„Ich fühle, also bin ich“, so haben wir kürzlich unser Gespräch mit Prof. Achim Stephan überschrieben. Nach unserem Interview mit Prof. Marc Solms von der Universität Kapstadt könnte man diesen Satz noch mit einem Wort konkretisieren: Ich fühle, also bin ich bewusst. Bewusste Erlebnisse gebe es nämlich nur dann, wenn sie über Impulse aus dem Hirnstamm, dem Sitz der Triebe und Gefühle, aktiviert würden. Das, so Solms, sei empirisch belegt:
Ein Gedanke, der auch im Lichte der Evolution Sinn ergibt, denn die vegetativen, „unbewussten“ Funktionen sind früher entstanden sind als die bewussten. Verdauen können schon Mehlwürmer, ganz ohne Großhirn und Bewusstsein und auch der Mensch erledigt diesen Vorgang in der Regel unbewusst. Bewusstsein – was immer das genau ist – tauchte erst später in der Entwicklung des Lebens auf und muss daher auf bereits Vorhandenem aufgebaut und es im Sinne der Spezies verbessert haben. Anders ausgedrückt: Bewusstsein muss ein Selektionsvorteil gewesen sein.
Worin der besteht, das ist Gretchenfrage, auf die Marc Solms im Interview ebenfalls eine spannende Antwort parat hat, die es Wert wäre, breit diskutiert zu werden. Schauen Sie hier den Trailer zum Video, das wie immer Dirk Boucsein und ich zusammen geführt haben.
Gefühle und Gedanken, Emotion und Ratio, Rausch und Rationalität, Herz und Hirn – da gibt es so einen Dualismus, der unser Leben, ja, unsere Gesamte Kultur durchzieht. Die Griechen beschrieben diese beiden Qualitäten durch das Götterpaar Dionysos und Apollon. Dionysos stand für die Freude, den (Wein-)Rausch und die Ekstase, die immer auch das Chaos und den Wahnsinn in sich trägt, während Apollon Harmonie, sittliche Reinheit, Mäßigung, Rationalität und Ordnung symbolisierte.
Empfinden tun dies die meisten Menschen heute noch so, selbst wenn sie mit der Götterwelt der Griechen nichts mehr am Hut haben, weshalb die meisten Menschen so etwas wie „fühlende Dualisten“ sind, was uns auch Prof. John-Dylan-Haynes im Interview bestätigte. Ob dieses Gefühl aber das Abbild einer dualistischen Realität ist oder ob der Schein trügt, ist eine der ältesten und umstrittensten Fragen der Philosophie und inzwischen auch der Hirnforschung. Hängen Gefühle und Bewusstsein vielleicht viel stärker zusammen, als wir annehmen? Sind sie gar so etwas wie zwei Seiten derselben Münze?
Grund genug für Dirk Boucsein und mich auf unserem YouTube-Kanal Zoomposium zwei Experten zu diesem Thema zu befragen. Im ersten Teil sprachen wir mit Prof. Achim Stephan von der Universität Osnabrück über die Frage, wie Gefühle unser Denken beeinflussen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Philosophie des Geistes, und dort besonders die Emergenz, Emotionen und Affektivität.
Prof. Petra Ritter ist Leiterin der Sektion für Gehirnsimulation an der Berliner Charité. Charité? Hatten wir – Dirc Boucsein von philosophies und ich – da nicht vor Kurzem schon jemanden interviewt? Natürlich! „Ist Ihr Interview mit John schon draußen? Er arbeite nur ein paar Türen weiter, aber wir sehen uns fast nie.“ Ja, Forschung ist zeitintensiv, das haben wir sowohl bei Frau Ritter, als auch bei John-Dylan Haynes gemerkt. Umso dankbarer waren wir, dass beide sich kurz nacheinander die Zeit für uns nahmen.
Mit Petra Ritter sprachen wir unter anderem über die Frage, ob Interviews bald von Chatbots statt von Bloggern geführt werden können und wie Intelligenz den Entscheidungsfindungsprozess beeinflusst. Zumindest auf die letzte Frage gab es eine überraschend einfache Antwort. Aber sehen Sie selbst den Trailer (zum vollständigen Interview geht es hier).
Dies ist der 100. Beitrag auf diesem Blog. Es hätte keinen besseren Interviewpartner treffen können als John-Dylan Haynes, den ich wie immer zusammen mit Dirk Boucsein von philosophies.de interviewen durfte. An Haynes‘ faszinierenden Experimenten habe ich mich schon in den Anfangszeiten dieses Blogs abgearbeitet (hier und hier) und in meinem Roman Balduins Welträtsel wird kontrovers über sie diskutiert. Allen voran das „Duell Mensch gegen Maschine“ – ein Hauch von High Noon in der Neurowissenschaft. Daher stand Haynes auf meiner persönlichen Wunschliste der Interviewpartner ganz weit oben.
Getroffen haben wir einen sympathischen und bescheidenen Wissenschaftler, der sich selbst einen Empiriker nennt, sich aber über die philosophischen Konsequenzen seiner Experimente mehr Gedanken gemacht hat als mancher andere, so mein Eindruck. Und jemand, der seine eigenen früheren Aussagen reflektiert. Manche Ergebnisse würde er heute weniger deterministisch auslegen als damals. Aber schauen Sie selbst. Hier wie immer der Trailer. Das vollständige Interview gibt es auf dem YouTube-Kanal Zoomposium.
Jeder kennt sie, die „Hirnscans“. Bilder des Gehirns, in denen bestimmte Regionen eingefärbt sind. Meistens handelt es sich dabei um sogeannte fMRTs (für funktionelle Magnetresonanztomotgrafie) bei denen über die Sauerstoffkonzentration des Blutes indirekt die Aktivität von Hirnregionen bestimmt wird. So beeidruckend die Bilder sind, so verführerischt sind sie auch, suggerieren sie doch, man könne mit einem „Scan“ des Gehirns mal eben feststellen, ob Herr Müller gerade an seine Hauskatze denkt. Dieser Eindruck stimmt aber nur sehr eingeschränkt, denn für das Erstellen der Bilder braucht man zweierlei: viel Zeit und viel Statistik.
Dass man letztere behutsam einsetzen muss, wenn man die Wahrheit darstellen (und nicht verzerren) will, hat sich seit Churchills Bonmot, man solle keiner Statistik trauen, die man nicht selbst gefälscht habe, herumgesprochen. Auf „statistische Versuchungen“ im Bereich der Hirnforschung hat Prof. Cornelius Borck mit seinem Artikel „How to Do Voodoo with Functional Neuroimaging“ eindrucksvoll hingewiesen. Über die Macht der Bilder in der Wissenschaft und die großen menschlichen Fragen des Bewusstseins konnten Dirk Boucsein von philosophies und ich mit ihm sprechen. Hier geht es zum Teaser (das komplette Interview erscheint in den nächsten Tagen):
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Professor Dr. med. Cornelius Borck ist ein deutscher Wissenschaftshistoriker und Medizinphilosoph. Er forscht und lehrt am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck. Seine Forschungsschwerpunkte sind Hirnforschung zwischen Medientechnik und Neurophilosophie, medizinische Visualisierungsstrategien, Zeitgeschichte der Medizin und Epistemologie des Unscheinbaren in Wissenschaft und Kunst.
Es war also zu erwarten, dass Dirk Boucsein von philosophies.de und ich in unserem Interview einen Wolf Singer erleben, der einen konsequent naturalistischen Standpunkt vertritt. Wir haben aber auch einen bescheidenen und sehr reflektierten Wolf Singer erlebt, der sich der Grenzen der eigenen Erkenntnisfähigkeit bewusst ist und dennoch versucht, die ganz harten Nüsse zu knacken. So bietet er zur Lösung des „Hard Problems“ einen Ansatz, den vermutlich nicht alle von ihm erwartet hätten – um das Problem „zu verkleinern“, wie er sich selbst ausdrückt. Sehen Sie hier den Trailer (Länge: 3:25 min) zum Interview:
Professor Dr.Wolf Singer (*1943 München) ist ein deutscher Neurophysiologe und Hirnforscher. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist Aufklärung neuronaler Prozesse bei höheren kognitiven Leistungen (wie z. B. „Bewusstsein“). Er studierte in München, Paris und Sussex und habilitierte 1976 an der TU München in Physiologie. 1981 wurde er Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main. In den Nullerjahren gründete er das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS), das Brain Imaging Center (BIC) und das Ernst Strüngmann Institut (ESI). Seit 2011 ist er Honorarprofessor für Physiologie und leitet das „Singer-Emeritus-Department“ am MPI Frankfurt.
Why and how does our brain construct the self and consciousness? – Warum und wie konstruiert unser Gehirn das Selbst und das Bewusstsein? Diese Frage steht als Überschrift auf der Webseite von Georg Northoff, Professor für Neurophilosophie an der Universität von Ottawa. Es ist die alte aber nach wie vor aktuelle Frage, wie das entsteht, was wir permanent erfahren, fühlen, genießen oder erdulden, unser inneres Erleben, oft auch Qualia genannt.
Die Mainstreammeinung der Wissenschaft zu diesem Problem lässt sich grob so beschreiben: Bewusstsein ist etwas, das von biochemischen Prozessen im Gehirn gebildet wird. Das Problem dabei ist, dass niemand eine Ahnung hat, wie die Brücke zwischen beiden Phänomenen – materielles Gehirn einerseits, geistiges Erleben andererseits – aussehen könnte. Schon Leibniz hat von einem riesigen Modell des Gehirns geträumt, das man begehen könnte und darauf hingewiesen, dass man dort alle möglichen Prozesse würde beobachten können, aber eben kein Bewusstsein.
Da man seit Jahrhunderten vergeblich nach einer Lösung dieses Leib-Seele- bzw. Geist-Gehirn-Problems sucht, glauben manche Philosophen inzwischen, dass die Frage falsch gestellt sein könnte, und versuchen den in ihr liegenden Dualismus (Geist-Gehirn) zu umgehen.
In eine ähnliche Richtung denkt auch Northoff. Für ihn ist Bewusstsein nicht im Gehirn lokalisiert, sondern entsteht erst in der Interaktion zwischen Gehirn und Körper einerseits und der Umwelt andererseits. Wenn das Gehirn ein Tänzer ist und die Musik die Umwelt, dann ist das Bewusstsein der Tanz, der entsteht, wenn beide zusammenkommen. Das ist durchaus mehr als nur ein hübsches Bild, denn Northoff redet sehr konkret von Zeitskalen (und was ist Rhythmus anderes als eine Zeitskala?), die im Gehirn messbar sind und die mit Zeitskalen der Umwelt in Einklang gebracht werden müssen. Gelingt dies nicht, führt dies zu psychischen Störungen wie zum Beispiel Schizophrenie, wie Northoff aus seiner Praxis als Psychiater weiß.
Dirk Boucsein von philosophies und ich hatten Gelegenheit, diesen interessanten Denker zu interviewen. Sehen Sie hier den Trailer oder gleich das ganze Interview auf dem YouTube-Kanal Zoomposium.
Interview mit Prof. Georg Northoff (Trailer)
Prof. Dr. Dr. Georg Northoff (*1963 Hamburg) ist ein deutscher Psychiater und Philosoph. Er gilt als ein wichtiger Vertreter der Neurophilosophie. Northoff studierte in Hamburg, Essen, Bochum und New York. Ab 1996 arbeitete er als Oberarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik in Magdeburg. Er habilitierte sich 1998 in Medizin und 1999 in Philosophie und lehrte unter anderem an den Universitäten Magdeburg und Harvard. An der Universität von Ottawa hat er den eigens eingerichteten Lehrstuhl für Geist, Gehirn und Neuroethik seit 2009 inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind funktionelle Bildgebung zur Untersuchung von Emotionen, Neurobiologie, psychiatrische Krankheiten, analytische Philosophie des Geistes, Neurophilosophie, Neuropsychoanalyse und Neuroethik.
TRAILER – Interview mit Prof. Gerhard Roth – ungekürzte Fassung auf dem YouTube-Kanal ZOOMPOSIUM
Die beiden Wissenschaftsblogs philosophies.de und die-grossen-fragen.com (Der Blog der großen Fragen) haben den Youtube-Kanal Zoomposium eröffnet, auf dem sich interessante Persönlichkeiten zu Themen im Grenzbereich zwischen Naturwissenschaft und Philosophie äußern können.
Im Dezember hat uns ein ganz prominenter Gast beehrt: Mit Prof. Gerhard Roth, einem der bekanntesten deutschen Hirnforscher und Autor zahlreicher Bücher, sprachen Dirk Boucsein und ich unter anderem über das Bewusstsein, Zombies und die Frage, ob man eines Tages Gedanken lesen kann.
Was haben das Geist-Gehirn-Problem und das Problem der Verschränkung von Quantenteilchen gemeinsam? Beide sind ungelöst, weil es bei beiden nicht gelingt, zwei verschiedene Dinge unter einen Hut zu bekommen. Hier mentale Zustände und neuronale Vorgänge, dort die Lokalität von Quantenereignissen und deren mikroskopische Realität.
Glaubt man Gabriel Vacariu, Professor für Philosophie an der Universität von Bukarest, haben beide Probleme eine gemeinsame Ursache: Sie gehen von der zwar naheliegenden, aber falschen Prämisse aus, alle diese Phänomene befänden sich in derselben „Welt“, nämlich jener, in der auch wir Menschen uns als Beobachter wiederfinden.
Real sind nach Vacariu aber nur Entitäten, also existierende, konkrete oder abstrakte Gegenstände, aber nicht die „Welt“, in der sie sich aufhalten bzw. aufzuhalten meinen. Die „Welt“ zerfällt nämlich in epistemologisch verschiedene Welten (EVWs bzw. EDWs), die so etwas wie die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Entitäten darstellen.
Dieser, hier nur angedeutete, Ansatz erlaubt nach Vacariu die Lösung vieler großer Probleme, bei denen man bisher vollständig im Dunkelt tappt. Für ein genaueres Verständnis sind die Begriffe Ontologie und Epistemologie oder Erkenntnistheorie wesentlich. Ontologie ist die Lehre vom Seienden, fragt also nach dem was real ist bzw. was existiert, während die Epistemologie die Frage nach dem Zustandekommen unseres Wissens über das Seiende stellt. Damit steht automatisch die Frage im Raum steht, wie gut sich unser Wissen an das tatsächlich Seiende annähern kann.
„Ontologie befasst sich mit dem, was existiert, während Epistemologie sich mit den Teilen dessen beschäftigt, was existiert und was wir wissen können.“
Ungewöhnliche Theorien stoßen naturgemäß auf Widerstand, was Vacariu schon mal dazu veranlasst Nietzsche zu zitieren:
„Manchmal wollen Menschen nicht die Wahrheit hören, denn das würde ihre ganze Illusion zerstören.“
Wie weit trägt diese Idee? Gabriel Vacariu hat mir freundlicherweise ein Interview zu seiner Theorie und ihrer Anwendung auf das Leib-Seele-Problem gegeben.
*
BdgF: Professor Vacariu, Sie nennen das Universum die „Einhornwelt“, weil es Ihrer Meinung nach nicht realer ist als ein Fabelwesen. Was bedeutet „real“ für Sie?
Gabriel Vacariu (GV): Die „Einhornwelt“ ist nur deshalb ein Fabelwesen, weil sie die Welt (das Universum) darstellt, in der alle Entitäten miteinander in Beziehung stehen. Doch das Gegenteil ist der Fall: alle diese Entitäten werden durch die epistemologsich verschiedene Entitäten und ihre entsprechenden Gesetze repräsentiert, die zu den epistemologsich verschiedenen Welten (EVWs, englisch: EDWs) gehören.
So gehören zum Beispiel die elektromagnetischen Wellen und ihre Wechselwirkungen („Gesetze“) zur Feld-EW; die Mikroteilchen (Elektronen, etc.) mit ihren Gesetzen und Wechselwirkungen gehören zur Mikro-EW; die Makroentitäten (Tische, Steine, Planeten, etc.) mit ihren Gesetzen und Wechselwirkungen gehören zur Makro-EW.
Bis ich kam, haben alle in der Einhornwelt gearbeitet, denn niemand hat die Existenz des „Universums“ bestritten. Die Idee von der Existenz der Welt (des Universums) habe ich durch die Idee der „epistemologsich verschiedenen Welten“ (EVWs) ersetzt. Die „Feld-EW“, die „Mikro-EW“ und die „Makro-EW“ existieren jedoch nicht wirklich (sie haben keine Ontologie). Was wirklich existiert, sind allein die epistemologsich verschiedene Entitäten: die elektromagnetischen Wellen, die Mikroteilchen bzw. die Makroteilchen. Diese epistemologsich verschiedene Entitäten stellen die Epistemologsich verschiedene Welten (EVWs) dar. (Der Geist existiert sowohl als Entität, als auch als EW.)
„Bis ich kam, haben alle in der Einhornwelt gearbeitet.“ – Gabriel Vacariu
BdgF: Epistemologsich verschiedene Welten (EVWs) – das klingt verwirrend, wenn es zum ersten Mal hört. Was ist der springende Punkt bei dieser Idee?
GV: Im Terminus „Epistemologsich verschiedene Welten“ (EVWs) habe ich die Epistemologie (durch „epistemologisch“) und die Ontologie (durch „Welten“) in einem Ausdruck vereint. Warum? Weil ich die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Ontologie für den größten Fehler halte. Und warum das? Diese Unterscheidung ist dem menschlichen Denken eigen, sie hat aber keine Entsprechung in den verschiedenen epistemologsichen Entitäten wie einem Tisch, einem Planeten oder einem Mikroteilchen. Ein Mikropartikel oder ein Planet treffen diese Unterscheidung nicht.
Mein Ansatz der „Epistemologsich verschiedene Welten“ (EVWs) bezieht sich auf epistemologisch verschiedenen Entitäten. Er beschreibt die Art und Weise, wie diese Entitäten „wahrnehmen“, d.h. wie jede Entität nur mit anderen Entitäten aus dem gleichen epistemologsichen Welt (EW) interagiert. Eine Entität aus einer EW existiert nicht für eine epistemologische Entität einer anderen EW.
BdgF: Wie kommen Sie auf die Idee, dass das, was wir jeden Tag erleben, in Wirklichkeit eine Illusion sein könnte?
GV: Nehmen Sie das Beispiel eines Körpers, der auf einer Straße geht.
Das Selbst (der Geist) ist eine epistemologische Welt (EW), der Körper und das Gehirn gehören zu einer anderen EVW, der Makro-EW. Das Selbst (der Geist) existiert nicht für das Gehirn bzw. den Körper, da eine EW nie für eine andere, von ihr verschiedene EW existiert.
Das Selbst „hat“ die Erfahrung des entsprechenden Körpers nur indirekt, durch „Korrespondenz“. Das Selbst (der Geist) befiehlt dem Körper nicht zu gehen, da der Geist ein EW ist, die für das Gehirn bzw. den Körper nicht existiert. Es ist das Gehirn, das den auf der Straße gehenden Körper kontrolliert.
Gleichzeitig steuert das Selbst bzw. der Verstand die internen Bilder, die Repräsentationen des entsprechenden „Körper, der auf einer Straße geht“ sind. Es sind verschiedene EDWs, die Verstandes-EW und die Makro-EW.
BdgF: Sie sagen, die Einhornwelt sei nicht nur eine Illusion, sondern auch der größte Feind der menschlichen Erkenntnis. Warum das?
GV: Weil vor mir jeder – ich meine wirklich JEDER – mit der Einhornwelt, also dem „Universum“ bzw. der „Welt“, gearbeitet hat. Und dies war ein FALSCHES Paradigma des Denkens. Warum? Wie bereits gesagt, wurden alle verschiedenen epistemologischen Entitäten in denselben Rahmen (genannt „das Universum“ oder „die Welt“) gestellt. Das war der größte Fehler in der Geschichte des menschlichen Denkens.
BdgF: Ist die Theorie der epistemologsich verschiedenen Welten (EVWs) Naturwissenschaft oder Philosophie? Oder gar Metaphysik?
GV:Meine Entdeckung der EVWs vereint Naturwissenschaft und Philosophie (In einem anderen Zusammenhang habe ich auch angedeutet, dass Gott gar nicht existieren kann, es wird also jede Form von Religion abgelehnt. Sie können den Artikel „God cannot even exist“ auf meiner Homepage gratis herunterladen).
Ich habe auch ein Buch über meine Metaphysik geschrieben, aber die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Metaphysik ist im Zusammenhang mit den EVWs völlig falsch, da die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Ontologie falsch ist.
BdgF: Die Idee von „vielen Welten“ findet sich auch bei theoretischen Physikern wie Stephen Hawking, die von „Parallelwelten“ und einem „Multiversum“ sprechen. Hat diese Idee etwas mit Ihrer Theorie der EDWs zu tun?
GV: Everett war der erste, der in den 50er Jahren „viele Welten“ eingeführt hat. Allerdings sind seine „vielen Welten“ völlig anders als meine EVWs. Außerdem sind „Parallelwelten“ und „Multiversum“ nichts anderes als verschiedene Universen, die sich im selben „raumzeitlichen Rahmen“ gestellt sind. Mit anderen Worten, es gibt ein Universum, das eng an ein anderes angrenzt. Alle diese Universen befinden sich innerhalb des Makro-EW. Jedes Universum existiert ganz real für die anderen Universen, auch wenn zwischen ihnen große Entfernungen bestehen. Für mich existiert ein EW nicht für ein EW. Deshalb sind meine EDWs etwas ganz anders als die „Parallelwelten“ oder das „Multiversum“.
BdgF: Paralleluniversen, ein Multiversum – ist das für Sie Physik oder Metaphysik?
GV: Wie für die parallelen Welten gerade gesagt: ein Universum befindet sich in der Nähe eines anderen Universums. Alle diese Universen sind Makro-Universen innerhalb des Makro-EW. Das ist „unbestätigte Physik“, aber keine „Metaphysik“.
BdgF: Sie sagten, man könne mit den EVWs auch das seit Jahrhunderten ungelöste Geist-Gehirn-Problem lösen. Die kognitive Neurowissenschaft befände sich in diesem Punkt noch in einem „prähistorischen Stadium“ (Kuhn) befindet. Was meinen Sie damit?
GV: Das Geist-Gehirn-Problem ist seit seinem Auftauchen innerhalb der Einhornwelt konstruiert worden. Es ist also ein Pseudo-Problem, das in einem falschen Rahmen entstanden ist. Warum ist es ein Pseudo-Problem?
Da aus meiner EVW-Perspektive der Geist nicht für das Gehirn (bzw. den Körper) und das Gehirn nicht für den Geist existiert, ist es sinnlos, nach der Beziehung zwischen dem Geist und dem Gehirn zu fragen. Es gibt nur eine Korrespondenz zwischen ihnen, mehr nicht. Die kognitive Neurowissenschaft ist schon deshalb eine Pseudowissenschaft, weil sie epistemologsiche Entitäten zusammenführt, die zu verschiedenen epistemologsichen Welten (EVWs) gehören. Die Forscher dieser „Wissenschaft“ versuchen, den Geist mit dem Gehirn wissenschaftlich zu verbinden! Aber diese Idee ist völlig falsch. Auch die Identitätstheorie ist falsch, da der Geist nicht mit dem Gehirn identisch ist. Der Hauptbegriff aus diesem Bereich, die „Korrelation“, ist in der Einhornwelt konstruiert und daher ebenfalls völlig falsch. Da der Geist dem gesamten Gehirn und Körper (in einer Makro-Umgebung) entspricht, sind Korrelationen zwischen einem mentalen Zustand und bestimmten „neuronalen Zuständen“ bedeutungslos! Es gibt nur große Annäherungen zwischen mentalen Zuständen und neuronalen Zuständen, mehr aber nicht.
Selbst wenn die Forscher in Zukunft immer bessere und leistungsfähigere „Gedankenlesemaschinen“ entwickeln, werden diese Maschinen nur immer bessere „Näherungskorrelationen“, aber keine „Identitäten“ zwischen den mentalen Zuständen und den neuronalen Zuständen nachweisen können.
Ein wichtiger Grundsatz aus meiner EVWs-Perspektive: „Alle mentalen Zustände sind das Selbst“. Ein mentaler Zustand ist das Selbst bzw. der Geist, also kann ein mentaler Zustand nicht vom Geist isoliert werden. Wenn wir also einen mentalen Zustand mit bestimmten neuronalen Zuständen identifizieren wollen, ist das ein großer Fehler, da alle mentalen Zustände das Selbst (der Geist) sind und der gesamte Geist dem gesamten Gehirn bzw. dem Körper (der in seine Umgebung gestellt ist) entspricht. Daher sind das „Bindungsproblem“ [Das Problem, wie aus den in verschiedenen Gehirnregionen vorliegenden Teilinformationen ein einheitlicher Eindruck entsteht. A. S.] und die „Lokalisierung“ aus der kognitiven Neurowissenschaft Pseudoprobleme (keine „wissenschaftlichen Probleme“), gerade weil diese Probleme keinen ontologischen Hintergrund haben und auch nicht haben können.
BdgF: Wenn Geist und Gehirn zu verschiedenen Epistemologischen Welten gehören, welcher Art ist dann die „Korrespondenz“ zwischen ihnen, die Sie erwähnt haben?
GV: Gute Frage! Die Vorstellung der „Korrespondenz“ hat keinerlei ontologischen Hintergrund. Der Hauptbegriff aus der Perspektive der EVWs, die Korrespondenz, bezieht sich also auf die epistemologisch unterschiedlichen Entitäten, die zu den EVWs gehören. Wie auch immer, die Korrespondenz zwischen einem mentalen Zustand und einigen neuronalen Aktivierungsmustern ist und bleibt eine sehr ungefähre Vorstellung. (Wir müssen berücksichtigen, dass ein mentaler Zustand nicht nur einem neuronalen Aktivierungsmuster und der Aktivierung bestimmter Neuromodulatoren und Neurotransmitter entspricht, sondern auch der Aktivierung bestimmter elektromagnetischer Wellen – mit unterschiedlichen Frequenzen – im Gehirn).
BdgF: Wie lautet also zusammengefasst Ihre Lösung des Geist-Gehirn-Problems?
GV: Ich habe Geist-Gehirn-Problem in dem Sinne „gelöst“, als ich gezeigt habe, dass es sich dabei um ein Pseudo-Problem handelt. Der Geist ist eine EW und das Gehirn (bzw. der Körper) ist eine Entität in einer anderen EVW, der Makro-EW. Da der Geist nicht für das Gehirn existiert und das Gehirn nicht für den Geist, ist es sinnlos, nach der Beziehung zwischen Geist und Gehirn zu fragen.
BdgF: Herr Professor Vacariu, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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Prof. Gabriel Vacariu lehrt am Fachbereich Philosophie an der Universität in Bukarest Philosophie des Geistes, kognitive Neurowissenschaften, Epistemologie und Wissenschaftsphilosophie. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Auf deutsch ist von ihm erschienen: Die Relativität von „Welt“: Wie Pseudoprobleme in den Neurowissenschaften, der Psychologie und der Quantenphysik durch EDWs zu vermeiden sind, Springer 2016.
Guten Abend allerseits! Das Geist-Gehirn-Problem beschäftigt die Menschheit seit der Antike. Hinsichtlich des Gehirns gab es dank boomender Forschung in den letzten Jahrzehnten einen explosionsartigen Wissenszuwachs. Dennnoch sind die vollmundigen Ankündigungen aus den 10er-Jahren, die Neurowissenschaften würden die „schweren Fragen der Erkenntnistheorie“ angehen und ein „neues Menschenbild“ schaffen, folgenlos verklungen.
Ernüchtert müssen wie feststellen: Die Aussagen der Neurowissenschaftler bewegen sich noch immer auf dem Niveau von Fußballweisheiten. Für die Praxis gilt: „Das Gehirn ist (annähernd) rund“ und „Wichtig ist im Gehirn“, während wir für die theoretische Seite festhalten können: „Nach der Theorie (des Geistes) ist vor der Theorie“, denn „Eine neue Theorie gilt immer nur 90 Minuten“.
Was lag da näher, als die wichtigste Nebensache der Welt (das Geist-Gehirn-Problem) mit der wichtigsten Hauptsache der Welt (Fußball) zusammenzubringen und die Geschichte der Philosophie des Geistes als Fußballpartie darzustellen?
Die beiden Mannschafen „Team Geisteswissenschaften“ und „Team Naturwissenschaften“, sind bereits beim Gespann der Unparteiischen – dem Bieri-Trilemma – und führen die Seitenwahl durch. Es kommentiert Dirk Boucsein. Schaun mer mal!
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Die Geschichte der „Philosophie des Geistes liest sich wie eine Chronik zum Wettkampf der verschiedenen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen „Ismen“ (Plural des -ismus, z. B. Materialismus, Idealismus, Positivismus,…). Viele Verbalschlachten, Begriffsscharmützel und Wortstellungskriege der Vergangenheit wären aber sicherlich vermeidbar gewesen, hätte man sich im Vorfeld auf eine gemeinsame Sprache – oder zumindest auf eine einheitliche Konnotation eines bestimmten Begriffes geeignet. Wenn es mir an dieser Stelle gestattet sei, würde ich gerne diesen Kampf der Ismen aber nicht so martialisch beschreiben, sondern lieber zu dem Begriff „UEPhA (Union of European Philosophy Associations)-Cup„-Spiel zwischen dem Team der Geisteswissenschaften (Soziologie, Geschichte, Linguistik,…) und dem der Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie,…) wechseln. Auch wenn ich keine Ahnung vom Fußball habe, aber damit es in der PdG nicht ganz so kopflastig wird 😉
Im Folgenden möchte ich versuchen, anhand einiger ausgewählter Begriffsanalysen den jeweiligen Standpunkt der vermeintlich diametralen Lager in der Philosophie des Geistes deutlich zu machen, um in einem letzten Schritt die bereits gebildeten Gräben und Risse wieder zu zuschütten und zu kitten. Meine Arbeitshypothese soll darin liegen zu zeigen, dass Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften nur die zwei Seiten ein und derselben Münze sind und in der Philosophie des Geistes oder Neurowissenschaft eine gemeinsame Schnittstelle besitzen. Diese Schnittstelle sehe ich in der relativ jungen Disziplin der Neurophilosophie gegeben, auf die ich aber in meinem weiteren Artikel „Die Neurophilosophie“ (https://philosophies.de/index.php/2021/02/15/die-neurophilosophie/) aufgrund der ansonsten entstehenden „epischen Länge“ gesondert eingehen möchte.
Zur Erläuterung meiner Arbeitshypothese sei mir hier zunächst einmal eine begriffliche Standortbestimmung und Einordnung der Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft in die Genese und Evolution der Philosophie des Geistes erlaubt.
Das alte Schisma Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
»Als Gegner stehen einander nicht zwei wissenschaftliche Fächer gegenüber, mit unterschiedlichen Gegenständen, aber ähnlichem Wissenschaftsverständnis, sondern zwei wissenschaftliche Konfessionen, deren Auseinandersetzungen nicht selten Züge eines Glaubenskrieges annehmen.« (Vowinckel, in: Zwischen Natur und Kultur, S. 35)
Es soll im Folgenden zunächst einmal um die Klärung des „Wissens-„/“Wissenschafts-„Begriffes gehen. Doch schon an dieser Stelle tritt eine begriffliche Verwirrung auf. Bedeutet die begriffliche Unterscheidung in Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, dass sich die „Geisteswissenschaften“ (Dilthey, Hegel) nur mit dem „Geist“ und nicht mit der „Natur“ und die „Naturwissenschaften“ nur mit der „Natur“ und nicht mit dem „Geist“ beschäftigen? Diese – bei näherer Betrachtung – doch sehr merkwürdige Begriffswahl erscheint nicht nur im deutschen Sprachraum. In der angelsächsischen Sprache ist der Wissenschaftsbegriff noch stärker polarisiert. Man unterscheidet hier „science“ von „humanities„, wobei sich der Begriff „science“ hauptsächlich auf die „natürlichen Wissenschaften“ (natural science, life science, physical science,…) bezieht und „humanities“ auf die „menschlichen Wissenschaften“. Also dürfte auch im Angelsächsischen „science“ unmenschlich sein, ebenso wie die „humanities“ (anthropology, history, philosophy,…) unnatürlich wären, sonst benötigte man keine solche Unterscheidung der Wissenschaftsobjekte. Die Differenzierung zielt aber im Deutschen, wie im Angelsächsischen weniger auf das Objekt der Untersuchung, sondern liegt eigentlich viel mehr in dem vermeintlichen Unterschied der Methodik. In den Naturwissenschaften wird nach eigener Aussage eher empirisch, induktiv und reduktiv gearbeitet, wohingegen die Geisteswissenschaften ihre Methodik vielleicht eher als logisch, deduktiv und spekulativ bezeichnen würde. Dieser künstlich-erzeugte Dualismus hat – wie man später noch sehen wird – weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Evaluation von Ergebnissen, am Beispiel der Philosophie des Geistes vs. der Neurowissenschaft. Aber zunächst soll hier erst einmal der „Graben/Riss“ an dem Begriff der „Wissenschaften“ gezeigt werden.
„Hiatus philosophicus“ – der Riss im Wissen
Der eigentliche Graben/Riss in der Philosophie („Hiatus philosophicus“) ist vielleicht noch nicht so alt wie das Schisma der katholischen Kirche von 1054. Er ist aber schon angelegt in den Anfängen der Philosophie in der Antike, bei den „ollen Griechen“, hier besonders Platon (* 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; † 348/347 v. Chr. in Athen) und sein Schüler Aristoteles (* 384 v. Chr. in Stageira; † 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa):
„Die Griechen sind von maßgeblicher Bedeutung, weil sie bei der Kontrastierung von moderner und vormoderner Wissenschaftlichkeit einen Angel- und Wendepunkt in der Geschichte bilden. Sie stellen in der Weltgeschichte der Wissenschaften eine Zwischenstufe dar: ein Scharnier zwischen den ersten Anfängen der Wissenschaft bei den antiken Hochkulturen und der elaborierten Wissenschaftssystematik der Moderne.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen. Zum Problem des Unterschieds zwischen Natur- und Geisteswissenschaft in der griechischen Antike, anhand von Aristoteles‘ Physik und Politik“, S. 21)
Die verschiedenen Wissensstufen des antiken Griechenlands
Im antiken Griechenland wurde lediglich zwischen verschiedenen Wissensstufen unterschieden:
1. Vorwissenschaftliches Wissen:
a) ἐμπειρία (empiria ≈ bloßes Erfahrungswissen),
b) ἱστορία (istoria ≈ gesammelte Einzelkenntnisse) und
c) τέχνη (téchne ≈ systematisch-praktisches Wissen in Form von praktischem Können)
2. wissenschaftliches Wissen: ἐπιστήμη (epistéme ≈ theoretisches Wissen in Form von Gelerntem oder Erdachtem
3. philosophisches Wissen: φιλοσοφία (philosophia ≈ höchste Wissensstufe als Sammlung von verschiedenen Weisheiten/Wissen)
„Bezüglich der Differenzierung von vorwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Wissen zeigt sich Folgendes: In der Moderne wird ein bestimmter Begriff der «Wissenschaft» bzw. «science» vorausgesetzt und über dessen Ausdehnung gestritten («Wissenschaft» qua strenge Wissenschaft vs. Geistes«wissenschaft» u. dgl.). Bei den Griechen stellt demgegenüber weniger die Breite eines normativen Konzepts, sondern die Begriffsüberlappung das Hauptproblem dar. Neben dem Begriff ἐπιστήμη [epistéme] dienen auch μαθήματα [mathímata] oder gar τέχνη [téchne] u.ä. als Bezeichnung für wissenschaftliches Wissen, und die allgemeine Bedeutung von ἐπιστήμη [epistéme] als „Wissen“ lebt weiterhin fort.“ (Tim Kunze: „Der Riss im Wissen…“, S. 25)
Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft
Für Platon und Aristoteles stellte sich die Frage nach der Definition der „Wissenschaft“ geschweige denn der Abgrenzung von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft noch überhaupt nicht. Bis in die Moderne differenzierte sich allerdings der Wissenschaftsbegriff sehr stark, wobei die Naturwissenschaft ihre Wurzeln stärker in empiria und téchne schlugen und die Geisteswissenschaft sich lieber über die epistéme und philosophia verorten lassen wollten. Die philosophia wurde gegenüber dem antiken Konzept stark entwertet und einfach der Geisteswissenschaft zugeschlagen. Diesen Hiatus philosophicus zu verorten ist nicht so einfach, da es sich eigentlich um einen kontinuierlichen Prozess gehandelt hat. Man könnte aber Francis Bacon als ersten „modernen Naturwissenschaftler“ bezeichnen, da er sich von der epistemischen Scholastik in Form der „Naturphilosophie“ abwendet und sich der durch empirische Daten (empiria) gewonnen Erkenntnis und technischen (Aus-)nutzbarkeit (téchne) zuwendet. Mit den antiken Begriffen veranschaulicht – ohne eine Bewertung zu beabsichtigen – bedeutet dies, dass die niederen, antikenWissensstufen „techné“ und „empiria“ aufgewertet und die höheren Wissensstufen „philosophia“ und die „epistéme“ abgewertet wurden.
Diese wissenschaftsgeschichtliche Vorbetrachtung ist aber wichtig für das weitere Verständnis des darauf folgenden späteren Kampfes zwischen der Geisteswissenschaftund Naturwissenschaftin Form der Ismen in der Philosophie des Geistes.
Die Philosophie des Geistes – der UEPhA-Cup der Ismen
Das Schiedsrichtergespann soll das in meinem vorherigen Essay „Der Geist in der Materie“ beschriebene Bieri-Trilemma abgeben, da es die zugrundegelegten Basen der jeweiligen Ismen besser bewertbar macht; das gilt im Übrigen sowohl für die Dualismen und Monismen. Das Bieri-Trilemma soll in diesem Sinne ausdrücklich keine neue Theorie sein, sondern lediglich nur ein Instrument dienen. Wenn ich das Bieri-Trilemma aus diesem Grunde noch einmal kurz vorstellen dürfte:
Dualismus:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene. (2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam. (mentale Verursachung; z.B. allg. für Verhalten, „vor Scham erröten“) (3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Jede der drei Annahmen wirkt auf den ersten Blick plausibel: Zu (1): Das Bewusstsein scheint durch seine interne Struktur – insbesondere durch das subjektive Erleben – von jedem physischen Ereignis verschieden. Zu (2): Mentale Phänomene (etwa Angst) scheinen ganz offensichtlich Ursache von physischen Phänomenen (etwa Weglaufen) zu sein. Zu (3): In der physischen Welt scheinen jedoch immer hinreichende, physische Ursachen auffindbar zu sein.
Monismus:
(1) Wenn mentale Phänomene im kausal geschlossenen Bereich physischer Phänomene eine kausale Rolle spielen sollen, dann müssen sie physische Phänomene sein. (2) Mentale Phänomene sind M. (3) Phänomene, die M sind, können nicht physische Phänomene sein. (M steht für Charakteristika, denen Eigenschaften zugesprochen werden, die exklusiv mentalen Phänomenen zugeordnet werden.) (Peter Bieri: „Analytische Philosophie des Geistes„, S. 9.)
Das Trilemma besteht nach Bieri darin, dass die Sätze paarweise, aber nicht alle zugleich wahr sein können. Wenn mentale Phänomene auf die physikalische Welt einwirken können (1 und 2), so ist sie nicht geschlossen (Widerspruch zu 3). Wenn dagegen das Mentale von der physischen Welt unabhängig ist und die physische Welt kausal geschlossen (Satz 1 und Satz 3), so kann es keine Wirkung mentaler Phänomene auf die physikaische Welt geben (Widerspruch zu 2). Wenn mentale Phänomene physische Vorgänge verursachen und die physische Welt kausal geschlossen ist (2 und 3), so muss das Mentale auf die physische Welt reduzierbar sein (Reduktionismus, Widerspruch zu 1).“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bieri-Trilemma)
Die Untersuchung in wie weit die Prämisse (3) überhaupt Bestand hat, muss leider auch noch auf den späteren Essay „Neurophilosophie“ verschoben werden.
Anstoß der Partie durch die Geisteswissenschaft
Der Wettkampf um den UEPhA-Cup der Philosophie des Geistes wird selbstverständlich durch das Team um die Geisteswissenschaft angestoßen, da zu Beginn des „Spiels“ die Mannschaft um das Team Naturwissenschaft noch Probleme mit der richtigen Technik zur Behandlung des Objektes „Geist“ (der Begriff ist übrigens sprachlich auch nicht unproblematisch) haben. Es fehlen die empirischen Daten.
„Sokrates: Unser Leib, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele? Protarchos: Offenbar wollen wir das. Sokrates: Woher aber, o lieber Protarchos, sollte er sie erhalten haben, wenn nicht auch des Ganzen Leib beseelt wäre, dasselbe habend wie er und noch in jeder Hinsicht trefflicher?“ (Platon: Dialog „Philebos“ (30a).
Der Ball landet auch im gegnerischen Spielfeld, wo er von den Verteidigern des Teams NW, den „Atomisten“ Leukipp, Demokrit und Epikur mit ihrer substanzmonistischen Theorie zunächst einmal abgewehrt wird (die Idee wird aber – wie man später noch sehen wird – zum Physikalismus in Form der „Identitätstheorie“ ausgebaut). Platons eigentlicher Plan lag zwar eher darin, die Unsterblichkeit der Seele zu postulieren, aber von nun an ist die Differenz zwischen zwei vermeintlichen Entitäten dem „Leib“ und der „Seele“ unwiderruflich in der Welt. Er liefert in seinem Dialog „Phaidon“ allerdings keine genaue Definition zu dem Begriff „Seele“, „was es ist zu sein„, außer dass sie etwas Immaterielles (Nicht-Körperliches) sein soll.
„Ich kann mir klar und deutlich vorstellen, dass Geist ohne Materie existiert. Was man sich klar und deutlich vorstellen kann, ist zumindest prinzipiell möglich. Also ist es zumindest prinzipiell möglich, dass Geist ohne Materie existiert. Wenn es prinzipiell möglich ist, dass Geist ohne Materie existiert, dann müssen Geist und Materie verschiedene Entitäten sein. Da also Geist und Materie verschiedene Entitäten sein müssen, ist der Dualismus folglich wahr.“ (René Descartes: „Meditationes de prima philosophia.“ (1641), S. 98)
Auf Descartes Interaktionismus gehe ich hier nicht ausführlicher ein, da ich ihn bereits in meinem letzten Essay „Der Geist in der Materie“ beschrieben habe. Nach Descartes ist die Seele zwar „unräumlich“, jedoch würde sie in engem Kontakt mit der Zwirbeldrüse stehen, die als Vermittlerin zwischen Körper und Seele fungieren soll. Dies konnte aber bis heute weder durch das Team um die Naturwissenschaft empirisch bestätigt werden, noch hielten die Kommentatoren aus der Geisteswissenschaft-Kurve diesen Ansatz für erfolgversprechend (Andreas Kemmerling: „Ideen des Ichs: Studien zu Descartes‘ Philosophie“ 1996).
Spinozas Substanzmonismus
Als taktischer Einzelspieler übernimmt nun aber Spinoza nochmals den Ball mit seinem Substanzmonismus. Der Substanzmonismus soll aber anders als bei den antiken „Atomisten“ nicht in der Materie, sondern in Gott als unendliche, substantiell in ihren Eigenschaften konstante, einheitliche und ewige „Substanz“ in allem Seienden (Pantheismus) gefunden werden. Die hieraus entwickelte Erkenntnistheorie für die Philosophie des Geistes führt bei ihm im Gegensatz zum IA zu einem psychophysischen Parallelismus. Der menschliche Intellekt kann Spinoza zufolge zwei „Attribute“ das „Denken“ (Geist) und die „Ausdehnung“ (Materie) der einen Substanz natura naturans = schöpferische Natur (Gott) erkennen.
Leibniz Parallelismus
Dieselbe Taktik verfolgt ebenfalls sein Parallelismus-Mitspieler Leibniz, der jeglichen psychophysischen Interaktionismus zwischen Leib und Seele ablehnt und diese nur als zwei Uhren vergleicht, die voneinander getrennt, aber durch Gott vollkommen synchronisiert, ablaufen würden. Die perfekte Parallelität ohne Kausalität erscheint schon damals fragwürdig, aber endgültig scheitert der Pass durch seinen Determinismus an den Verteidigern der „Willensfreiheit„. Wie stabil diese Verteidigungsmauer ist, muss allerdings auch in einem späteren Essay untersucht werden. Auch ein weiterer idealistischer Parallelismus-Spieler Kant kommt mit seinem torgefährlichen Doppelpass in Form des transzendental-apriorischen Eigenschaftsdualismus weit in den Strafraum des NW. Er kann aber leider auch nicht erfolgreich abschließen, da das Bieri-Trilemma-Schiedsrichtergespann ihn im Abseits sieht, wie ich auch bereits in „Der Geist in der Materie“ dargestellt hatte.
Der Bieri-Trilemma-Schieri muss nun allerdings auch endlich mal einschreiten und das „Spiel abpfeifen“, da bei allen Spielzügen des Teams um die Geisteswissenschaft, sowohl beim Substanzdualismus, als auch beim Substanzmonismus, die Prämisse (1) mit der Prämisse (2) konfligieren, entweder weil sie zu einseitig (1) oder (2) betonen oder weil sie mit Prämisse (3) nicht mehr unter einen Hut gebracht werden können. Dies führt natürlich dazu, dass nun das Team um die Naturwissenschaft in einen längeren Ballbesitz kommen, wobei sie beabsichtigen, über die Empirie zu verlässlichen Daten und schließlich zu stabilen Theorien in der Philosophie des Geistes zu gelangen.
Konter durch die Naturwissenschaft
Huxleys Epiphänomenalismus
Als neuen Spielzug im UEPhA-Cup wurde der Epiphänomenalismus durch das Team Naturwissenschaft in Form der Spieler Bonnet oder dem populäreren Spieler Thomas Henry Huxley (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn, dem Autor Aldous Huxley „Schöne, neue Welt, s. „Das Technopol„) – auch als „Automatismus“ genannt – in die Philosophie des Geistes gebracht. Der Epiphänomenalismus baut ebenfalls auf einem Substanzdualismus auf, bezieht sich aber eher auf die Eigenschaften der Materie, so dass er auch als Eigenschaftsdualismus bezeichnet wird. Die taktische Idee des Epiphänomenalismus kann man als „lange Flanke“ sehen, die nur eine Richtung kennt: das Physische hat Auswirkungen auf das Mentale, aber nicht umgekehrt. Der immaterielle Geist, die Seele „erscheint“ nur als Epiphänomen der Materie und ist damit für den Epiphänomenalismus eigentlich redundant. Wie dies die Materie im Gehirn bewerkstelligt, bleibt der Epiphänomenalismus damals (aber auch heute noch) trotz zahlreicher empirischer Daten (EEG, CT, MRT, DTI,…) schuldig, obwohl auch hier neue Spieler, wie zum Beispiel Thomas Metzinger mit seinem Phänomenalen Selbstmodell (PSM) ins Team aufgenommen wurden.
Team Naturwissenschaften (Bild: philosophies)
Skinners Behaviorismus
Den Ball wollte sich natürlich die noch relativ junge Disziplin – die Psychologie – nicht wegnehmen lassen, da auch sie noch Probleme mit ihrer Standortbestimmung hatte, ob sie denn nun eher dem Geisteswissenschaft- oder Naturwissenschaft -Team angehören wollte. Um sich dem Naturwissenschaft -Lager anzuschließen, wurde ein Spieler namens Watson („Psychology as the Behaviorist views it“ (1913) auf das Spielfeld geschickt, der menschliches Verhalten („Behaviour„) durch seine „objektive Methode“ als Reiz-Reaktions-Schema („stimulus-response„) beschreiben wollte. Der Behaviorismus war begründet. Um es mit der Sprache des Behaviorismus zu sagen, der Epiphänomenalismus war der „Reiz“ und der Behaviorismus die „Reaktion“. Man wollte das Spielfeld nicht dem Materialismus der Geisteswissenschaft oder Physikalismus der Naturwissenschaft überlassen, sondern selber ein Team zusammenstellen. Skinner („Science and Human Behavior“ 1953) wurde als bekannter Spieler hinzugewonnen und verstärkte die Position im „radikalen Behaviorismus „. Der Behaviorismus geht allgemein davon aus, dass die dem beobachteten menschlichen Verhalten zugrundeliegenden, physiologischen Vorgänge als „Black Box“ nicht erschlossen werden können und auch dementsprechend irrelevant sind. Die Psychologie sollte zur „exakten Wissenschaft“ werden, die mit Hilfe von Experimenten und naturwissenschaftlichen Begriffen das menschliche Verhalten im biologischen Sinne exakt beschreiben konnte. Der Behaviorismus erwies sich allerdings, abgesehen von dem Nachwirken in der Psychologie in Form der „Experimentellen Verhaltensanalyse„, als entschiedener Fehlpass.
Places/Smarts Identitätstheorie
Insgesamt ist aber nun weiterhin das Team der NW mit der von Place und Smart begründeten Identitätstheorie im Ballbesitz. Die Identitätstheorie ist geradezu als Einwurf auf die gescheiterte Behaviorismus anzusehen, da sie beherzt die Spielstrategie wechselte. Der Substanzdualismus des Behaviorismus wird als falsch angesehen, da er scheinbar an der Prämisse (1) des Bieri-Trilemma gescheitert ist. Demgegenüber wird von der Identitätstheorie die Einheit von physisch-materiellem Körper und psychisch-mentalem Geist beschworen, weil sie die „physikalische Geschlossenheit“ der Prämisse (3) des Bieri-Trilemma erreichen möchte. Insofern könnte man auch den Transfer des Substanzdualismus zum Substanzmonismus als Eigenschaftsdualismus beschreiben, der doch wieder stark an den Epiphänomenalismus erinnert. Der Unterschied liegt allein darin, dass nun die psychisch-mentalen Zustände durchaus als gegeben erachtet werden, sie müssen allerdings durch das Physisch-Materielle realisiert werden. Diese taktische Festlegung führt zum Physikalismus, der von den logischen EmpiristenCarnap und Neurath aus dem Naturwissenschaft-Team begründet wurde, um sich vom „metaphysischen Begriff“ der Geisteswissenschaft, dem Materialismus zu distanzieren, der auf die Cambridger PlatonistenMore und Cudworth zurückgeht. Die Identitätstheorie verwendet interessanterweise beide Begriffe – ungeachtet der unterschiedlichen Lager – synonym.
Die Identitätstheorie erscheint allerdings in zwei unterschiedlichen Spielarten der Identität. Bei der Token-Identität handelt es sich um zwei konkrete Exemplare eines Typs, die identisch sind. Also der Spieler Place wird sowohl von dem Zuschauer A als auch von dem Zuschauer B als Exemplar gesehen, aber von beiden als Token-Identität betrachtet. Demgegenüber können bei der Typ-Identität bestimmte Mengen von Exemplaren zusammengefasst werden, die bestimmte Eigenschaften erfüllen. So kann man den Spieler Place mit der Eigenschaft, dass er im Spielfeld der Naturwissenschaft steht und das Trikot der Identitätstheorie trägt, als Typ-Identität sehen. Wenn nach Smart alle mentalen Zustände durch die Typ-Identität reduktiv auf bestimmte neuronale Zustände zurückführbar seien, so wäre es nur eine Frage der Zeit und der Forschung, bis die NeuroW alle offenen Fragen der Psychologie geklärt hätten. Man kann aber nun auch beobachten, dass er sich mit dem stark reduktiven Charakter der Typ-Identität „vertrippelt“ und den „Ball ins Aus“ geschlagen hat.
Putnams/Fodors Funktionalismus
Hier erfolgt nun erneut ein Einwurf durch den Funktionalismus, ausgeführt von den Spielern Putnam und Fodor, die versuchen das Problem der Identitätstheorie – die „multiple Realisierung“ – zu lösen. Wenn man annehmen kann, dass alle Wirbeltiere so etwas wie „Qualia„, z. B. „Schmerz“ als mentalen Zustand empfinden, wird man aber auch davon ausgehen können, dass der Spieler Place bei einem Beinbruch einen anderen neuronale Zustand besitzt, als der gemeine Lurch auf dem Platz. Der Funktionalismus versucht dieses Problem der multiplen Realisierung dadurch zu lösen, dass es den verschiedenen neuronalen Zuständen des Gehirns den gleichen funktionalen Zuständen zuordnet. Die mentalen Zustände werden dann einfach mit den funktionalen Zuständen gleichgesetzt. Die funktionalen Zustände werden gerne mit Hilfe der Automatentheorieerklärt, die davon ausgeht, dass ein funktionaler Zustand durch einen Input, einen entsprechenden Output liefert und hierbei in einen anderen funktionalen Zustand wechselt (s. „Colaautomat“ https://de.wikipedia.org/wiki/Funktionalismus_(Philosophie). Dieses Bild hat natürlich der Analogie von Gehirnfunktion und Computermodulation erheblichen Vorschub geleistet und eine Brücke zur Informatik und Kybernetik geschlagen.
bewusstes Erleben von mentalen Zuständen
Dem Funktionalismus kommt nun allerdings das „Bewusstsein“ in die Quere, was als Problem an dem „China-Gehirn„-Gedankenexperiment verdeutlicht wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#Funktionalismus). Die Erklärung, wie der Geist in die Flasche oder hier in die Materie kommt, bleibt auch der Funktionalismus schuldig. Auch die funktionalen Zustände der neuronalen Gehirnaktivitäten liefern keine schlüssigen Theorien für das bewusste Erleben von mentalen Zuständen, die man als „Ich„, „Selbst“ oder auch die Wahrnehmung des „Anderen“ bezeichnen könnte.
Das Team wollte den Ball aber noch nicht als verloren geben, sodass es beim Bieri-Trilemma-Schieri einen Einspruch geltend machte, dass der Schieri befangen sei und zu oft falsch gepfiffen hätte. Man solte sich die Szenen noch einmal unter folgenden Voraussetzungen erneut anschauen und neu bewerten:
1. Der Materialismus ist wahr, mentale Zustände müssen materielle Zustände sein. 2. Die einzelnen reduktiven Vorschläge sind alle unbefriedigend: Mentale Zustände lassen sich nicht auf Verhalten, Gehirnzustände oder funktionale Zustände zurückführen.
Davidsons nicht-reduktiver Materialismus
Also mussten wieder ein paar Ersatzspieler von der Bank einspringen, die das Spiel noch zu retten versuchten. Die Rede ist vom nicht-reduktiven Materialismus, der von Davidson als „anomalen Monismus“ in Form des „Supervenienzprinzip“ eingeführt wurde. Das Supervenienzprinzip geht davon aus, dass die psychisch-mentalen Zustände des Gehirns von den physisch-materiellen Zuständen der Neuronen abhängig sind und nicht umgekehrt. Dieses Abhängigkeitsverhältnis der psychisch-mentalen Zustände von der physisch-materiellen Zuständen führte zu einem weiteren taktischen Spielzug; der „Emergenz„. Die Emergenz postuliert, das bestimmte Phänomene nur auf der Makroebene eines Systems erscheinen, aber nicht auf der Mikroebene der Systemkomponenten beobachtet werden können. Insofern spielt die Emergenz eine herausragende Rolle für den nicht-reduktiven Materialismus, da sie das Problem mit dem Bewusstsein dadurch versucht zu erklären, dass diese mentalen Zustände auf der Makroebene der menschlichen Kognition erscheint, er aber nicht in den neuronalen Zuständen der Gehirnaktivitäten nachzuweisen ist. Dies hat natürlich auch zu Buhrufen im Stadion geführt, da die Erklärung für eine materialistische Theorie als nicht sehr befriedigend erscheint und einige Fans der Naturwissenschaft hierin sogar wieder ein Foul durch einen Eigenschaftsdualismus der Geisteswissenschaft gesehen haben.
P./P. Churchlands eliminativer Materialismus
Zum Schluss gibt es noch einen letzten verzweifelten Angriffsversuch vor dem Abpfiff des Bieri-Trilemma-Schieris, der sich das Spiel auch nicht mehr länger anschauen konnte. Patricia und Paul Churchland schossen den Ball als eliminativen Materialismusauf das gegnerische Tor, indem sie einfach behaupteten:„Es gibt keine mentalen Zustände.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes#cite_note-32). Die Vorstellung von den mentalen Zuständen würden lediglich auf einer Annahme der Alltagspsychologie beruhen, die aufgrund der fortschreitenden Ergebnisse der Neurowissenschaft irgendwann einmal zum Paradigmenwechsel der zur Zeit noch bestehenden Theorien des Philosophie des Geistes führen würde.
Paradigmenwechsel durch die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie
Dass dieser Paradigmenwechsel zwingend notwendig erscheint, ist hoffentlich durch das Hin und Her im UEPhA-Cup der Ismen mehr als deutlich geworden. Allerdings sehe ich ihn eher darin, die beiden Teams GW und NW endlich wieder zu vereinen, da zur Lösung des Problems der Philosophie des Geistes wie der Geist in die Materie kommt, beide Methoden vonnöten sind. Dieses Zuschütten des Grabens oder das Kitten des Risses könnte die nichtreduktive, bidirektionale Neurophilosophie aus meiner Sicht leisten. Aber hierzu mehr in meinem nächsten Essay „Die Neurophilosophie„.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Dirk Boucsein philosophies. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und Blogbetreibers. Überschrift und Einleitung von Axel Stöcker.