischen Uni-versalismus der *Aufklärung* (die schon Hegel „Aufkläricht“ nannte), zu liefern. Für eine ausführliche Darlegung fehlt hier der Raum. Aus meiner Sicht muss eine Mehrheit von Intellektuellen wieder lernen, mindestens von 1 – 3 zu zählen (im übertragenen Sinn), um ein ganzheitliches Weltbild und Bewusstsein zu erlangen.
    Freundliche Grüße
    Werner Nehls
    (19.03.2020)

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