Zusammen mit Dirk Boucsein von philosophies.de hatte ich das Vergnügen den Philosophieprofessor Godehard Brüntrup von der Hochschule für Philosophie in München interviewen zu dürfen. Prof. Brüntrup vertritt einen Panpsychismus. Er steht daher dem Physikalismus und der Idee, Evolution können allein durch zufällige Prozesse vorangetrieben werden, kritisch gegenüber. Bekannt ist er außerdem, weil er vor vielen Jahren eine intensive Nahtoderfahrung hatte, von der er sehr offen berichtet.
Das Interview mit Prof. Brüntrup ist zweigeteilt. Wer sich mehr für die Metaphysik des Geistes interessiert, der findet hier direkt zu Teil 1. Wer mehr am Thema Nahtoderfahrung interessiert ist, der kann sich hier direkt Teil 2 anschauen. Und wer sich zunächst einen allgemeinen Eindruck verschaffen möchte, schaue sich einfach den folgenden 6-minütigen Teaser an.
„Ein Sachbuch, so anregend, dass man dazu tanzen möchte!“ Das schrieb der Rezensent Denis Scheck über den 2017 erschienenen Bestseller „Homo Deus“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari, in dem dieser „Eine Geschichte von Morgen“ skizziert. Damit hat Schreck gewiss recht, doch vergaß er zu erwähnen, auf welche Musik da getanzt wird. Ist es ein beschwingter Swing in die Zukunft, ein Trauermarsch ins Nichts oder doch eher ein betäubender Drum-and-base-Sound ins Koma?
Nun gilt für Prognosen bekanntlich das Bonmot von Karl Valentin, dass sie schwierig sind, besonders wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Unbestritten dürfte indes sein, dass die technische Revolution an der Schwelle des dritten Jahrtausends gerade erst begonnen hat. Lesen Sie in diesem Beitrag, welches Szenarium Harari für die Zukunft entwickelt, wie sich darin unser Menschenbild verändern könnte und warum das Körper-Geist-Problem dabei eine zentrale Rolle spielt. (Alle Zitate in diesem Text stammen, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus Hararis Buch Homo Deus. Bei längeren Zitaten ist die Seitenzahl angegeben.)
Der wichtigste Begriff der Welt
Habe Sie schonmal darüber nachgedacht, was für ein Algorithmus Sie sind? Wenn nicht, sollten Sie das schleunigst nachholen, denn „‚Algorithmus‘ ist vermutlich der wichtigste Begriff in unserer Welt“ und Sie sind einer – so wie alle anderen Organismen übrigens auch. So fasst Harari sehr prägnant aber durchaus treffend das aktuell gültige Bild zusammen, das die Wissenschaft vom Menschen und „den anderen Tieren“ zeichnet. Was genau meint er damit?
Algorithmen sind zunächst bekannt aus der Informatik, wo sie Rechenoperationen steuern. Allgemeiner betrachtet ist ein Algorithmus aber einfach eine „methodische Abfolge von Schritten, mit deren Hilfe […] Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden können“. Sie erledigen also genau jene Aufgaben, mit denen Organismen ständig konfrontiert sind. Allerdings gilt das nicht nur für Organismen. Auch Getränkeautomaten funktionieren auf der Basis von Algorithmen, wenn sie uns zum Beispiel eine Tasse Tee zubereiten. Algorithmen steuern also Prozesse über die Subjekte (Teeautomaten, Organismen) mit ihrer Umwelt interagieren. Insofern gilt:
„Menschen sind Algorithmen, die nicht Tee oder Kaffee produzieren, sondern Kopien ihrer selbst (also eine Art Getränkeautomat, der, wenn man die richtigen Tasten drückt, einen weiteren Getränkeautomaten produziert).“ (S. 135)
Daran wird auch klar, dass es Algorithmen sind, die einen Organismus zu einem solchen machen, und nicht etwa die Substanzen, aus denen dieser zusammengesetzt ist. Ein Mensch besteht aus rund 42 kg Sauerstoff, 21 kg Kohlenstoff, 7 kg Wasserstoff, 1,5 kg Stickstoff, 1 kg Calcium und noch ein paar anderen Elementen. Aber wenn wir all diese Stoffe im Labor in einem großen Gefäß vermischen, bekommen wir keinen Menschen. „Menschsein“ steckt in der Struktur, die diese Atome miteinander bilden, in der Art und Weise, wie sie untereinander und mit der Umwelt interagieren und den Prozessen, die dabei ablaufen. All das wird von Algorithmen gesteuert.
Das gilt übrigens auch – Romantiker müssen jetzt tapfer sein – für Gefühle. Sie sind „biochemische Algorithmen“ die sich im Laufe der Evolution entwickelt und optimiert haben und unser Verhalten steuern. Ein Pavian, der eine Banane in der Nähe eines Löwen erspäht, ist zwischen den Gefühlen „Hunger“ und „Angst“ hin- und hergerissen. Ein komplexer Algorithmus führt eine Abwägung zwischen den Gefahren „verhungern“ und „gefressen werden“ durch, wobei er die Umstände der konkreten Situation (Daten!) berücksichtigt, d. h. verarbeitet. Schließlich kommt es zu einer Entscheidung, indem eines der Gefühle die Oberhand behält.
Die Umbrüche des Anthropozän
So weit das Menschenbild der Naturwissenschaft wie Harari es in seinem Buch referiert. Wir kommen später darauf zurück, doch zunächst zu den historischen Entwicklungen, die er nachzeichnet und schließlich extrapoliert.
Harari sieht im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, das vor rund 70 000 Jahren begann, bisher zwei große Umbrüche. Der erste bestand im Sesshaft werden, im Übergang vom Jäger und Sammler zum Bauer. Damit verließ der Mensch nämlich das „Parlament der Lebewesen“ und stellte sich über seine Mitgeschöpfe, indem er zum Beispiel Tiere domestizierte. Daher ist es kein Zufall, dass zu selben Zeit auch die großen Religionen entstanden. Sie rechtfertigten die Sonderstellung des Menschen, erlaubten ihm die Nutzung (und Ausbeutung) der „anderen Tiere“ und gaben seinem Dasein einen höheren Sinn. Das Universum war nun kein Organismus mehr, sondern eine große Bühne für die beiden Hauptdarsteller: Mensch und Gott. Der Mensch hatte damit seine Mitwelt in gewissem Sinne „zum Schweigen gebracht“ und verhandelte nun nur noch mit den Göttern.
Beim zweiten großen Umbruch – der wissenschaftlichen Revolution – wurde es dann noch einsamer um den Menschen. Mit der Vorstellung, dass das Universum in einem, zwar bestimmten Gesetzen folgenden, aber dennoch sinn- und ziellosen Prozess entstanden ist, entledigte er sich auch der Götter.
„Die Welt war nunmehr eine One-Man-Show. Die Menschheit stand ganz allein auf einer leeren Bühne, sprach mit sich selbst, verhandelte mit niemandem und erwarb enorme Macht ohne irgendwelche Verpflichtungen.“ (S. 155)
Doch das Erlangen von Macht hatte einen Preis: Den Verlust von Sinn. Der Hoffnung auf ein Jenseits und die tröstliche Vorstellung, dass Katastrophen und Schicksalsschläge letztlich einer höheren Einsicht folgen, gingen verloren.
„Die moderne Kultur lehnt diesen Glauben an einen großen kosmischen Plan ab. Wir sind keine Darsteller in irgendeinem Drama, das größer ist als das Leben […] Die moderne Welt glaubt nicht an einen Zweck, sondern nur an eine Ursache.“ (S. 313)
„Der moderne Pakt“ lässt sich daher nach Harari in einem sehr einfachen Satz zusammenfassen:
„Die Menschen stimmen zu, auf Sinn zu verzichten, und erhalten im Gegenzug Macht.“ (S. 311)
Sehnsucht nach Sinn – der Humanismus
Ein verlockendes Angebot, doch der Preis erwies sich als zu hoch. Es mag einzelne Geister geben, die in der Lage sind, Sinnlosigkeit zu ihrer Sache zu machen und im Nihilismus aufzugehen, um schließlich in geistiger Umnachtung zu sterben. Das Gros der Menschen ist mit Sinnlosigkeit schlicht überfordert und Gesellschaften lassen sich damit schon gar nicht organisieren geschweige denn zufriedenstellen. Der Mensch wählte daher den einzig möglichen Ausweg: Wenn dem Universum kein Sinn mehr zu entnehmen war, so musste er aus dem Menschen selbst kommen. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass der Mensch die Stellung einnahm, die vorher Gott innehatte, es war die Vergottung des Menschen. Der Humanismus war geboren.
Wie Harari bemerkt, erfährt die Sinngebung damit eine „Rollenverteilung“ (man könnte auch von einer Richtungsumkehr sprechen). Traditionell erzeugte der kosmische Plan im Menschen eine Sinnerfahrung. Nun muss die innere Erfahrung des Menschen dem Kosmos – oder wenigstens der näheren Umgebung – einen Sinn verleihen.
„Das ist das Hauptgebot, das uns der Humanismus mit auf den Weg gegeben hat: Gib einer sinnlosen Welt einen Sinn.“ (S. 345)
Wie aber erzeugt der Mensch Sinn? Die Antwort lautet: Indem er neben der objektiven und der subjektiven Realität „eine dritte Ebene der Wirklichkeit“ kreiert: die intersubjektive. Die objektive Realität umfasst Dinge, die unabhängig von uns existieren (Berge, das Wetter, die Schwerkraft, die DNA), während die subjektive Realität von unserem persönlichen Erleben abhängt (Träume, Schmerz oder – noch typischer – Phantomschmerz). Die meisten Dinge, mit denen wir uns im Alltag beschäftigen, gehören jedoch keiner dieser beiden Kategorien an. Religionen, Währungen, Nationen, Ideologien, Architektur, Musikstile, Kunst, Bräuche, etc. existieren weder unabhängig von uns noch nur in uns. Es sind Fiktionen, intersubjektive Entitäten und sie sind es, die unsere Welt vorantreiben und ihr Sinn verleihen.
Gold, bedrucktes Papier oder die Schallwellen, die eine Gitarre aussendet, existieren objektiv, doch sie sind sinnlos, solange wir uns nicht darauf einigen, dass Gold schön, ein Geldschein wertvoll und Gitarrenklänge Musik sind. Erst durch solche Zuschreibungen erhalten die Dinge eine Bedeutung. Daher sind Schönheit, Wert und Musik intersubjektive Entitäten. Mit solchen Zuschreibungen weben Menschen am „Geflecht des Sinns“ und Geschichte entsteht. Sie können unser Leben stärker beeinflussen als objektive Dinge – ein Krieg kann verheerender sein als eine Naturkatastrophe, ein Musikstück kann uns eine stärkere Gänsehaut verursachen als ein kühler Wind. Harari glaubt, dass die intersubjektive Realität die Objektivität im 21. Jahrhundert vollends verschlingen könnten.
Die Vergottung des Menschen und die Betonung subjektiver Zuschreibungen führt nun dazu, dass im Humanismus „die menschliche Erfahrung die oberste Quelle von Autorität und Sinn ist“. Das wird insbesondere (aber nicht nur) im Liberalismus, einer politischen Spielart des Humanismus deutlich. Die oberste Autorität ist nicht mehr der von Gott eingesetzte König, sondern der Wähler, der aus seiner Erfahrung heraus frei (!) entscheidet, wem er seine Stimme gibt. In ästhetischen Fragen gilt nicht mehr, dass Kunst der Verherrlichung Gottes zu dienen hat, sondern dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Anything goes – solange es sich gut anfühlt, darf alles zu Kunst erklärt werden. In moralischen Angelegenheiten gilt der Maßstab „Wenn es sich gut anfühlt, tu es“ oder – etwas reflektierter – „Tu das, wobei sich möglichst viele gut und möglichst wenige schlecht fühlen“. Das Primat des Fühlens zieht sich durch alle Bereiche, bis hin in die Ökonomie, wo die freie Wahl des Verbrauchers die oberste Autorität ist.
Der Widerspruch
Das führt uns zum zentralen Widerspruch, den Harari in seinem Buch aufdeckt. Die wissenschaftliche Revolution hat einerseits zum Humanismus geführt, in dem das Empfinden und die freie, bewusste Entscheidung des Einzelnen die oberste Autorität darstellt. Andererseits hat ebendiese wissenschaftliche Revolution ein Menschenbild hervorgebracht, das genau diese zentralen menschlichen Eigenschaften nicht erklären kann, ja deren Existenz sogar in Zweifel zieht. Wir erinnern uns: Menschen sind Algorithmen. Die alarmierende Frage, die gestellt werden muss, lautet daher: Was wird aus dem Humanismus, wenn sich diese Zweifel bewahrheiten sollten? Oder, um es mit Hararis Worten zu sagen:
„Was also wird passieren, sobald wir merken, dass Konsument und Wähler niemals freie Entscheidungen treffen, und sobald wir über die Technologie verfügen, um ihre Gefühle zu berechnen, zu beeinflussen oder zu überlisten?“ (S. 427)
Das Körper-Geist-Problem
Ist es Ironie des Schicksals, dass die modernsten Entwicklungen eines der ältesten Probleme aus der Mottenkiste holen? Oder war es vielleicht gar nie in jener Kiste und man hatte es nur verdrängt? Das Körper-Geist-Problem hat verschiedene Namen über die nicht nur auf diesem Blog schon viel geschrieben wurde: Leib-Seele-Problem, Geist-Gehirn-Problem, Qualiaproblem, schwieriges Problem oder Hard Problem of Conciousness. Natürlich widmet ihm auch Harari ein Kapitel. Es geht um die Tatsache, dass einerseits unser Bewusstseinsstrom …
„… die konkrete Wirklichkeit [ist], die wir in jedem Augenblick unmittelbar erleben. Er ist so ziemlich das Sicherste der Welt. Seine Existenz lässt sich schlicht nicht bezweifeln.“ (S. 170)
Andererseits ist es aber so, dass …
„… die Wissenschaft erstaunlich wenig über Geist und Bewusstsein [weiß]. Die gängige Lehrmeinung behauptet gegenwärtig, Bewusstsein entstehe durch elektrochemische Reaktionen im Gehirn […] Niemand weiß jedoch so recht zu sagen, wie eine Ansammlung biochemischer Rektionen und elektrischer Ströme im Gehirn die subjektive Erfahrung von Schmerz, Wut oder Liebe erzeugt.“ (S. 172)
Harari skizziert in seinem Buch als Beispiel die neuronalen Vorgänge, die dazu führen, dass ein Mensch vor einem Löwen flieht und illustriert daran, dass dieser Ansatz, sofern er der Erklärung des Bewusstseins (im Sinne von Qualia) dienen soll, eine geradezu tragikomische Ironie birgt, denn:
„Je genauer wir diesen Prozess nachzeichnen können, desto schwerer wird es, bewusste Gefühle zu erklären. Je besser wir das Gehirn verstehen, desto überflüssiger wirkt der Geist. Wenn das gesamte System mittels elektrischer Impulse funktioniert, die von hier nach dort fließen, warum müssen wir dann auch noch Angst empfinden?“ (S. 177)
Eine Aufklärung des Algorithmus liefert eben keine Erklärung für das Bewusstsein und schon gar nicht des freien Willens. Der naturalistische Erklärungsansatz befindet sich offenbar in einer Sackgasse. Nicht besser sieht es mit – in der Wissenschaft ohnehin verpönten – dualistischen Erklärungsansätzen aus, die das Problem der Interaktion von zwei Entitäten haben (siehe auch Bieri-Trilemma). Und leider vermögen auch die neueren Ansätze der Strukturrealisten, die das Bewusstsein nicht im Gehirn, sondern in den Interaktionsprozessen zwischen Individuum und Umwelt verorten, den gordischen Knoten nicht zu durchtrennen, denn was sind diese Interaktionsprozesse anderes als die erwähnten Algorithmen? Dazu kommt, dass keine der drei angesprochenen Gruppen bisher in der Lage ist, überzeugende empirische Nachweise für den jeweiligen Standpunkt zu erbringen. So haben die Naturalisten das Körper-Geist-Problem ignoriert, die Dualisten haben es mystifiziert und die Strukturrealisten trivialisiert. Doch keiner hat es bisher gelöst.
„Die große Entkopplung“
Wir wissen also nicht, wie Bewusstsein entsteht. Genau genommen wissen wir nicht einmal, was Bewusstsein eigentlich ist. Man könnte dies als abgehobene philosophische Frage abtun, wäre da nicht ein Problem, das sehr real ist, weil wir es inzwischen beobachten können: Intelligenz scheint sich von Bewusstsein (was immer das nun genau sei) abzukoppeln.
Über Jahrtausende schien es eine ausgemachte Sache: Intelligenz ist umso größer, je bewusster ihr Träger ist. Ein Neugeborenes ist zunächst einer Hauskatze intellektuell unterlegen, doch schon nach Monaten überholt es den vierbeinigen Hausgenossen. Spätestens wenn es sich im Spiegel erkennt (Bewusstwerdung) ist es ihm in allen kognitiven Fähigkeiten überlegen. Doch genau dieser Zusammenhang scheint bei künstlicher Intelligenz (KI) nicht mehr zu gelten.
„In den letzten Jahrzehnten gab es in Sachen Computerintelligenz ungeheure Fortschritte, doch was das Bewusstsein von Computern angeht, tat sich im Grunde nichts.“ (S. 476)
Als der IBM-Computer Deep Blue 1997 erstmals einen amtierenden Schachweltmeister, damals Garri Kasparov, schlug, konnte man das noch mit dem Hinweis abtun, dass Schach von seiner Machart her ein ideales Spiel für KI war. Als dann Watson (ebenfalls IBM) 2011 die Quizshow Jeopardy! gewann, war das nicht mehr so einfach, denn für diese Show musste man beispielsweise mit Wortspielen umgehen – eine sehr menschliche Fähigkeit, sollte man meinen. Dennoch glaubt niemand ernsthaft, dass Watson verstanden hat, was er da erzählte, denn er suchte einfach in riesigen Datenbanken nach Texten mit der entsprechenden Formulierung und wählte dann in deren Umfeld die wahrscheinlichste Antwort aus (Stichwort „big data“). Inzwischen hilft Watson mit ähnlichen Methoden bei der Diagnose von Krankheiten und stellt dabei viele seiner menschlichen Kollegen in den Schatten. Ebenfalls 2011 eröffnete in San Francisco übrigens eine Apotheke, die von einem einzigen Roboter betrieben wird.
Das sind nur einige Beispiel, die zeigen, wohin die Reise geht. Angesichts dieser neuen „Formen nicht-bewusster Intelligenz“ scheint die Frage berechtigt, ob zur „Superintelligenz womöglich verschiedene Wege [führen], von denen nur einige durch die Straße des Bewusstseins müssen.“
Das Ende von „Wie war ich?“
Es geht um mehr als verletzten Stolz. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, dass die KI uns in immer mehr Bereichen den Rang abläuft und nutzen die uns daraus erwachsenden Vorteile. Das ist auch in Ordnung. Doch die Frage, die auch Harari am Ende seines Buches als eine der „drei Schlüsselfragen“ seinem Leser mitgibt, bleibt bestehen:
„Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?“ (S. 608)
Oder was, wenn wir durch KI erst zu Algorithmen gemacht werden? Dazu noch ein – vielleicht – kurioses Beispiel aus Hararis Buch. Die Firma Bedpost verkauft
„biometrische Armbänder, die man während des Geschlechtsverkehrs tragen kann. Dieses Armband sammelt Daten wie etwa Puls, Schweißproduktion, Dauer des Geschlechtsverkehrs, Dauer des Orgasmus und Zahl der dabei verbrauchten Kalorien. Diese Daten werden in einen Computer eingespeist, der die Informationen analysiert und Ihre Leistung anhand präziser Zahlen eingestuft.“ (S. 509)
Also nichts mehr von wegen „Wie war es für dich?“ oder „War ich gut?“. Man mag darüber lachen und vielleicht auch dieser speziellen Frage keine Träne nachweinen, doch das Entscheidende ist etwas anderes.
„Menschen, die sich unablässig über solche Apparate vermittelt erleben, betrachten sich vermutlich schon bald selbst als eine Ansammlung biochemischer Systeme und weniger als Individuen […]“ (S. 509)
Könnte das wissenschaftlich-physikalistische Weltbild, das uns erklärt, wir wären nichts anderes als Algorithmen so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden?
Man spricht manchmal vom Gutenberg-Gap. Damit ist das Zeitalter des Lesens gemeint, die fünfhundert Jahre zwischen den beiden Erfindungen Buchpresse und Smartphone. In dieser Zeit musste man lesen, um an der Gesellschaft teilzunehmen. Vor der Buchpresse ging das noch nicht, weil es schlicht zu wenig zu lesen gab. Seit dem Smartphone braucht man es nicht mehr, da man sich alle Informationen auch vorlesen lassen oder auf Videos anschauen kann.
Gibt es vielleicht auch ein Descartes-Gap, ein Zeitalter des Bewusstseins? René Descartes hat mit seinem berühmten Satz „Ich denke, also bin ich!“ das Bewusstsein quasi zum Macher des menschlichen Individuums befördert, das dann schließlich den Humanismus hervorbrachte. Was aber, wenn wir immer mehr Hirnarbeit der KI überlassen, weil die das besser, schneller oder einfach für uns bequemer erledigt? Heißt es dann „Ich lasse denken, also bin ich nicht mehr?“
Das sollten wir uns überlegen, solange wir es noch können.
Guten Abend allerseits! Das Geist-Gehirn-Problem beschäftigt die Menschheit seit der Antike. Hinsichtlich des Gehirns gab es dank boomender Forschung in den letzten Jahrzehnten einen explosionsartigen Wissenszuwachs. Dennnoch sind die vollmundigen Ankündigungen aus den 10er-Jahren, die Neurowissenschaften würden die „schweren Fragen der Erkenntnistheorie“ angehen und ein „neues Menschenbild“ schaffen, folgenlos verklungen.
Ernüchtert müssen wie feststellen: Die Aussagen der Neurowissenschaftler bewegen sich noch immer auf dem Niveau von Fußballweisheiten. Für die Praxis gilt: „Das Gehirn ist (annähernd) rund“ und „Wichtig ist im Gehirn“, während wir für die theoretische Seite festhalten können: „Nach der Theorie (des Geistes) ist vor der Theorie“, denn „Eine neue Theorie gilt immer nur 90 Minuten“.
Was lag da näher, als die wichtigste Nebensache der Welt (das Geist-Gehirn-Problem) mit der wichtigsten Hauptsache der Welt (Fußball) zusammenzubringen und die Geschichte der Philosophie des Geistes als Fußballpartie darzustellen?
Die beiden Mannschafen „Team Geisteswissenschaften“ und „Team Naturwissenschaften“, sind bereits beim Gespann der Unparteiischen – dem Bieri-Trilemma – und führen die Seitenwahl durch. Es kommentiert Dirk Boucsein. Schaun mer mal!
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Die Geschichte der „Philosophie des Geistes liest sich wie eine Chronik zum Wettkampf der verschiedenen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen „Ismen“ (Plural des -ismus, z. B. Materialismus, Idealismus, Positivismus,…). Viele Verbalschlachten, Begriffsscharmützel und Wortstellungskriege der Vergangenheit wären aber sicherlich vermeidbar gewesen, hätte man sich im Vorfeld auf eine gemeinsame Sprache – oder zumindest auf eine einheitliche Konnotation eines bestimmten Begriffes geeignet. Wenn es mir an dieser Stelle gestattet sei, würde ich gerne diesen Kampf der Ismen aber nicht so martialisch beschreiben, sondern lieber zu dem Begriff „UEPhA (Union of European Philosophy Associations)-Cup„-Spiel zwischen dem Team der Geisteswissenschaften (Soziologie, Geschichte, Linguistik,…) und dem der Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie,…) wechseln. Auch wenn ich keine Ahnung vom Fußball habe, aber damit es in der PdG nicht ganz so kopflastig wird 😉
Im Folgenden möchte ich versuchen, anhand einiger ausgewählter Begriffsanalysen den jeweiligen Standpunkt der vermeintlich diametralen Lager in der Philosophie des Geistes deutlich zu machen, um in einem letzten Schritt die bereits gebildeten Gräben und Risse wieder zu zuschütten und zu kitten. Meine Arbeitshypothese soll darin liegen zu zeigen, dass Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften nur die zwei Seiten ein und derselben Münze sind und in der Philosophie des Geistes oder Neurowissenschaft eine gemeinsame Schnittstelle besitzen. Diese Schnittstelle sehe ich in der relativ jungen Disziplin der Neurophilosophie gegeben, auf die ich aber in meinem weiteren Artikel „Die Neurophilosophie“ (https://philosophies.de/index.php/2021/02/15/die-neurophilosophie/) aufgrund der ansonsten entstehenden „epischen Länge“ gesondert eingehen möchte.
Zur Erläuterung meiner Arbeitshypothese sei mir hier zunächst einmal eine begriffliche Standortbestimmung und Einordnung der Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft in die Genese und Evolution der Philosophie des Geistes erlaubt.
Das alte Schisma Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
»Als Gegner stehen einander nicht zwei wissenschaftliche Fächer gegenüber, mit unterschiedlichen Gegenständen, aber ähnlichem Wissenschaftsverständnis, sondern zwei wissenschaftliche Konfessionen, deren Auseinandersetzungen nicht selten Züge eines Glaubenskrieges annehmen.« (Vowinckel, in: Zwischen Natur und Kultur, S. 35)
Es soll im Folgenden zunächst einmal um die Klärung des „Wissens-„/“Wissenschafts-„Begriffes gehen. Doch schon an dieser Stelle tritt eine begriffliche Verwirrung auf. Bedeutet die begriffliche Unterscheidung in Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, dass sich die „Geisteswissenschaften“ (Dilthey, Hegel) nur mit dem „Geist“ und nicht mit der „Natur“ und die „Naturwissenschaften“ nur mit der „Natur“ und nicht mit dem „Geist“ beschäftigen? Diese – bei näherer Betrachtung – doch sehr merkwürdige Begriffswahl erscheint nicht nur im deutschen Sprachraum. In der angelsächsischen Sprache ist der Wissenschaftsbegriff noch stärker polarisiert. Man unterscheidet hier „science“ von „humanities„, wobei sich der Begriff „science“ hauptsächlich auf die „natürlichen Wissenschaften“ (natural science, life science, physical science,…) bezieht und „humanities“ auf die „menschlichen Wissenschaften“. Also dürfte auch im Angelsächsischen „science“ unmenschlich sein, ebenso wie die „humanities“ (anthropology, history, philosophy,…) unnatürlich wären, sonst benötigte man keine solche Unterscheidung der Wissenschaftsobjekte. Die Differenzierung zielt aber im Deutschen, wie im Angelsächsischen weniger auf das Objekt der Untersuchung, sondern liegt eigentlich viel mehr in dem vermeintlichen Unterschied der Methodik. In den Naturwissenschaften wird nach eigener Aussage eher empirisch, induktiv und reduktiv gearbeitet, wohingegen die Geisteswissenschaften ihre Methodik vielleicht eher als logisch, deduktiv und spekulativ bezeichnen würde. Dieser künstlich-erzeugte Dualismus hat – wie man später noch sehen wird – weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Evaluation von Ergebnissen, am Beispiel der Philosophie des Geistes vs. der Neurowissenschaft. Aber zunächst soll hier erst einmal der „Graben/Riss“ an dem Begriff der „Wissenschaften“ gezeigt werden.
„Hiatus philosophicus“ – der Riss im Wissen
Der eigentliche Graben/Riss in der Philosophie („Hiatus philosophicus“) ist vielleicht noch nicht so alt wie das Schisma der katholischen Kirche von 1054. Er ist aber schon angelegt in den Anfängen der Philosophie in der Antike, bei den „ollen Griechen“, hier besonders Platon (* 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; † 348/347 v. Chr. in Athen) und sein Schüler Aristoteles (* 384 v. Chr. in Stageira; † 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa):
„Die Griechen sind von maßgeblicher Bedeutung, weil sie bei der Kontrastierung von moderner und vormoderner Wissenschaftlichkeit einen Angel- und Wendepunkt in der Geschichte bilden. Sie stellen in der Weltgeschichte der Wissenschaften eine Zwischenstufe dar: ein Scharnier zwischen den ersten Anfängen der Wissenschaft bei den antiken Hochkulturen und der elaborierten Wissenschaftssystematik der Moderne.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen. Zum Problem des Unterschieds zwischen Natur- und Geisteswissenschaft in der griechischen Antike, anhand von Aristoteles‘ Physik und Politik“, S. 21)
Die verschiedenen Wissensstufen des antiken Griechenlands
Im antiken Griechenland wurde lediglich zwischen verschiedenen Wissensstufen unterschieden:
1. Vorwissenschaftliches Wissen:
a) ἐμπειρία (empiria ≈ bloßes Erfahrungswissen),
b) ἱστορία (istoria ≈ gesammelte Einzelkenntnisse) und
c) τέχνη (téchne ≈ systematisch-praktisches Wissen in Form von praktischem Können)
2. wissenschaftliches Wissen: ἐπιστήμη (epistéme ≈ theoretisches Wissen in Form von Gelerntem oder Erdachtem
3. philosophisches Wissen: φιλοσοφία (philosophia ≈ höchste Wissensstufe als Sammlung von verschiedenen Weisheiten/Wissen)
„Bezüglich der Differenzierung von vorwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Wissen zeigt sich Folgendes: In der Moderne wird ein bestimmter Begriff der «Wissenschaft» bzw. «science» vorausgesetzt und über dessen Ausdehnung gestritten («Wissenschaft» qua strenge Wissenschaft vs. Geistes«wissenschaft» u. dgl.). Bei den Griechen stellt demgegenüber weniger die Breite eines normativen Konzepts, sondern die Begriffsüberlappung das Hauptproblem dar. Neben dem Begriff ἐπιστήμη [epistéme] dienen auch μαθήματα [mathímata] oder gar τέχνη [téchne] u.ä. als Bezeichnung für wissenschaftliches Wissen, und die allgemeine Bedeutung von ἐπιστήμη [epistéme] als „Wissen“ lebt weiterhin fort.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen…“, S. 25)
Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
Für Platon und Aristoteles stellte sich die Frage nach der Definition der „Wissenschaft“ geschweige denn der Abgrenzung von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft noch überhaupt nicht. Bis in die Moderne differenzierte sich allerdings der Wissenschaftsbegriff sehr stark, wobei die Naturwissenschaft ihre Wurzeln stärker in empiria und téchne schlugen und die Geisteswissenschaft sich lieber über die epistéme und philosophia verorten lassen wollten. Die philosophia wurde gegenüber dem antiken Konzept stark entwertet und einfach der Geisteswissenschaft zugeschlagen. Diesen Hiatus philosophicus zu verorten ist nicht so einfach, da es sich eigentlich um einen kontinuierlichen Prozess gehandelt hat. Man könnte aber Francis Bacon als ersten „modernen Naturwissenschaftler“ bezeichnen, da er sich von der epistemischen Scholastik in Form der „Naturphilosophie“ abwendet und sich der durch empirische Daten (empiria) gewonnen Erkenntnis und technischen (Aus-)nutzbarkeit (téchne) zuwendet. Mit den antiken Begriffen veranschaulicht – ohne eine Bewertung zu beabsichtigen – bedeutet dies, dass die niederen, antikenWissensstufen „techné“ und „empiria“ aufgewertet und die höheren Wissensstufen „philosophia“ und die „epistéme“ abgewertet wurden.
Diese wissenschaftsgeschichtliche Vorbetrachtung ist aber wichtig für das weitere Verständnis des darauf folgenden späteren Kampfes zwischen der Geisteswissenschaftund Naturwissenschaftin Form der Ismen in der Philosophie des Geistes.
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Das Schiedsrichtergespann soll das in meinem vorherigen Essay „Der Geist in der Materie“ beschriebene Bieri-Trilemma abgeben, da es die zugrundegelegten Basen der jeweiligen Ismen besser bewertbar macht; das gilt im Übrigen sowohl für die Dualismen und Monismen. Das Bieri-Trilemma soll in diesem Sinne ausdrücklich keine neue Theorie sein, sondern lediglich nur ein Instrument dienen. Wenn ich das Bieri-Trilemma aus diesem Grunde noch einmal kurz vorstellen dürfte:
Dualismus:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene. (2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam. (mentale Verursachung; z.B. allg. für Verhalten, „vor Scham erröten“) (3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Jede der drei Annahmen wirkt auf den ersten Blick plausibel: Zu (1): Das Bewusstsein scheint durch seine interne Struktur – insbesondere durch das subjektive Erleben – von jedem physischen Ereignis verschieden. Zu (2): Mentale Phänomene (etwa Angst) scheinen ganz offensichtlich Ursache von physischen Phänomenen (etwa Weglaufen) zu sein. Zu (3): In der physischen Welt scheinen jedoch immer hinreichende, physische Ursachen auffindbar zu sein.
Monismus:
(1) Wenn mentale Phänomene im kausal geschlossenen Bereich physischer Phänomene eine kausale Rolle spielen sollen, dann müssen sie physische Phänomene sein. (2) Mentale Phänomene sind M. (3) Phänomene, die M sind, können nicht physische Phänomene sein. (M steht für Charakteristika, denen Eigenschaften zugesprochen werden, die exklusiv mentalen Phänomenen zugeordnet werden.) (Peter Bieri: „Analytische Philosophie des Geistes„, S. 9.)
Das Trilemma besteht nach Bieri darin, dass die Sätze paarweise, aber nicht alle zugleich wahr sein können. Wenn mentale Phänomene auf die physikalische Welt einwirken können (1 und 2), so ist sie nicht geschlossen (Widerspruch zu 3). Wenn dagegen das Mentale von der physischen Welt unabhängig ist und die physische Welt kausal geschlossen (Satz 1 und Satz 3), so kann es keine Wirkung mentaler Phänomene auf die physikaische Welt geben (Widerspruch zu 2). Wenn mentale Phänomene physische Vorgänge verursachen und die physische Welt kausal geschlossen ist (2 und 3), so muss das Mentale auf die physische Welt reduzierbar sein (Reduktionismus, Widerspruch zu 1).“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bieri-Trilemma)
Die Untersuchung in wie weit die Prämisse (3) überhaupt Bestand hat, muss leider auch noch auf den späteren Essay „Neurophilosophie“ verschoben werden.
Anstoß der Partie durch die Geisteswissenschaft
Der Wettkampf um den UEPhA-Cup der Philosophie des Geistes wird selbstverständlich durch das Team um die Geisteswissenschaft angestoßen, da zu Beginn des „Spiels“ die Mannschaft um das Team Naturwissenschaft noch Probleme mit der richtigen Technik zur Behandlung des Objektes „Geist“ (der Begriff ist übrigens sprachlich auch nicht unproblematisch) haben. Es fehlen die empirischen Daten.
„Sokrates: Unser Leib, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele? Protarchos: Offenbar wollen wir das. Sokrates: Woher aber, o lieber Protarchos, sollte er sie erhalten haben, wenn nicht auch des Ganzen Leib beseelt wäre, dasselbe habend wie er und noch in jeder Hinsicht trefflicher?“ (Platon: Dialog „Philebos“ (30a).
Der Ball landet auch im gegnerischen Spielfeld, wo er von den Verteidigern des Teams NW, den „Atomisten“ Leukipp, Demokrit und Epikur mit ihrer substanzmonistischen Theorie zunächst einmal abgewehrt wird (die Idee wird aber – wie man später noch sehen wird – zum Physikalismus in Form der „Identitätstheorie“ ausgebaut). Platons eigentlicher Plan lag zwar eher darin, die Unsterblichkeit der Seele zu postulieren, aber von nun an ist die Differenz zwischen zwei vermeintlichen Entitäten dem „Leib“ und der „Seele“ unwiderruflich in der Welt. Er liefert in seinem Dialog „Phaidon“ allerdings keine genaue Definition zu dem Begriff „Seele“, „was es ist zu sein„, außer dass sie etwas Immaterielles (Nicht-Körperliches) sein soll.
„Ich kann mir klar und deutlich vorstellen, dass Geist ohne Materie existiert. Was man sich klar und deutlich vorstellen kann, ist zumindest prinzipiell möglich. Also ist es zumindest prinzipiell möglich, dass Geist ohne Materie existiert. Wenn es prinzipiell möglich ist, dass Geist ohne Materie existiert, dann müssen Geist und Materie verschiedene Entitäten sein. Da also Geist und Materie verschiedene Entitäten sein müssen, ist der Dualismus folglich wahr.“ (René Descartes: „Meditationes de prima philosophia.“ (1641), S. 98)
Auf Descartes Interaktionismus gehe ich hier nicht ausführlicher ein, da ich ihn bereits in meinem letzten Essay „Der Geist in der Materie“ beschrieben habe. Nach Descartes ist die Seele zwar „unräumlich“, jedoch würde sie in engem Kontakt mit der Zwirbeldrüse stehen, die als Vermittlerin zwischen Körper und Seele fungieren soll. Dies konnte aber bis heute weder durch das Team um die Naturwissenschaft empirisch bestätigt werden, noch hielten die Kommentatoren aus der Geisteswissenschaft-Kurve diesen Ansatz für erfolgversprechend (Andreas Kemmerling: „Ideen des Ichs: Studien zu Descartes‘ Philosophie“ 1996).
Spinozas Substanzmonismus
Als taktischer Einzelspieler übernimmt nun aber Spinoza nochmals den Ball mit seinem Substanzmonismus. Der Substanzmonismus soll aber anders als bei den antiken „Atomisten“ nicht in der Materie, sondern in Gott als unendliche, substantiell in ihren Eigenschaften konstante, einheitliche und ewige „Substanz“ in allem Seienden (Pantheismus) gefunden werden. Die hieraus entwickelte Erkenntnistheorie für die Philosophie des Geistes führt bei ihm im Gegensatz zum IA zu einem psychophysischen Parallelismus. Der menschliche Intellekt kann Spinoza zufolge zwei „Attribute“ das „Denken“ (Geist) und die „Ausdehnung“ (Materie) der einen Substanz natura naturans = schöpferische Natur (Gott) erkennen.
Leibniz Parallelismus
Dieselbe Taktik verfolgt ebenfalls sein Parallelismus-Mitspieler Leibniz, der jeglichen psychophysischen Interaktionismus zwischen Leib und Seele ablehnt und diese nur als zwei Uhren vergleicht, die voneinander getrennt, aber durch Gott vollkommen synchronisiert, ablaufen würden. Die perfekte Parallelität ohne Kausalität erscheint schon damals fragwürdig, aber endgültig scheitert der Pass durch seinen Determinismus an den Verteidigern der „Willensfreiheit„. Wie stabil diese Verteidigungsmauer ist, muss allerdings auch in einem späteren Essay untersucht werden. Auch ein weiterer idealistischer Parallelismus-Spieler Kant kommt mit seinem torgefährlichen Doppelpass in Form des transzendental-apriorischen Eigenschaftsdualismus weit in den Strafraum des NW. Er kann aber leider auch nicht erfolgreich abschließen, da das Bieri-Trilemma-Schiedsrichtergespann ihn im Abseits sieht, wie ich auch bereits in „Der Geist in der Materie“ dargestellt hatte.
Der Bieri-Trilemma-Schieri muss nun allerdings auch endlich mal einschreiten und das „Spiel abpfeifen“, da bei allen Spielzügen des Teams um die Geisteswissenschaft, sowohl beim Substanzdualismus, als auch beim Substanzmonismus, die Prämisse (1) mit der Prämisse (2) konfligieren, entweder weil sie zu einseitig (1) oder (2) betonen oder weil sie mit Prämisse (3) nicht mehr unter einen Hut gebracht werden können. Dies führt natürlich dazu, dass nun das Team um die Naturwissenschaft in einen längeren Ballbesitz kommen, wobei sie beabsichtigen, über die Empirie zu verlässlichen Daten und schließlich zu stabilen Theorien in der Philosophie des Geistes zu gelangen.
Konter durch die Naturwissenschaft
Huxleys Epiphänomenalismus
Als neuen Spielzug im UEPhA-Cup wurde der Epiphänomenalismus durch das Team Naturwissenschaft in Form der Spieler Bonnet oder dem populäreren Spieler Thomas Henry Huxley (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn, dem Autor Aldous Huxley „Schöne, neue Welt, s. „Das Technopol„) – auch als „Automatismus“ genannt – in die Philosophie des Geistes gebracht. Der Epiphänomenalismus baut ebenfalls auf einem Substanzdualismus auf, bezieht sich aber eher auf die Eigenschaften der Materie, so dass er auch als Eigenschaftsdualismus bezeichnet wird. Die taktische Idee des Epiphänomenalismus kann man als „lange Flanke“ sehen, die nur eine Richtung kennt: das Physische hat Auswirkungen auf das Mentale, aber nicht umgekehrt. Der immaterielle Geist, die Seele „erscheint“ nur als Epiphänomen der Materie und ist damit für den Epiphänomenalismus eigentlich redundant. Wie dies die Materie im Gehirn bewerkstelligt, bleibt der Epiphänomenalismus damals (aber auch heute noch) trotz zahlreicher empirischer Daten (EEG, CT, MRT, DTI,…) schuldig, obwohl auch hier neue Spieler, wie zum Beispiel Thomas Metzinger mit seinem Phänomenalen Selbstmodell (PSM) ins Team aufgenommen wurden.
Team Naturwissenschaften (Bild: philosophies)
Skinners Behaviorismus
Den Ball wollte sich natürlich die noch relativ junge Disziplin – die Psychologie – nicht wegnehmen lassen, da auch sie noch Probleme mit ihrer Standortbestimmung hatte, ob sie denn nun eher dem Geisteswissenschaft- oder Naturwissenschaft -Team angehören wollte. Um sich dem Naturwissenschaft -Lager anzuschließen, wurde ein Spieler namens Watson („Psychology as the Behaviorist views it“ (1913) auf das Spielfeld geschickt, der menschliches Verhalten („Behaviour„) durch seine „objektive Methode“ als Reiz-Reaktions-Schema („stimulus-response„) beschreiben wollte. Der Behaviorismus war begründet. Um es mit der Sprache des Behaviorismus zu sagen, der Epiphänomenalismus war der „Reiz“ und der Behaviorismus die „Reaktion“. Man wollte das Spielfeld nicht dem Materialismus der Geisteswissenschaft oder Physikalismus der Naturwissenschaft überlassen, sondern selber ein Team zusammenstellen. Skinner („Science and Human Behavior“ 1953) wurde als bekannter Spieler hinzugewonnen und verstärkte die Position im „radikalen Behaviorismus „. Der Behaviorismus geht allgemein davon aus, dass die dem beobachteten menschlichen Verhalten zugrundeliegenden, physiologischen Vorgänge als „Black Box“ nicht erschlossen werden können und auch dementsprechend irrelevant sind. Die Psychologie sollte zur „exakten Wissenschaft“ werden, die mit Hilfe von Experimenten und naturwissenschaftlichen Begriffen das menschliche Verhalten im biologischen Sinne exakt beschreiben konnte. Der Behaviorismus erwies sich allerdings, abgesehen von dem Nachwirken in der Psychologie in Form der „Experimentellen Verhaltensanalyse„, als entschiedener Fehlpass.
Places/Smarts Identitätstheorie
Insgesamt ist aber nun weiterhin das Team der NW mit der von Place und Smart begründeten Identitätstheorie im Ballbesitz. Die Identitätstheorie ist geradezu als Einwurf auf die gescheiterte Behaviorismus anzusehen, da sie beherzt die Spielstrategie wechselte. Der Substanzdualismus des Behaviorismus wird als falsch angesehen, da er scheinbar an der Prämisse (1) des Bieri-Trilemma gescheitert ist. Demgegenüber wird von der Identitätstheorie die Einheit von physisch-materiellem Körper und psychisch-mentalem Geist beschworen, weil sie die „physikalische Geschlossenheit“ der Prämisse (3) des Bieri-Trilemma erreichen möchte. Insofern könnte man auch den Transfer des Substanzdualismus zum Substanzmonismus als Eigenschaftsdualismus beschreiben, der doch wieder stark an den Epiphänomenalismus erinnert. Der Unterschied liegt allein darin, dass nun die psychisch-mentalen Zustände durchaus als gegeben erachtet werden, sie müssen allerdings durch das Physisch-Materielle realisiert werden. Diese taktische Festlegung führt zum Physikalismus, der von den logischen EmpiristenCarnap und Neurath aus dem Naturwissenschaft-Team begründet wurde, um sich vom „metaphysischen Begriff“ der Geisteswissenschaft, dem Materialismus zu distanzieren, der auf die Cambridger PlatonistenMore und Cudworth zurückgeht. Die Identitätstheorie verwendet interessanterweise beide Begriffe – ungeachtet der unterschiedlichen Lager – synonym.
Die Identitätstheorie erscheint allerdings in zwei unterschiedlichen Spielarten der Identität. Bei der Token-Identität handelt es sich um zwei konkrete Exemplare eines Typs, die identisch sind. Also der Spieler Place wird sowohl von dem Zuschauer A als auch von dem Zuschauer B als Exemplar gesehen, aber von beiden als Token-Identität betrachtet. Demgegenüber können bei der Typ-Identität bestimmte Mengen von Exemplaren zusammengefasst werden, die bestimmte Eigenschaften erfüllen. So kann man den Spieler Place mit der Eigenschaft, dass er im Spielfeld der Naturwissenschaft steht und das Trikot der Identitätstheorie trägt, als Typ-Identität sehen. Wenn nach Smart alle mentalen Zustände durch die Typ-Identität reduktiv auf bestimmte neuronale Zustände zurückführbar seien, so wäre es nur eine Frage der Zeit und der Forschung, bis die NeuroW alle offenen Fragen der Psychologie geklärt hätten. Man kann aber nun auch beobachten, dass er sich mit dem stark reduktiven Charakter der Typ-Identität „vertrippelt“ und den „Ball ins Aus“ geschlagen hat.
Putnams/Fodors Funktionalismus
Hier erfolgt nun erneut ein Einwurf durch den Funktionalismus, ausgeführt von den Spielern Putnam und Fodor, die versuchen das Problem der Identitätstheorie – die „multiple Realisierung“ – zu lösen. Wenn man annehmen kann, dass alle Wirbeltiere so etwas wie „Qualia„, z. B. „Schmerz“ als mentalen Zustand empfinden, wird man aber auch davon ausgehen können, dass der Spieler Place bei einem Beinbruch einen anderen neuronale Zustand besitzt, als der gemeine Lurch auf dem Platz. Der Funktionalismus versucht dieses Problem der multiplen Realisierung dadurch zu lösen, dass es den verschiedenen neuronalen Zuständen des Gehirns den gleichen funktionalen Zuständen zuordnet. Die mentalen Zustände werden dann einfach mit den funktionalen Zuständen gleichgesetzt. Die funktionalen Zustände werden gerne mit Hilfe der Automatentheorieerklärt, die davon ausgeht, dass ein funktionaler Zustand durch einen Input, einen entsprechenden Output liefert und hierbei in einen anderen funktionalen Zustand wechselt (s. „Colaautomat“ https://de.wikipedia.org/wiki/Funktionalismus_(Philosophie). Dieses Bild hat natürlich der Analogie von Gehirnfunktion und Computermodulation erheblichen Vorschub geleistet und eine Brücke zur Informatik und Kybernetik geschlagen.
bewusstes Erleben von mentalen Zuständen
Dem Funktionalismus kommt nun allerdings das „Bewusstsein“ in die Quere, was als Problem an dem „China-Gehirn„-Gedankenexperiment verdeutlicht wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#Funktionalismus). Die Erklärung, wie der Geist in die Flasche oder hier in die Materie kommt, bleibt auch der Funktionalismus schuldig. Auch die funktionalen Zustände der neuronalen Gehirnaktivitäten liefern keine schlüssigen Theorien für das bewusste Erleben von mentalen Zuständen, die man als „Ich„, „Selbst“ oder auch die Wahrnehmung des „Anderen“ bezeichnen könnte.
Das Team wollte den Ball aber noch nicht als verloren geben, sodass es beim Bieri-Trilemma-Schieri einen Einspruch geltend machte, dass der Schieri befangen sei und zu oft falsch gepfiffen hätte. Man solte sich die Szenen noch einmal unter folgenden Voraussetzungen erneut anschauen und neu bewerten:
1. Der Materialismus ist wahr, mentale Zustände müssen materielle Zustände sein. 2. Die einzelnen reduktiven Vorschläge sind alle unbefriedigend: Mentale Zustände lassen sich nicht auf Verhalten, Gehirnzustände oder funktionale Zustände zurückführen.
Davidsons nicht-reduktiver Materialismus
Also mussten wieder ein paar Ersatzspieler von der Bank einspringen, die das Spiel noch zu retten versuchten. Die Rede ist vom nicht-reduktiven Materialismus, der von Davidson als „anomalen Monismus“ in Form des „Supervenienzprinzip“ eingeführt wurde. Das Supervenienzprinzip geht davon aus, dass die psychisch-mentalen Zustände des Gehirns von den physisch-materiellen Zuständen der Neuronen abhängig sind und nicht umgekehrt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis der psychisch-mentalen Zustände von der physisch-materiellen Zuständen führte zu einem weiteren taktischen Spielzug; der „Emergenz„. Die Emergenz postuliert, das bestimmte Phänomene nur auf der Makroebene eines Systems erscheinen, aber nicht auf der Mikroebene der Systemkomponenten beobachtet werden können. Insofern spielt die Emergenz eine herausragende Rolle für den nicht-reduktiven Materialismus, da sie das Problem mit dem Bewusstsein dadurch versucht zu erklären, dass diese mentalen Zustände auf der Makroebene der menschlichen Kognition erscheint, er aber nicht in den neuronalen Zuständen der Gehirnaktivitäten nachzuweisen ist. Dies hat natürlich auch zu Buhrufen im Stadion geführt, da die Erklärung für eine materialistische Theorie als nicht sehr befriedigend erscheint und einige Fans der Naturwissenschaft hierin sogar wieder ein Foul durch einen Eigenschaftsdualismus der Geisteswissenschaft gesehen haben.
P./P. Churchlands eliminativer Materialismus
Zum Schluss gibt es noch einen letzten verzweifelten Angriffsversuch vor dem Abpfiff des Bieri-Trilemma-Schieris, der sich das Spiel auch nicht mehr länger anschauen konnte. Patricia und Paul Churchland schossen den Ball als eliminativen Materialismusauf das gegnerische Tor, indem sie einfach behaupteten:„Es gibt keine mentalen Zustände.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#cite_note-32). Die Vorstellung von den mentalen Zuständen würden lediglich auf einer Annahme der Alltagspsychologie beruhen, die aufgrund der fortschreitenden Ergebnisse der Neurowissenschaft irgendwann einmal zum Paradigmenwechsel der zur Zeit noch bestehenden Theorien des Philosophie des Geistes führen würde.
Paradigmenwechsel durch die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie
Dass dieser Paradigmenwechsel zwingend notwendig erscheint, ist hoffentlich durch das Hin und Her im UEPhA-Cup der Ismen mehr als deutlich geworden. Allerdings sehe ich ihn eher darin, die beiden Teams GW und NW endlich wieder zu vereinen, da zur Lösung des Problems der Philosophie des Geistes wie der Geist in die Materie kommt, beide Methoden vonnöten sind. Dieses Zuschütten des Grabens oder das Kitten des Risses könnte die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie aus meiner Sicht leisten. Aber hierzu mehr in meinem nächsten Essay „Die Neurophilosophie„.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Dirk Boucsein philosophies. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und Blogbetreibers. Überschrift und Einleitung von Axel Stöcker.
Sehen wir alle dasselbe, wenn wir „rot“ sagen? (Bild: youtube screenshot)
Im Jahre 2004 erschien der Roman Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier. Es sollte ein Weltbestseller werden, der in 32 Sprachen übersetzt und 2013 schließlich auch verfilmt wurde.
Über eine seiner Hauptfiguren, Amadeu de Prado, einen charismatischen portugiesischen Arzt zu Zeiten der Salazar-Diktatur, heißt es darin „…er war unersättlich in seinem Bedürfnis nach Erklärungen, und es muß im Hörsaal dramatische Szenen gegeben haben, wenn er mit seinem unerbittlichen kartesischen Scharfsinn darauf hinwies, daß etwas, was als Erklärung ausgegeben wurde, in Wirklichkeit keine war.“
Pascal Mercier ist ein Pseudonym, hinter dem sich der Schweizer Philosoph Peter Bieri verbirgt. An welche Pseudoerklärung er beim Schreiben dieser Zeilen dachte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber es ist gut möglich, dass er sich von den heutigen „Erklärungen“ für das Phänomen Bewusstsein inspirieren ließ. Denn auch über das Bewusstsein hat Bieri geschrieben und die fundamentalen Probleme bei der Erklärung desselben in einem prägnanten Trilemma zusammengefasst.