Spektrum_1_17
Spektrum Highlights 1/2017

New Age – das stand bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts für gesellschaftliche Veränderungen im Zeichen des anbrechenden Wassermannzeitalters: ganzheitliche Medizin, spirituelle Erleuchtung, Räucherstäbchen, Yin und Yang… Selbst an den Naturwissenschaften ging das nicht spurlos vorüber. „Wendezeit“ und „Das Tao der Physik“ hießen damals Bestseller des Physikprofessors Fritjof Capra, in denen er die Überbetonung des Yang-Prinzips in der Wissenschaft kritisierte und eine philosophische Konvergenz zwischen moderner Physik und östlicher Mystik forderte. Im Nachhinein lässt sich sagen: Verändert hat das die Naturwissenschaft wenig. Die wissenschaftliche Theoriebildung blieb davon sogar völlig unberührt.

Doch im neuen Jahrtausend führen neue Versuchungen auch zu neuen Versuchen die Physik zu esoterisieren – wenn auch aus einer ganz anderen Richtung und aus völlig anderen Motiven. Die Protagonisten des „neuen New Age“ der Physik kommen aus dem Zentrum der Forschung und könnten daher dieses Mal mehr Erfolg haben. Es sind vor allem theoretische Physiker und Kosmologen wie Stephen Hawking und Max Tegmark, die der „Bewegung“ anhängen. Zu den „neuen Capras“ gehört auch der britische Physiker Robert Matthews, dessen Ideen man unlängst in Spektrum der Wissenschaft (Spektrum Highlights 1.17 – Reise durch das Quantenuniversum) lesen durfte. Formulierungen wie, man solle Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit „lockerer nehmen“ und stattdessen die „relative Plausibilität“ von Theorien „abschätzen“, lassen Schlimmes befürchten. Denn: Wenn sich heutzutage ein Laie darauf verlassen kann, dass dort wo „Wissenschaft“ draufsteht auch tatsächlich Wissenschaft drin ist, so ist dies wesentlich den Kriterien des österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper zu verdanken.

Doch die Zeiten relativer Klarheit könnten zu Ende gehen – jedenfalls, wenn es nach Leuten wie Matthews gehen sollte. Er würde Popper gerne einmotten und seine Kriterien durch neue ersetzen. Jedoch: Was er und die seinen für Fortschritt halten, ist für viele Kollegen ein Frontalangriff auf die Wissenschaftliche Methode. Die Fronten sind verhärtet. Gestritten wird um nichts geringeres als die Fundamente naturwissenschaftlichen Denkens und damit letztlich auch unsern Begriff von „Wirklichkeit“. Es geht also nicht um Petitessen, wenn wir fragen: Was genau wollen die neuen Esoteriker der Physik? Welche Alternativen bieten sie? Und was treibt sie an?

Poppers Club der wissenschaftlichen Thesen

Karl Poppers Kriterien erlauben es, wissenschaftliche Erkenntnisse von mystischen Eingebungen zu unterscheiden. Sie sind so etwas wie die Statuten eines elitären Clubs, der das Prädikat „wissenschaftlich“ verleiht. Eine These kann nur dann einen Aufnahmeantrag für den erlauchten „Club der wissenschaftlichen Thesen“ stellen, wenn sie eine Bedingung erfüllt: Sie muss Voraussagen machen, die sich an Hand von Beobachtungen in der Natur (zum Beispiel bei Experimenten) überprüfen lassen. Nur wenn sich mindestens eine dieser Voraussagen bestätigt, kann dem Antrag stattgegeben werden.

popper
Karl R. Popper (1902-1994)

Innerhalb des Clubs geht es hierarchisch zu: Je mehr Voraussagen einer bestimmten These bestätigt wurden, desto höher ist ihr Ansehen. Es gibt also Thesen, die im Vorstand sitzen und solche, die eher geduldet werden. Einig ist man sich jedoch darin, wer nicht zum Club gehören kann, denn hier gibt es eindeutige Regeln: Wer keine überprüfbaren Voraussagen macht, kommt gar nicht erst rein. Und wer falsche Voraussagen macht, fliegt raus. Es gibt also keine garantierte Mitgliedschaft auf Lebenszeit im Club der wissenschaftlichen Thesen. Ein Mitglied wird gnadenlos vor die Tür gesetzt, wenn neue Beobachtungen auftauchen, die seinen Voraussagen widersprechen. In der Clubsprache heißt es dann, die These wurde falsifiziert.

Jedenfalls sollte das so sein. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich mehrere Thesen zu konspirativen Zirkeln zusammenschließen, deren Mitglieder sich gegenseitig unterstützen. Im Clubjargon spricht man von Theorien.  Wenn nun ein verdientes Mitglied eines solchen Zirkels falsifiziert wird, kommt es vor, dass es zunächst noch geduldet wird. Muss man verstehen: Solidarität, man ist aufeinander angewiesen etc. In der Regel heißt es dann, man prüfe nochmals eingehend. Bleibt es jedoch bei der Falsifikation, gibt es keine Nachsicht mehr: Wer falsch voraussagt, fliegt! Im schlimmsten Fall löst sich der Zirkel dadurch auf, das heißt, die Theorie bricht zusammen. Oft kann die These aber durch eine neue ersetzt werden, die die weitere Existenz des Zirkels sichert. Im Idealfall ist die Theorie dadurch sogar noch besser, der Zirkel damit noch unangreifbarer geworden.

Karl Popper, in diesem Bild so etwas wie der Übervater des Clubs, hat das an seinem berühmten Beispiel von den weißen Schwänen illustriert. Die These „Alle Schwäne sind weiß“ macht offenbar Voraussagen über die Welt: Wann immer wir irgendwo einen Schwan entdecken, wird dieser weiß sein. Je mehr weiße Schwäne wir beobachten, desto gesicherter die These. Andererseits besteht mit jedem neu entdeckten Schwan aber auch die Möglichkeit, dass die These falsifiziert wird, nämlich dann, wenn der Schwan schwarz ist. Naturwissenschaftliche Thesen können daher in einem strengen Sinne niemals bewiesen werden, weil man nie völlig ausschließen kann, dass sie durch neue Beobachtungen widerlegt werden. Das ist der Preis für das Gütesiegel „wissenschaftlich“, das heutzutage die höchste Auszeichnung ist, die man einer These verleihen kann.

Wenn die Kabbalisten sagen, die materielle Welt sei aus geistiger Energie entstanden, die sich durch Stürze aus höheren Welten immer weiter verdichtet habe, so ist das nicht widerlegbar. Und es mag sich für manchen sogar plausibel anhören. Doch es ist kein naturwissenschaftliches Gedankengebilde, solange sich aus ihm keine Vorhersagen ableiten lassen, die man in der Natur beobachten kann. Das bedeutet nicht zwingend, dass diese Überlegungen reiner Nonsens sind. Es bedeutet nur, dass sie nicht das angesehene Prädikat „wissenschaftlich“ tragen dürfen. Keine Falsifizierbarkeit, keine Wissenschaftlichkeit. Umgekehrt ist ständig drohende Falsifizierbarkeit der Preis dafür, einen wissenschaftlichen Anspruch erheben zu dürfen.

Potemkinsche Dörfer gegen Popper

Ein verständliches, praktikables und vor allem bewährtes Konzept, sollte man meinen. Doch es ist bei einigen Wissenschaftlern (?) in Ungnade gefallen. Der Grund dafür lässt sich in zwei Schlagwörtern angeben: Multiversum und String. Die zugehörigen Theorien erfüllen nicht Poppers Kriterien. Bei Matthews hört sich das so an:

„Poppers Wissenschaftsdefinition wird durch das Aufkommen durchaus seriös gemeinter Ideen, die seinem Kriterium nicht zu genügen scheinen, auf eine harte Probe gestellt.“

Wohlgemerkt: Nicht etwa die Ideen werden auf die Probe gestellt, sondern das Kriterium! Klingt ein bisschen so, als wolle jemand eine Geschwindigkeitsbegrenzung durch häufiges Rasen auf die Probe stellen. Aber gut, übertriebene Tempolimits mag es geben. Welche Argumente führt Matthews also gegen Popper ins Feld?

Sein erster Einwand lautet, „dass auch Astrologen, Wahrsager und Quacksalber falsifizierbare Aussagen machen, ohne dass diese dadurch wissenschaftlich würden“. Dieses Argument trifft schon deshalb nicht, weil Falsifizierbarkeit zwar ein notwendiges, aber keineswegs ein hinreichendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit ist, wie wir am Bild des „Clubs der wissenschaftlichen Thesen“ schon gesehen haben. Der Philosoph und Popper-Kenner Norbert Hinterberger formuliert es so:

„Theorien, die wir für stabil bzw. gut gestützt halten, müssen etwas mehr als nur falsifizierbar sein (wie Popper später auch selbst bemerkt hat), sie müssen alle ernsthaften Falsifikationsversuche überstanden haben (je mehr, desto besser) bevor wir ihnen trauen (…).“

Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Matthews Popper absichtlich missversteht, um ihn dann leichter kritisieren zu können.

Matthews zweiter Einwand gegen Popper lautet: Falsifikation funktioniert nicht! Das versucht er am Beispiel des Physikers Walter Kaufmann zu belegen, der im Jahre 1906 Einsteins spezielle Relativitätstheorie durch Experimente mit Elektronen widerlegt zu haben glaubte. Doch Einstein wies diese Ergebnisse aufgrund theoretischer Überlegungen zurück – wie sich später herausstellte, zu Recht! Die Tatsache, dass Falsifikationen auch schiefgehen können, wird hier also als Argument gegen Popper in Stellung gebracht. Das ist ein bisschen so, als wollte man die Strafverfolgung abschaffen, weil die manchmal auch Unschuldige anklagt. Vor allem aber spricht es nicht gegen Poppers Prinzip, denn der Versuch einer Falsifikation ist selbst wieder eine These, die nach Popper falsifiziert werden kann. Eine falsifizierte Falsifikation kann im Nachhinein sogar eine Bestätigung sein (man denke zum Beispiel an das berühmte EPR-Paradoxon). Norbert Hinterberger schreibt dazu:

„Matthews interpretiert das [Einsteins Zurückweisung von Kaufmanns Kritik] hier unverständlicherweise als Uneinsichtigkeit Einsteins. (…) Unmittelbar darauf versteigt er sich dann (…) in folgende Behauptung: „Doch Einstein wies die Ergebnisse schlichtweg zurück … Er war sicherlich nicht der letzte Wissenschaftler, der unpassende Resultate einfach verwarf – wie Popper zugeben musste.“ Popper hatte allerdings das ganze Gegenteil getan. Er hat Einsteins Entgegnung als das genommen, was sie ist: eine Kritik an den falsifikativen Prämissen von Kaufmann.“

Auch Matthews zweites Argument ist also wenig überzeugend.

Matthews nächster Einwand lautet, Poppers Prinzip entspreche nicht der Arbeitsweise von Wissenschaftlern. Denn diese entwürfen Theorien nach ihren Ideen und versuchten dann, diese zu stützen und nicht etwa zu widerlegen. Laut der Philosophin Rebecca Goldstein, auf die sich Matthews beruft, behauptet  Popper „jeder Wissenschaftler sei einzigartig und habe so viel Distanz zu seinen eigenen Theorien, dass er nur darauf aus sei, sie abzuschießen.“ Nun muss man kein Experte sein, um zu erkennen, dass entweder Popper in puncto Menschenkenntnis ein kompletter Naivling gewesen sein muss, oder aber, dass Frau Goldstein hier ziemlichen Unfug über den weltberühmten Philosophen verbreitet. Denn natürlich verhalten sich die meisten Wissenschaftler nicht so. Glücklicherweise ist der Wissenschaftsbetrieb auch gar nicht darauf angewiesen, dass Wissenschaftler versuchen ihre eigenen Theorien „abzuschießen“. Es genügt voll und ganz, wenn sie es mit denen der anderen versuchen – um damit natürlich der eigenen Theorie einen Vorteil zu verschaffen. Konkurrenz belebt das Geschäft. So banal es klingt, aber das gilt auch und gerade in der Wissenschaft. Und was Popper angeht, so schreibt Hinterberger, dieser habe Forscher nie in dem von Goldstein unterstellten Sinne „idealisiert“, sondern sich bei der Falsifikation auf eben diese Konkurrenzsituation bezogen.

Als letztes sei hier auf den Einwand eingegangen, für den Matthews  seinen Kollegen Lawrence Krauss zitiert: Man könne „einfach nicht wissen, ob eine Theorie wirklich unfalsifizierbar ist.“ Das bedeute, so Matthews messerscharfe Folgerung, dass „blinder Glaube“ dazugehöre, um eine Theorie aufgrund von Poppers Kriterien zu verwerfen. Als Beleg bezieht er sich einmal mehr auf Einstein, der 1936 theoretisch ableitete, dass das Licht eines fernen Sterns durch ein Schwerefeld zwischen dem Stern und dem Beobachter zu einem hellen Ring verzerrt werden müsste. Einstein fügte damals hinzu, dass jedoch kein Astronom hoffen dürfe, so etwas jemals zu beobachten. Er irrte. 1998 wurde ein perfekter „Einsteinring“ beobachtet, den das Schwerefeld einer entfernten Galaxie erzeugte.

Was will Matthews mit diesem Beispiel sagen? Man hätte Einstein schon damals glauben sollen? Dazu kann man nur sagen: Glauben konnte man Einstein schon 1936, wissen konnte man aber erst 1998. Das ist ja gerade der Unterschied. „Blinder Glaube“ ist für Matthews also nicht etwa, wenn man eine Theorie trotz fehlender Belege für wissenschaftlich hält, sondern ganz im Gegenteil, wenn man eine solche Theorie als Spekulation bezeichnet. Was soll man dazu sagen?

Wind Of Change in der Wissenschaftstheorie?

Dieser letzte Einwand zeigt aber deutlich, woher der wissenschaftstheoretische Wind weht: Man will die Unfalsifizierbarkeit als Argument gegen Theorien in Misskredit bringen, um den unfallsifizierbaren String- und Multiversumstheorien das Prädikat „wissenschaftlich“ verleihen zu können. Und die Begründung dafür soll lauten: Unfalsifizierbarkeit ist nicht beweisbar.

In dubio pro reo also? Wohl eher nicht, sonst müssen wir die Theorie vom real existierenden Schutzengel, für den der Detektionsapparat bisher noch nicht entwickelt werden konnte, auch bald an wissenschaftlichen Lehrstühlen diskutieren.

Die Tatsache, dass man den Einsteinring 60 Jahre später dann doch beobachten konnte, spricht auch nicht gegen Popper, sondern ist schlicht Ausdruck der Tatsache, dass man die Zukunft und damit auch den technischen Fortschritt nicht voraussagen kann. Bei der Multiversumstheorie sind die Hürden für die Falsifizierbarkeit aber ungleich höher. Hier ist gar kein Experiment denkbar, das mit einer fortschrittlichen Technologie in ein paar Jahrzehnten vielleicht möglich wäre, sondern es gibt das grundsätzliche Problem, dass zwischen parallelen Universen gar kein Informationsaustausch und damit keine Beobachtung möglich ist.

Letztgültig feststellbar, da hat Krauss recht, ist Unfalsifizierbarkeit aber nicht. Schlicht und einfach deshalb, weil man nicht in die Zukunft sehen kann. Poppers Kriterien geben keine letzte Sicherheit, wie Popper selbst am besten wusste. Ein Schlupfloch für alle Romantiker – es sei denn…

Es sei denn, Matthews und Co. hätten alternative Kriterien zu Popper in petto, die mehr Sicherheit bieten als dieser. Darum soll es dann im nächsten Teil von New Age in der Physik gehen.

Zu Teil 2 geht es hier.

Abbildungen: 1. mit freundlicher Genehmigung von Spektrum der Wissenschaft / 2. Screenshot youtube
Posted by:Axel Stöcker

Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Seit 2016 bloggt er zu den „großen Fragen“ der Wissenschaft und des Lebens im Allgemeinen und war damit schon mehrfach für den Wissen-schaftsblog des Jahres nominiert (https://die-grossen-fragen.com/). Einen Schwerpunkt bilden dabei die Themen Bewusstsein und freier Wille. Dazu interviewt er auf dem YouTube-Kanal „Zoomposium“ zusammen mit Dirk Boucsein bekannte Hirnforscher wie Wolf Singer oder Gerhard Roth. Seine Gedanken zu diesem Thema hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman „Balduins Welträtsel“ verarbeitet.

8 Antworten auf „New Age in der Physik (1) – Potemkinsche Dörfer gegen Popper

  1. Ich stimme zu: Die geschilderte Kritik an Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit verwischt die Grenzen zwischen Wissenschaft und Esoterik, zwischen Physik und Metaphysik.
    Dennoch ist das Programm nicht unproblematisch: Letzt habe ich wieder das Buch von Ludwik Fleck „Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache“ (1980, Suhrkamp, stw 312) gelesen. Darin beschreibt er am Beispiel der Syphilis detailliert, wie in einer Wissenschaftlergruppe durch einen rekursiven Prozess wissenschaftliche Erkenntnisse entwickelt und getestet werden. Sowohl der Erkenntnisgegenstand als auch die Testverfahren zur Hypothesenprüfung sind nicht das Ergebnis von Thesen und Tests, sondern von Suchprozessen in denen sich Thesen und Tests in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander im wissenschaftlichen Diskurs entwickeln. Auf Popper gewendet: Hypothesenprüfung durch das Kriterium der Falsifikation ist selbst wiederum an geeignete Hypothesen gebunden, die ihrerseits wieder zu prüfen sind. Wir können also nichts verifizieren, aber ob wir etwas falsifizieren können, gilt nur unter eingeschränkten Bedingungen.
    So gilt in Abwandlung des Churchill-Zitats: „Falsifikation ist die schlechteste aller Formen der Prüfung – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ Auf die Fortsetzung bin ich gespannt.

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  2. Vielen Dank für Ihren Kommentar, Adam-Schmitz-2.
    Ja, der Vergleich mit Churchills Zitat scheint mir sehr passend zu sein!
    Denn in der Tat sind Letztbegründungen bzw. strenge Beweise in der Naturwissenschaft unmöglich, was meines Wissens auch Popper schon so gesehen hat. Sie führen in den von Ihnen beschriebenen unendlichen Regress, der natürlich nicht funktionieren kann oder in einen Zirkelschluss. Der dritte „Ausweg“ besteht darin, die Begründung an einem bestimmten Punkt durch eine Setzung, also letztlich ein Dogma, abzubrechen. Unbefriedigend! Der Philosoph Hans Albert sprach in diesem Zusammenhang vom Münchhausen-Trilemma.
    Dem entrinnen natürlich auch die nicht, die glauben, Popper mit dem Satz von Bayes überflüssig machen zu können. Um die soll es dann im zweiten Teil gehen.
    Ich hoffe, dass ich bald genügend Zeit haben werde, ihn abzuschließen.

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  3. Axel Stöcker: „…man solle Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit „lockerer nehmen“ und stattdessen die „relative Plausibilität“ von Theorien „abschätzen“, lassen Schlimmes befürchten.“

    Man muß sich hier vor nichts fürchten; eine Erweiterung muß nicht bedrohlich sein, sie kann auch helfen, sie kann den Horizont erweitern.

    Der Fetisch Exaktheit kann uns unnötig einengen.

    Die Intelligenz ist unendliche Weite. Unsere kleine ORDNUNG ist zwar einerseits hilfreich, gleichzeitig aber auch einengend.

    Wir dürfen die Intelligenz nicht der Ordnung opfern. Das wäre ziemlich dumm 🙂

    Der Architekt arbeitet mit Genauigkeit. Würde er ausschließlich streng nach Berechnung verfahren – so manches Gebäude könnte niemals in Funktion gehen. Das selbe gilt für den Ingenieur und seine Maschinen.

    Die Wissenschaft ist nicht auf ewig an bestimmte Methoden gebunden. Sie soll uns nützen, uns unterstützen und nicht sich selbst befriedigen.

    Die erweiterte Zulassung von Intelligenz wird neue Methoden zum Vorschein bringen. Von einigen uns heute noch lieb und teuer erscheinenden werden wir uns dankend verabschieden.

    Das aber erst dann, wenn wir (ohne Verifikation/Falsifikation) erkennen können, daß die Intelligenz größer ist als der stärkste Verstand. Erst in dieser Demutshaltung werden wir uns einer erweiterten Wissenschaft öffnen können. Bis dahin werden derartige Vorstöße als „Esoterik“ diffamiert und abgetan.

    Solche Abgrenzungen basieren auf Angst.

    Axel Stöcker: „Wenn sich heutzutage ein Laie darauf verlassen kann, dass dort wo „Wissenschaft“ draufsteht auch tatsächlich Wissenschaft drin ist…“

    Dazu muß 1. „Wissenschaft“ und „Wissenschaftlichkeit“ (wenigstens kurz) definiert werden und 2. wird man bei etwas genauerem Hinsehen und der Abwesenheit von bedingungsloser Gläubigkeit feststellen, daß auch im Bereich „Wissenschaft“ viel Aberglaube im Spiel ist.

    „Wissenschaftlicher Beweis“ wird (betr. Bedeutung/Wichtigkeit) oft genug mit „Unfehlbarkeit“ übersetzt. Aber manchmal steht „Wissenschaft“ drauf und: Blödsinn steckt drin. Um diesen erkennen zu können, bedarf es eines wachen, also unvoreingenommenen Geistes – jenseits der engen Methoden.

    Es braucht eines „unwissenschaftlichen“ Blicks
    AUF die Wissenschaft, damit sie nicht erstarrt.

    Die Intelligenz selber ist bereits unwissenschaftlich. Sie kann in keine Ordnung gefügt werden.

    Axel Stöcker: „Er würde Popper gerne einmotten und seine Kriterien durch neue ersetzen.“

    Man ersetzt etwas, was nicht mehr gebraucht wird. Poppers Techniken sind aber brauchbar. Warum sollte man Bewährtes abschaffen wollen? Aber: Diese Techniken haben – wie alle Techniken – ihre Grenzen, das ist alles.

    Wissenschaft muß immer größer sein als ihre Methoden. So wie der Handwerker immer größer ist als die Summe seiner Werkzeuge.

    Winterliche Grüße
    von Nirmalo J.Schröder

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    1. „Die Wissenschaft ist nicht auf ewig an bestimmte Methoden gebunden. Sie soll uns nützen, uns unterstützen und nicht sich selbst befriedigen.“

      Ich bin vollständig Ihrer Meinung. Es gibt keinen festen Methodenkanon der Wissenschaft und sie ist auch nicht Selbstzweck, jedenfalls nicht ausschließlich. Selbstzweck ist nur der Mensch (siehe dazu auch das „Zitat im Dezember“, das in den nächsten Tagen – hoffentlich – erscheint).
      Nur: So wie ich Popper verstehe, legt er auch gar keine Methoden fest. Sie können alles als Methode anwenden. Es geht allein um Frage, ab wann das Ergebnis „naturwissenschaftlich“ ist. Alles was ich oben geschrieben habe meint Wissenschaft ja nur im Sinne von Naturwissenschaft. Es geht also nicht um Mathematik, Philosophie und andere.
      Ein Beispiel: August Kekulé träumte vor dem Kamin von einer Schlange, die sich in eigenen Schwanz biss. Dadurch kam ihm die Idee zu seiner berühmten Ringformel für das Bezolmolekül. Eine „unwissenschaftlichere“ Methode kann man sich wohl kaum vorstellen. Trotzdem ist das Ergebnis eine naturwissenschaftliche These, denn die Behauptung, dass Benzol eine Ringform hat, kann ja an der Beobachtung scheitern. In diesem Fall tat sie es nicht (bzw. nur teilweise, aber das sind Details).
      Um im Bild des von Ihnen erwähnten Architekten zu bleiben, könnte man vielleicht sagen: Er kann und soll (!) seiner Phantasie bei den Entwürfen freien Lauf lassen. Wenn er aber auch tatsächlich etwas bauen will, muss er sich irgendwann wieder daran orientieren, was technisch realisierbar ist.

      „Dazu muß 1. „Wissenschaft“ und „Wissenschaftlichkeit“ (wenigstens kurz) definiert werden und 2. wird man bei etwas genauerem Hinsehen und der Abwesenheit von bedingungsloser Gläubigkeit feststellen, daß auch im Bereich „Wissenschaft“ viel Aberglaube im Spiel ist.“

      Wissenschaft im Sinne von Naturwissenschaft ist eben durch Poppers Kriterium definiert: Sie muss an der Beobachtung scheitern können. Nur eine Beobachtung mehrerer Personen bringt ein gewisses Maß an Objektivität. Nimmt man dieses Kriterium ernst (was heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist), bleibt dem Aberglaube relativ wenig Raum.
      Aber das bedeutet nicht, dass alles andere damit Unfug ist. Neben „Poppers Club“ gibt es noch andere, die auch durchaus erlaucht sind. Der Geist weht, wo er will. Es sollte ihm nur klar sein, womit er sich gerade befasst.

      Herzliche Grüße
      Axel Stöcker

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  4. „Es muss viel wilder herum spekuliert werden, denn unsereiner findet die Wahrheit zu Lebzeiten nie und nimmer mehr.“ Max Planck. Sie finden viel und immer noch mehr und trotzdem dass Einiges an „Wie“ gefunden wurde ist die Wissenschaft so kleinlaut geworden dass niemand sich auch nur traut nach dem „Warum“ zu fragen. Paradox ist dass jene welche an eine „Entstehung glauben, sich selbst für stramme Materialisten halten, dabei sind es die naivsten Magier, weil diese daran glauben dass aus Nichts was werden könnte. Möglichst mit großem Päng und grellem Blitz, schon hat Kasperle den Seppel erscheinen lassen. Metaphysiker bemühen lieber eine Ganzheit welche von jeher , auch im Nichts gegeben scheint. Potentialität und daraus kann dann eine Akzidenz ins Kontinuum der vielen Ganzheiten treten. Diesen absolut unveränderlich statischen „Jetzigen“ in eine Rennerei verwickeln, eine Zeit-Macht welche sie altern könne. (Anstatt davon auszugehen dass Massen sich gegenseitig festhalten und so die zunehmende Trägheit, in der Nähe von dichteren Konzentrationen, schlicht die Pendelbewegungen der Uhr zähflüssiger machen.) Eine weitere unsichtbare Macht genannt Raum welcher auch mächtig einwirken könnte auf diese ach so Kleinen. Das Atom ist nicht mehr atomos, also ungezeugt und somit auch unvergänglich, obwohl noch nie so viel sprach für diese These.

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    1. „Wie“ und „Warum“ – Danke für diese Stichworte. Die meisten Naturwissenschaftler haben sich zum „Warum“ in der Tat wenig geäußert. Außnahme: Hawking. Übrigens das Thema meines nächsten Beitrags, der in der Mache ist, aber nicht fertig wird. Hoffentlich bald!

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