Die Bonmot-Produktion begann bereits im Vorgespräch zum Interview: Es sei inzwischen nun mal empirisch bestätigt, dass die Welt sich tatsächlich so verrückt verhalte, wie die Quantenmechanik es voraussage. Thomas Naumann, den wir zusammen mit Ilja Bohnet interviewt haben, ist nicht nur Teilchenphysiker und Buchautor, sondern er hat sich auch zu philosophischen und religiösen Themen tiefe Gedanken gemacht. Vor allem aber hat er die Gabe, die Dinge – auch humorvoll – auf den Punkt zu bringen, wovon man sich im Teaser am Ende dieses Beitrags (oder gleich im kompletten Interview) überzeugen kann. Da war es nur folgerichtig, ihn auch um die Antworten auf unsere „großen Fragen“ zu bitten, was er dankenswerterweise getan hat. Die Antworten sind, wie erwartet, prägnant. Aber lesen Sie selbst.
Wofür lassen Sie alles stehen und liegen?
Für einen Sonnenstrahl und ein freundliches Wort.
Welche Themen interessieren Sie am meisten?
Einsteins Frage, ob Gott die Welt auch hätte anders machen können.
Welcher Wissenschaftler fasziniert Sie besonders?
Mich fasziniert Einsteins traumwandlerische geistige Unabhängigkeit. Aber auch die von Kurt Gödel, Emmy Noether, John Bell.
Und welcher Philosoph?
Buddha. Und wenn Sie den nicht als Philosophen akzeptieren: Spinoza und Laotse.
Welche drei Bücher würden Sie den Lesern des Blogs der großen Fragen empfehlen?
Die Bibel, Brechts Hundert Gedichte und Stefan Heyms König David Bericht.
Welche Musik mögen Sie?
Bachs Passionen und Konzerte
Auf welchem Gebiet herrscht heutzutage die größte Unwissenheit?
Bei der Erkenntnis unserer selbst.
Was macht eine Frage bedeutend?
Wenn sie den Hebel tief ansetzt, uns überrascht und alte Gewissheiten in Frage stellt.
Eine Fee verspricht Ihnen die Antwort auf eine beliebige Frage. Was fragen Sie?
Einsteins Frage, ob Gott die Welt auch hätte anders machen können.
Wo sehen Sie Grenzen menschlicher Erkenntnis?
Es ist schwer zu verstehen, warum es etwas gibt und nicht etwa nichts. Schon die Griechen sagten: Ex nihilo nihil fit – Von nichts wird nichts.
Was war am Anfang der Welt: Die Gesetze? Und die Materie folgte ihnen? Oder ist der Kosmos aus Chaos geboren, und wir versuchen heute im Nachhinein, seine Gesetze zu erkennen?
Jemand erklärt Ihnen, die Frage nach Gott sei belanglos. Was antworten Sie?
Dass es Gott dem Allmächtigen in seiner unermesslichen Weisheit und Güte gefallen hat, mich zum Agnostiker zu machen – ich dem Frager also zustimme.
Welche Bedeutung hat der Tod für Sie?
Die wichtigste Frage für mich ist: Gibt es ein Leben vor dem Tode?
Ich achte weniger darauf, wie viele Tage mein Leben hat, sondern wie viel Leben mein Tag hat.
Ich folge also dem Memento mori aus dem 90. Psalm Davids: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
***
Thomas Naumann ist Honorarprofessor an der Universität Leipzig. Er war am legendären ATLAS-Experiment am CERN beteiligt, bei dem das berühmte Higgs-Boson nachgewiesen wurde und war Gruppenleiter am DESY (Deutsches Elektronen-Synchroton), dem bekanntesten und wohl auch wichtigsten deutschen Forschungszentrum im Bereich Teilchenphysik. Außerdem hat er sich in zahlreichen Vorträgen zu philosophischen Themen zu Wort gemeldet, wie zum Beispiel Einsteins Dialog mit Gott, Bertolt Brechts Verhältnis zur Bibel und dem Verhältnis von Wahrheit und Schönheit.
Beim Zoomposium durften Dirk Boucsein (philosophies.de) und ich diesmal die beiden Buchautoren Prof. Dr. Thomas Naumann und Dr. Ilja Bohnet interviewen. Die beiden Physiker haben jüngst ein Buch über die offenen Fragen in den Naturwissenschaften veröffentlicht. Es ging aber nicht nur um dunkle Materie und das Comeback von Einsteins kosmologischer Konstante, sondern auch um noch „größere“, weil philosophische Fragen. Unter anderem:
Ist der Kosmos schön und ist Schönheit ein Kriterium für Wahrheit? Warum fand die katholische Kirche die Idee des Urknalls so toll? Ist die Feinabstimmung des Universums ein Hinweis auf einen Schöpfer? Ist die Stringtheorie eine Metaphysik und – falls ja – eine gute? Und wie würde Karl Popper das einschätzen?
Das und mehr findet man hier im Interview auf unserem Kanal Zoomposium. Wer sich zunächst einen Eindruck verschaffen möchte, kann mit diesem Teaser hineinschnuppern:
Was haben das Geist-Gehirn-Problem und das Problem der Verschränkung von Quantenteilchen gemeinsam? Beide sind ungelöst, weil es bei beiden nicht gelingt, zwei verschiedene Dinge unter einen Hut zu bekommen. Hier mentale Zustände und neuronale Vorgänge, dort die Lokalität von Quantenereignissen und deren mikroskopische Realität.
Glaubt man Gabriel Vacariu, Professor für Philosophie an der Universität von Bukarest, haben beide Probleme eine gemeinsame Ursache: Sie gehen von der zwar naheliegenden, aber falschen Prämisse aus, alle diese Phänomene befänden sich in derselben „Welt“, nämlich jener, in der auch wir Menschen uns als Beobachter wiederfinden.
Real sind nach Vacariu aber nur Entitäten, also existierende, konkrete oder abstrakte Gegenstände, aber nicht die „Welt“, in der sie sich aufhalten bzw. aufzuhalten meinen. Die „Welt“ zerfällt nämlich in epistemologisch verschiedene Welten (EVWs bzw. EDWs), die so etwas wie die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Entitäten darstellen.
Dieser, hier nur angedeutete, Ansatz erlaubt nach Vacariu die Lösung vieler großer Probleme, bei denen man bisher vollständig im Dunkelt tappt. Für ein genaueres Verständnis sind die Begriffe Ontologie und Epistemologie oder Erkenntnistheorie wesentlich. Ontologie ist die Lehre vom Seienden, fragt also nach dem was real ist bzw. was existiert, während die Epistemologie die Frage nach dem Zustandekommen unseres Wissens über das Seiende stellt. Damit steht automatisch die Frage im Raum steht, wie gut sich unser Wissen an das tatsächlich Seiende annähern kann.
„Ontologie befasst sich mit dem, was existiert, während Epistemologie sich mit den Teilen dessen beschäftigt, was existiert und was wir wissen können.“
Ungewöhnliche Theorien stoßen naturgemäß auf Widerstand, was Vacariu schon mal dazu veranlasst Nietzsche zu zitieren:
„Manchmal wollen Menschen nicht die Wahrheit hören, denn das würde ihre ganze Illusion zerstören.“
Wie weit trägt diese Idee? Gabriel Vacariu hat mir freundlicherweise ein Interview zu seiner Theorie und ihrer Anwendung auf das Leib-Seele-Problem gegeben.
*
BdgF: Professor Vacariu, Sie nennen das Universum die „Einhornwelt“, weil es Ihrer Meinung nach nicht realer ist als ein Fabelwesen. Was bedeutet „real“ für Sie?
Gabriel Vacariu (GV): Die „Einhornwelt“ ist nur deshalb ein Fabelwesen, weil sie die Welt (das Universum) darstellt, in der alle Entitäten miteinander in Beziehung stehen. Doch das Gegenteil ist der Fall: alle diese Entitäten werden durch die epistemologsich verschiedene Entitäten und ihre entsprechenden Gesetze repräsentiert, die zu den epistemologsich verschiedenen Welten (EVWs, englisch: EDWs) gehören.
So gehören zum Beispiel die elektromagnetischen Wellen und ihre Wechselwirkungen („Gesetze“) zur Feld-EW; die Mikroteilchen (Elektronen, etc.) mit ihren Gesetzen und Wechselwirkungen gehören zur Mikro-EW; die Makroentitäten (Tische, Steine, Planeten, etc.) mit ihren Gesetzen und Wechselwirkungen gehören zur Makro-EW.
Bis ich kam, haben alle in der Einhornwelt gearbeitet, denn niemand hat die Existenz des „Universums“ bestritten. Die Idee von der Existenz der Welt (des Universums) habe ich durch die Idee der „epistemologsich verschiedenen Welten“ (EVWs) ersetzt. Die „Feld-EW“, die „Mikro-EW“ und die „Makro-EW“ existieren jedoch nicht wirklich (sie haben keine Ontologie). Was wirklich existiert, sind allein die epistemologsich verschiedene Entitäten: die elektromagnetischen Wellen, die Mikroteilchen bzw. die Makroteilchen. Diese epistemologsich verschiedene Entitäten stellen die Epistemologsich verschiedene Welten (EVWs) dar. (Der Geist existiert sowohl als Entität, als auch als EW.)
„Bis ich kam, haben alle in der Einhornwelt gearbeitet.“ – Gabriel Vacariu
BdgF: Epistemologsich verschiedene Welten (EVWs) – das klingt verwirrend, wenn es zum ersten Mal hört. Was ist der springende Punkt bei dieser Idee?
GV: Im Terminus „Epistemologsich verschiedene Welten“ (EVWs) habe ich die Epistemologie (durch „epistemologisch“) und die Ontologie (durch „Welten“) in einem Ausdruck vereint. Warum? Weil ich die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Ontologie für den größten Fehler halte. Und warum das? Diese Unterscheidung ist dem menschlichen Denken eigen, sie hat aber keine Entsprechung in den verschiedenen epistemologsichen Entitäten wie einem Tisch, einem Planeten oder einem Mikroteilchen. Ein Mikropartikel oder ein Planet treffen diese Unterscheidung nicht.
Mein Ansatz der „Epistemologsich verschiedene Welten“ (EVWs) bezieht sich auf epistemologisch verschiedenen Entitäten. Er beschreibt die Art und Weise, wie diese Entitäten „wahrnehmen“, d.h. wie jede Entität nur mit anderen Entitäten aus dem gleichen epistemologsichen Welt (EW) interagiert. Eine Entität aus einer EW existiert nicht für eine epistemologische Entität einer anderen EW.
BdgF: Wie kommen Sie auf die Idee, dass das, was wir jeden Tag erleben, in Wirklichkeit eine Illusion sein könnte?
GV: Nehmen Sie das Beispiel eines Körpers, der auf einer Straße geht.
Das Selbst (der Geist) ist eine epistemologische Welt (EW), der Körper und das Gehirn gehören zu einer anderen EVW, der Makro-EW. Das Selbst (der Geist) existiert nicht für das Gehirn bzw. den Körper, da eine EW nie für eine andere, von ihr verschiedene EW existiert.
Das Selbst „hat“ die Erfahrung des entsprechenden Körpers nur indirekt, durch „Korrespondenz“. Das Selbst (der Geist) befiehlt dem Körper nicht zu gehen, da der Geist ein EW ist, die für das Gehirn bzw. den Körper nicht existiert. Es ist das Gehirn, das den auf der Straße gehenden Körper kontrolliert.
Gleichzeitig steuert das Selbst bzw. der Verstand die internen Bilder, die Repräsentationen des entsprechenden „Körper, der auf einer Straße geht“ sind. Es sind verschiedene EDWs, die Verstandes-EW und die Makro-EW.
BdgF: Sie sagen, die Einhornwelt sei nicht nur eine Illusion, sondern auch der größte Feind der menschlichen Erkenntnis. Warum das?
GV: Weil vor mir jeder – ich meine wirklich JEDER – mit der Einhornwelt, also dem „Universum“ bzw. der „Welt“, gearbeitet hat. Und dies war ein FALSCHES Paradigma des Denkens. Warum? Wie bereits gesagt, wurden alle verschiedenen epistemologischen Entitäten in denselben Rahmen (genannt „das Universum“ oder „die Welt“) gestellt. Das war der größte Fehler in der Geschichte des menschlichen Denkens.
BdgF: Ist die Theorie der epistemologsich verschiedenen Welten (EVWs) Naturwissenschaft oder Philosophie? Oder gar Metaphysik?
GV:Meine Entdeckung der EVWs vereint Naturwissenschaft und Philosophie (In einem anderen Zusammenhang habe ich auch angedeutet, dass Gott gar nicht existieren kann, es wird also jede Form von Religion abgelehnt. Sie können den Artikel „God cannot even exist“ auf meiner Homepage gratis herunterladen).
Ich habe auch ein Buch über meine Metaphysik geschrieben, aber die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Metaphysik ist im Zusammenhang mit den EVWs völlig falsch, da die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Ontologie falsch ist.
BdgF: Die Idee von „vielen Welten“ findet sich auch bei theoretischen Physikern wie Stephen Hawking, die von „Parallelwelten“ und einem „Multiversum“ sprechen. Hat diese Idee etwas mit Ihrer Theorie der EDWs zu tun?
GV: Everett war der erste, der in den 50er Jahren „viele Welten“ eingeführt hat. Allerdings sind seine „vielen Welten“ völlig anders als meine EVWs. Außerdem sind „Parallelwelten“ und „Multiversum“ nichts anderes als verschiedene Universen, die sich im selben „raumzeitlichen Rahmen“ gestellt sind. Mit anderen Worten, es gibt ein Universum, das eng an ein anderes angrenzt. Alle diese Universen befinden sich innerhalb des Makro-EW. Jedes Universum existiert ganz real für die anderen Universen, auch wenn zwischen ihnen große Entfernungen bestehen. Für mich existiert ein EW nicht für ein EW. Deshalb sind meine EDWs etwas ganz anders als die „Parallelwelten“ oder das „Multiversum“.
BdgF: Paralleluniversen, ein Multiversum – ist das für Sie Physik oder Metaphysik?
GV: Wie für die parallelen Welten gerade gesagt: ein Universum befindet sich in der Nähe eines anderen Universums. Alle diese Universen sind Makro-Universen innerhalb des Makro-EW. Das ist „unbestätigte Physik“, aber keine „Metaphysik“.
BdgF: Sie sagten, man könne mit den EVWs auch das seit Jahrhunderten ungelöste Geist-Gehirn-Problem lösen. Die kognitive Neurowissenschaft befände sich in diesem Punkt noch in einem „prähistorischen Stadium“ (Kuhn) befindet. Was meinen Sie damit?
GV: Das Geist-Gehirn-Problem ist seit seinem Auftauchen innerhalb der Einhornwelt konstruiert worden. Es ist also ein Pseudo-Problem, das in einem falschen Rahmen entstanden ist. Warum ist es ein Pseudo-Problem?
Da aus meiner EVW-Perspektive der Geist nicht für das Gehirn (bzw. den Körper) und das Gehirn nicht für den Geist existiert, ist es sinnlos, nach der Beziehung zwischen dem Geist und dem Gehirn zu fragen. Es gibt nur eine Korrespondenz zwischen ihnen, mehr nicht. Die kognitive Neurowissenschaft ist schon deshalb eine Pseudowissenschaft, weil sie epistemologsiche Entitäten zusammenführt, die zu verschiedenen epistemologsichen Welten (EVWs) gehören. Die Forscher dieser „Wissenschaft“ versuchen, den Geist mit dem Gehirn wissenschaftlich zu verbinden! Aber diese Idee ist völlig falsch. Auch die Identitätstheorie ist falsch, da der Geist nicht mit dem Gehirn identisch ist. Der Hauptbegriff aus diesem Bereich, die „Korrelation“, ist in der Einhornwelt konstruiert und daher ebenfalls völlig falsch. Da der Geist dem gesamten Gehirn und Körper (in einer Makro-Umgebung) entspricht, sind Korrelationen zwischen einem mentalen Zustand und bestimmten „neuronalen Zuständen“ bedeutungslos! Es gibt nur große Annäherungen zwischen mentalen Zuständen und neuronalen Zuständen, mehr aber nicht.
Selbst wenn die Forscher in Zukunft immer bessere und leistungsfähigere „Gedankenlesemaschinen“ entwickeln, werden diese Maschinen nur immer bessere „Näherungskorrelationen“, aber keine „Identitäten“ zwischen den mentalen Zuständen und den neuronalen Zuständen nachweisen können.
Ein wichtiger Grundsatz aus meiner EVWs-Perspektive: „Alle mentalen Zustände sind das Selbst“. Ein mentaler Zustand ist das Selbst bzw. der Geist, also kann ein mentaler Zustand nicht vom Geist isoliert werden. Wenn wir also einen mentalen Zustand mit bestimmten neuronalen Zuständen identifizieren wollen, ist das ein großer Fehler, da alle mentalen Zustände das Selbst (der Geist) sind und der gesamte Geist dem gesamten Gehirn bzw. dem Körper (der in seine Umgebung gestellt ist) entspricht. Daher sind das „Bindungsproblem“ [Das Problem, wie aus den in verschiedenen Gehirnregionen vorliegenden Teilinformationen ein einheitlicher Eindruck entsteht. A. S.] und die „Lokalisierung“ aus der kognitiven Neurowissenschaft Pseudoprobleme (keine „wissenschaftlichen Probleme“), gerade weil diese Probleme keinen ontologischen Hintergrund haben und auch nicht haben können.
BdgF: Wenn Geist und Gehirn zu verschiedenen Epistemologischen Welten gehören, welcher Art ist dann die „Korrespondenz“ zwischen ihnen, die Sie erwähnt haben?
GV: Gute Frage! Die Vorstellung der „Korrespondenz“ hat keinerlei ontologischen Hintergrund. Der Hauptbegriff aus der Perspektive der EVWs, die Korrespondenz, bezieht sich also auf die epistemologisch unterschiedlichen Entitäten, die zu den EVWs gehören. Wie auch immer, die Korrespondenz zwischen einem mentalen Zustand und einigen neuronalen Aktivierungsmustern ist und bleibt eine sehr ungefähre Vorstellung. (Wir müssen berücksichtigen, dass ein mentaler Zustand nicht nur einem neuronalen Aktivierungsmuster und der Aktivierung bestimmter Neuromodulatoren und Neurotransmitter entspricht, sondern auch der Aktivierung bestimmter elektromagnetischer Wellen – mit unterschiedlichen Frequenzen – im Gehirn).
BdgF: Wie lautet also zusammengefasst Ihre Lösung des Geist-Gehirn-Problems?
GV: Ich habe Geist-Gehirn-Problem in dem Sinne „gelöst“, als ich gezeigt habe, dass es sich dabei um ein Pseudo-Problem handelt. Der Geist ist eine EW und das Gehirn (bzw. der Körper) ist eine Entität in einer anderen EVW, der Makro-EW. Da der Geist nicht für das Gehirn existiert und das Gehirn nicht für den Geist, ist es sinnlos, nach der Beziehung zwischen Geist und Gehirn zu fragen.
BdgF: Herr Professor Vacariu, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
*
Prof. Gabriel Vacariu lehrt am Fachbereich Philosophie an der Universität in Bukarest Philosophie des Geistes, kognitive Neurowissenschaften, Epistemologie und Wissenschaftsphilosophie. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Auf deutsch ist von ihm erschienen: Die Relativität von „Welt“: Wie Pseudoprobleme in den Neurowissenschaften, der Psychologie und der Quantenphysik durch EDWs zu vermeiden sind, Springer 2016.
Für die jungen Leute ist es selbstverständlich andere „im Netz“ kennenzulernen, zu treffen oder zu „daten“. Da wird dann vorher erst mal per App abgecheckt, ob der oder die andere auch zur eigenen Peergroup gehört. Jedenfalls stelle ich mir das in meiner Ahnungslosigkeit ungefähr so vor. Meine Generation ist da noch anders gepolt. Bei uns musste das Leben noch ohne Netz funktionieren (manchmal tut es das auch heute noch) und Begegnungen waren nicht planbar und hatten daher immer auch etwas schicksalhaftes.
Manchmal kommt aber auch beides zusammen. Ich stieß vor kurzem bei Facebook auf die Seite eines Philosophieblogs und da fiel es mir gleich ins Auge: Bieri-Trilemma, Qualia, Geist-Gehirn-Problem… Das sind doch auch Schwepunktthemen bei mir. Dann – ganz modern per Skype – mit dem Blogger Kontakt aufgenommen und es stellte sich heraus: Es gibt noch mehr Parallelen. Alter, Beruf, früherer Berufswunschn, Interessen… Gleiche Peergroup, ganz ohne App.
Natürlich nicht wirklich ein Doppelgänger. Die Themen behandelt Dirk Boucsein auf seinem Blog „philosophies“ aus einer ähnlichen Perspektive, aber nicht derselben. Grund genug jedenfalls, ihm die „großen Fragen“ zu stellen.
Wofür lassen Sie alles stehen und liegen?
Wenn es etwas Leckeres zu essen oder zu trinken gibt. Draußen die Sonne scheint. Oder am besten, wenn alle drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind. Also draußen picknicken im Sonnenschein.
Welche Themen interessieren Sie am meisten?
Die Grenzbereiche zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, weil ich selber aus so einem Grenzbereich komme und nie verstanden habe, warum man eine solche Grenze gezogen hat. Zum Beispiel im Bereich der Philosophie des Geistes und seiner Schnittstelle zur Neuro- und Kognitionswissenschaft wird ganz klar deutlich, dass die eine Wissenschaft ohne die andere gar nicht kann und im höchsten Maße Interdisziplinarität gefragt ist.
Welcher Wissenschaftler fasziniert Sie besonders?
Eigentlich keiner, höchstens Stephen W. Hawking, aber eigentlich eher wegen seiner Lebensgeschichte. Dass es ihm trotz – oder gerade wegen – seiner ALS-Erkrankung gelungen ist, sich über sein Schicksal hinweg zu setzen und solch große Leistungen im Bereich der Theoretischen Physik erbracht hat. Hawking hat mal gesagt, dass er aufgrund seiner motorischen Erkrankung gezwungen war bildlich statt sprach-schriftlich zu denken. Das fand ich sehr interessant und inspirierend auch hinsichtlich der Funktionsweise unseres Gehirns.
Und welcher Philosoph?
Wenn überhaupt dann Michel Foucault und seine anderen Kumpels vom französischen Poststrukturalismus (Derrida, Deleuze, Lacan), weil ich hier in der Diskursanalyse während meines Studiums zum ersten Mal ein passendes Werkzeug gefunden habe, um zum Beispiel Macht- und Wissensfrage (gehört ja zusammen: Wissen ist Macht 😉 besser untersuchen zu können. Das hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und jetzt vermute ich hinter allem eine Struktur (just kidding).
Welche drei Bücher würden Sie den Lesern des Blogs der großen Fragen empfehlen?
Puh, schwierig sich auf 3 Bücher zu reduzieren. Aber dann würde ich tatsächlich mal die drei nehmen, die ich zur Zeit auch immer mal wieder in die Hand nehme und die auch nicht Gefahr laufen langweilig zu werden: 1. Michel Fouault, Archäologie des Wissens 2. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode und 3. Stephen W. Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit.
Welche Musik mögen Sie?
Eigentlich fast alles, aber hauptsächlich Depeche Mode.
Auf welchem Gebiet herrscht heutzutage die größte Unwissenheit?
Die größten Entdeckungen sind meines Erachtens noch im Bereich der Hirn- und Kognitionsforschung zu erwarten, da wir von der adäquaten Beschreibung der Funktionsweise unseres Oberstübchen noch Lichtjahre entfernt sind. Wir wissen noch viel zu wenig, wie der Geist in die Flasche oder besser gesagt in die Materie kommt. Sehr spannendes Thema, das aber auch leider mit sehr viel Unwissenheit verknüpft ist. Besonders die Hybris des Materialismus/Physikalismus des naturwissenschaftlichen Lagers macht die Sache nicht einfacher, sondern führt zu populärwissenschaftlichen Fehldeutungen.
Was macht eine Frage bedeutend?
Dass sie etwas Existenzielles besitzen muss. Reine Scholastik ist langweilig und ermüdend. Sie muss der Impuls für neue Fragen sein und am besten noch eine Auswirkung auf das reale Leben haben.
Eine Fee verspricht Ihnen die Antwort auf eine beliebige Frage. Was fragen Sie?
Bist du echt? Ne, verdammt, dann ist sie wahrscheinlich schon weg. Dann vielleicht: „Was passiert mit mir, wenn ich tot bin?“
Wo sehen Sie Grenzen menschlicher Erkenntnis?
Die sind aus meiner Sicht sehr schnell erreicht. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen zu behaupten, alles, was wir erkennen können, sind wir selbst. Also im Sinne Hans Blumenbergs als postulierter Anthropozentrismus finden wir bei all unseren Forschungen zu der Wirklichkeit und den letztendlich absoluten Wahrheiten nur uns selber immer wieder. Ich will nicht soweit gehen und von Solipismus sprechen, aber wenn einer mit absoluten Wahrheiten gerade in der Ontologie und Epistemologie daherkommt, werde ich immer sehr skeptisch.
Jemand erklärt Ihnen, die Frage nach Gott sei belanglos. Was antworten Sie?
Okay, kein Problem oder besser gesagt, Dein Problem. Wir sprechen uns wieder, wenn der Sensenmann an der Tür klopft. Ich halte Glauben für etwas sehr Persönliches um nicht zusagen Privates. Ich gebe offen zu, auch wenn es momentan moderner ist Atheist zu sein, dass ich zum Glauben an Gott gefunden habe. Ich habe nur weiterhin meine Probleme mit der Kirche.
Welche Bedeutung hat der Tod für Sie?
Oh, ich glaube, das ist aus meinen vorherigen Antworten ablesbar. Ich will mich nicht wiederholen, sondern nur ergänzen, dass der Tod etwas Elementares im Leben darstellt. Er hat zunächst einmal etwas Finales und macht aus diesem Grunde, das Leben und Erleben aber umso kostbarer. Ich habe nicht das Ziel sehr alt zu werden, eher nach der Devise: kurz und heftig als lang und langweilig. Also, wenn es soweit ist, will ich sagen: „Ich habe gerne gelebt, jetzt reicht es aber auch.“ PS: „Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder ;-)“
Der Nimbus der Weisen und Gelehrten speiste sich früher zum großen Teil aus deren Fähigkeit Antworten zu geben. Im Zeitalter von Google und Co. hat sich das relativiert. Man bekommt heute in Sekundenbruchteilen Antworten auf fast jede Frage, wenn auch nicht immer wirklich zufriedenstellende.
Etwas können Suchmaschinen aber nicht: selbst Fragen stellen. Neugierig sein und fragen – das bleiben menschliche Eigenschaften und sie sind es auch, die die Wissenschaft voranbringen.
Da ist es sicher kein Fehler, wenn ein Buch das Fragen in den Vordergrund rückt, so wie das neuste Werk des Physikers Ilja Bohnet: Die 42 größten Rätsel der Physik. In zwölf Kapiteln geht es um offene Probleme von der klassischen Physik bis zur Kosmologie. Von fachspezifischen Fragen nach der dunklen Materie oder dem Higgs-Feld über Fragen nach der Natur der künstlichen Intelligenz bis hin zu philosophischen Problemen wie „Ist die Natur überhaupt durch Physik beschreibbar?“ ist alles vorhanden. Und: Vieles hängt überraschenderweise miteinander zusammen.
Ilja Bohnet hat dazu 2 mal 42 Gespräche mit insgesamt 69 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt. Ich hatte die Gelegenheit mit ihm über sein Buch zu sprechen.
Blog der großen Fragen:Herr Bohnet, von Max Planck, einem der Begründer der Quantentheorie, wird folgende Anekdote erzählt: Ihm wurde im Alter 16 Jahren von dem Münchner Professor Philipp von Jolly geraten, seine Begabung nicht an ein Physikstudium zu verschwenden, da in dieser Wissenschaft keine wesentlichen Entdeckungen mehr zu erwarten seien. Von Jolly war selbst Physiker. Im Nachhinein muss man sagen: Eine grandiose Fehleinschätzung.
Ilja Bohnet:Eine wunderbare Anekdote, die verdeutlicht, wie vorsichtig man mit Prognosen und Aussagen über die Zukunft sein muss. Dem Physiker Niels Bohr wird folgender Satz zugeschrieben: „Prediction is very difficult, especially if it’s about the future.“ Es ist nicht ganz klar, ob er das wirklich gesagt hat, aber der Satz drückt eine herrlich-selbstironische Vorsicht gegenüber Zukunftsaussagen aus. Der Historiker Joachim Radkau beschäftigt sich in seinem Buch „Geschichte der Zukunft“, wie sich technisch-wissenschaftlich-gesellschaftliche Zukunftsvisionen in den vergangenen hundert immer wieder aufgelöst und verändert haben. Er formuliert drei Prämissen, wie man auf und in die Zukunft schauen sollte: 1. Erwarte das Unerwartete. 2. Prüfe stets die Prämissen von Prognosen aufs Neue, statt Endzeitszenarien oder fantastischen Utopien anzuhängen. 3. Beachte, bei Kurzzeitprognosen das Trägheitsgesetz des Bestehenden nicht außer Acht zu lassen, während bei Langzeitprognosen stets mit überraschenden Wendungen zu rechnen ist.
Das hätte vielleicht auch von Jolly bedenken sollen, als er seine Fehleinschätzung kundtat, dass es im Grunde unmöglich sei, in der Physik Neues zu finden. Als Autor auch von belletristischer Literatur sei mir erlaubt, in diesem Zusammenhang noch einen Altmeister der Science-Fiction zu zitieren, nämlich Arthur C. Clarke, der gesagt hat: „Stellt ein erfahrener distinguierter Wissenschaftler fest, dass etwas möglich ist, dann hat er fast mit Sicherheit recht, behauptet er etwas sei unmöglich, dann hat er sich sehr wahrscheinlich geirrt.“
BdgF:Die Geschichte ist rund 150 Jahre alt. Wie schätzen die heutigen Physiker die Situation ein?
IB: Einerseits ist die Situation eine ganz andere als damals, andererseits gibt es durchaus Parallelen, die einen nachdenklich stimmen.
Zuerst zu den Unterschieden: Der heutige Wissenschaftsbetrieb ist in einer Weise ausdifferenziert, wie das in der Zeit von Philipp von Jolly und Max Planck bestimmt nicht vorstellbar war. Mit der Relativitätstheorie und der Quantenphysik erschließt sich im 20. Jahrhundert erstmals ein umfassendes physikalisches Weltbild, das sich vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos erstreckt – vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Großen. Es lässt sich durchaus beobachten, dass Teildisziplinen stagnieren und andere Bereiche für die Wissenschaftler wie ein Eldorado erscheinen. Ein Beispiel für eine mir sehr lebendig und prosperierend erscheinende Wissenschaftsdisziplin ist die Biophysik und die Physik der Aktiven Materie, worin Strukturen, Funktionsweisen und Dynamiken von Makro- und Biomolekülen untersucht werden. Die Teilchenphysik als Vertreterin der „Big Science“, also der Forschung, die auf großen Teilchenbeschleuniger beruht und nur mit beträchtlichen Aufwand betrieben werden kann, hat zurzeit tatsächlich ein gewisses Problem, weil einfach die instrumentellen Möglichkeiten, neue Entdeckungen zu machen, in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden sind. Möglicherweise reichen die Energien auch zukünftiger Teilchenbeschleuniger nicht aus, um die fundamentalen Fragen jenseits des Standardmodells zu untersuchen. Andererseits kann der Schlüssel zum Öffnen der verborgenen Türen auch in der Steigerung der Präzision bestehen, was schon Hermann von Helmholtz wusste, der als Vollender der klassischen Physik und Begründer des modernen Wissenschaftsbetriebs gilt. In der Wissenschaft werfen Präzisionsmessungen stets neue Fragen auf und liefern auch Antwort darauf. Überdies öffnen sich immer wieder und unerwartet auch ganz neue Fenster: Mit den neuen Gravitationswellendetektoren zum Beispiel ergeben sich für die Astroteilchenphysik völlig neue Möglichkeiten, unser Universum zu untersuchen, und vielleicht erstmals auch die Gravitation wirklich verstehen zu lernen.
Wie auch immer: Ich habe für mich noch keine völlig befriedigende Antwort auf diese wirklich spannende Frage gefunden, und auch in dem Buch „Die 42 größten Rätsel der Physik“ behandle ich sie nur am Rande und indirekt. Ich will mich ihr aber noch einmal dezidiert widmen, wie überhaupt der Frage nach der „Zukunft der Physik“, und zwar zusammen mit meinem Physikerkollegen Thomas Naumann, der bereits bei den „42 Rätseln“ ein sehr wichtiger Gesprächspartner für mich gewesen ist.
Physiker, Sachbuch- und Krimiautor: Ilja Bohnet
BdgF: Kommen wir also zu Ihrem Buch über die 42 größten Rätsel der Physik. Warum ein Buch über Rätsel? Gibt es nicht genug spannende Antworten in der Physik?
IB: Ich finde, Sie geben in Ihrer Einführung zu diesem Gespräch bereits einen ganz wunderbaren Hinweis darauf, dass man sich einem Thema durch das Fragenstellen sehr schön nähern kann – was uns Menschen nämlich möglich ist, im Gegensatz zu technisch zwar ausgefeilten, aber ansonsten stupiden Suchmaschinen (ein tolles Bild, das muss ich mir merken).
Und auch schon Hermann von Helmholtz sagte, dass man die richtigen Fragen stellen muss, um den Dingen wirklich auf den Grund gehen zu können. Tatsächlich aber stammt die Idee zu den „42 größten Rätseln der Physik“ von meinem Verleger Sven Melchert vom Kosmos-Verlag. Mir schwebte zunächst einmal ein Physikbuch vor, dass sich mit interessanten Phänomenen aus unserem Alltag beschäftigt, etwa ein Buch, das nach „99 spannenden Phänomenen in der Küche“ fragt (abseits verrückter Kochrezepte).
Aber ein Buch, das sich mit den fundamentalen Rätseln beschäftigt? Die Idee erschien mir verwegen, fast unlösbar. Wie kann ich denn ein Buch über fundamentale Rätsel schreiben, die ich selber gar nicht begreife? Tatsächlich hat sich aber das Konzept des Buches, das auf Gesprächen mit entsprechenden Fachexperten beruht (Männer wie Frauen) sehr bewährt, finde ich. Die Wissenschaftler haben überhaupt nicht verwundert reagiert auf meine Anfragen. Im Gegenteil, allen war klar, da stellt jemand völlig berechtigte Fragen, Fragen, die an den Rand unseres Wissens führen (auch an den Rand des Wissens der Fachexperten). Bereitwillig haben sie über die Rätsel gesprochen, über das was man weiß, über das, was man nicht weiß, und über das, worüber sich nur spekulieren lässt. Und mir hat es einen Riesenspaß bereitet, diese Fragen zu stellen. Mir selbst war wichtig, den Lesern (Erwachsene, Mädchen und Jungs, jedem, der das Buch in die Hände bekommt) im Rahmen kleiner Einführungen in die jeweiligen Teildisziplinen ein „Geländer“ zu handreichen, an dem sie sicher entlanggeführt werden. Deshalb sind den zwölf kanonischen Teilgebieten der Physik, auf die sich die 42 Rätselragen verteilen, ganz kurze prägnante Einführungen vorangestellt.
BdgF:42 Rätsel – und das sind nur die „größten“. Eine stattliche Zahl. Wenn man populärwissenschaftliche Bücher liest, könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, es gebe nur noch ein großes Rätsel: Wie schafft man die Vereinigung von Quanten- und Relativitätstheorie? (In Ihrem Buch ist es Frage Nummer 6.) Wenn das gelänge, hätte man die sogenannte „Weltformel“ und könnte alle wichtigen Fragen beantworten. Eine zu grobe Darstellung?
IB: Selbstverständlich sind „die 42 größten Rätsel der Physik“ auch bloß eine Auswahl, wenngleich eine, die auf die „großen“ Fragen in der Physik fokussiert.
Ein Schwerpunkt auf Quantengravitation und Weltformel wäre tatsächlich eine zu grobe Vereinfachung unseres Problems. Aus mehreren Gründen. Erstens suggeriert eine solche Zusammenfassung, dass alles Rätselhafte, Fundamentale lediglich in teilchenphysikalisch-kosmologischen Zusammenhängen zu suchen ist. Das schließt gewissermaßen andere Bereiche der Physik aus, wie die Festkörperphysik oder die Materialforschung. Sicher, über den Begriff „fundamental“ lässt sich streiten, und ich setze mich damit in meinem Buch, wenn auch nur kurz, auseinander. Aber irgendwie stört mich die Hierarchie, die mit dieser Zusammenfassung und dem Begriff „Weltformel“ verbunden ist. Als seien alle anderen Fragestellungen in anderen Teildisziplinen zweitrangig.
Zudem habe ich auch ein Problem mit dem Begriff „Weltformel“. Jedenfalls glaube ich, dass man mit diesem Begriff vorsichtig umgehen muss. Der Begriff ist sehr populär, richtig, aber was sich tatsächlich dahinter verbergen soll, ist eigentlich nicht klar, geschweige denn, ob sich ein erkenntnistheoretisch erreichbares Ziel damit verbindet. Eine Quantengravitation wäre zweifellos ein unglaublicher Fortschritt im Zusammenhang mit einer Grand Unified Theory (GUT), sozusagen das Zusammenführen aller Kräfte auf eine Ur-Kraft, unvorstellbar! Aber das wäre meines Erachtens noch lange nicht das, was man gemeinhin unter einer Weltformel versteht. Mal abseits der Frage, ob es nicht tatsächlich prinzipielle Gründe gibt, weshalb sich Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenphysik nicht vereinigen lassen.
BdgF:Das heißt: Wenn „Weltformel“ bedeuten soll, dass diese Formel die gesamte Welt erklärt und keine Fragen mehr offenlässt, dann wäre die Quantengravitation definitiv keine Weltformel, selbst wenn sie gelänge?
IB: Richtig, mit der Quantengravitation wären wir der Möglichkeit einen sagenhaften Schritt nähergekommen, die vier fundamentalen Wechselwirkungen (elektromagnetische Kraft, schwache Kraft, starke Kraft, Gravitation) zu einer Ur-Kraft zu vereinen. Aber damit hätten wir, soweit ich das überblicken kann, mitnichten eine Weltformel. Viele Fragen wären nach wie vor ungeklärt. Die Materie-Antimaterie-Asymmetrie. Der Ursprung der fundamentalen Naturkonstanten. Die Bedeutung des Higgs-Felds. Oder Erklärungen für Dunkle Materie oder Dunkle Energie. Um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen.
BdgF:Gibt es für Sie unter den 42 Rätseln ein Lieblingsrätsel, eines das Sie besonders fasziniert?
IB: Ich weiß nicht, ob ich wirklich die eine Lieblingsfrage habe. Aber doch, es gibt ein paar, die mich ganz besonders faszinieren.
Zum Beispiel die Frage „Was ist Leben“, verbunden mit der Frage „Was ist der Ursprung des Lebens?“ Diese Fragestellung, von Emil Du Bois-Reymond vor mehr als 150 Jahren aufgeworfen, finde ich schon sehr spannend und erstaunlich (auch, weil man sie der Biophysikerin Petra Schwille zufolge im Grunde auch heute noch nicht zufriedenstellend beantworten kann). Offenbar steckt hinter dem Leben ein Selbstorganisationsprinzip, das viel mit der Physik von Turbulenzen zu tun hat, aber das heutige Wissen weist möglicherweise noch nicht ausreichend über die Thermodynamik des 19. Jahrhunderts hinaus, um diese Fragestellung wirklich universell beantworten zu können.
Besonders faszinierend und spannend finde ich tatsächlich auch die Frage, weshalb es noch keine Physik der Quantengravitation gibt, obwohl doch Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenphysik für sich genommen so wunderbar funktionieren. Sie ist auch verknüpft mit den Fragen nach Raum und Zeit. Mir erscheint es sehr plausibel, dass Raum, Zeit und Materie aus einer zugrundeliegenden Quantenrealität heraus entstehen.
Ebenso wichtig die Frage nach der Materie-Antimaterie-Asymmetrie (der wir alle unser Leben verdanken). Auch die Frage nach dem Higgs-Feld mag ich besonders gerne, weil dieses skalare (richtungslose) omnipräsente Feld, das merkwürdig an die Quintessenz der alten Griechen und den Äther der Klassischen Physik erinnert, wirklich merkwürdig anmutet. Irgendwie drängt sich einem doch das Gefühl auf, dass da noch etwas fundamental unverstanden ist. Die Frage nach dem Anfang und dem Ende des Universums finde ich ebenfalls sehr gelungen, weil es für mich eine sehr knappe, kondensierte Zusammenfassung der Entwicklung des Universums auf wenigen Seiten darstellt. Nicht zu vergessen die Frage nach…
Nein, ich höre jetzt auf, ertappe ich mich doch dabei, wie ich mir sämtliche Fragen in Erinnerung rufe und mich daran erfreue. Vielleicht nur noch so viel: ich bin mit der Auswahl der Fragen, die ich nach eingehender Auswertung von einschlägiger Literatur zu Beginn des Buchprojekts vorgenommen habe, sehr zufrieden. Zuweilen stoße ich heute auf Artikel, in denen Rätsel und große Fragen der Physik thematisiert werden, und bisher habe ich dabei noch keine Fragestellung angetroffen, die sich nicht in irgendeiner Form in meinem Fragenkatalog wiederfindet – was allerdings auch daran liegt, dass meine Frage teilweise sehr generisch gestellt sind und eine Vielzahl von Teilfragen miteinbeziehen.
BdgF:Eine der Fragen in ihrem Buch lautet: „Wie sieht es hinter dem kosmischen Horizont aus?“ Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: Wir können es nicht wissen. Liest man jedoch Hawking und andere, scheint es ausgemachte Sache zu sein, dass dort draußen ein Multiversum existiert. Wer hat nun recht?
IB: Nun, eine salomonische Antwort auf Ihre Frage könnte lauten: Wir können nicht wissen, ob Stephen Hawking recht hat. Da ist tatsächlich was dran. Fragen nach der kosmischen Zensur (rund um Singularitäten in schwarzen Löchern) oder nach dem kosmischen Horizont (Sichtbarkeit des Universums vor dem Hintergrund der limitierten Ausbreitungsgeschwindigkeit von Signalen, nämlich der Lichtgeschwindigkeit) oder nach dem Kopernikanischen Prinzip (hat die Erde eine ausgewählte Position im Universum oder nicht) sind irgendwie auch akademischer Natur. Es sind theoretische Fragen, von denen wir wissen, dass sie sich teilweise einer konkreten Beantwortung auf immer entziehen werden.
Aber ich gebe unumwunden zu, dass ich hier fremdes Terrain betrete. Zudem bin ich mir bewusst, dass letztlich alle Fragen gestellt werden dürfen, und man immer wieder überrascht ist, dass auch abwegig erscheinende zuweilen zu überraschenden Antworten führen. Mein Buch schneidet solche Fragen an, aber sie stellen keinen Schwerpunkt dar, es sind bloß einige der Fragen im Katalog der 42 größten Rätsel entlang der zwölf Teildisziplinen.
BdgF: Sie sagen: „Es sind theoretische Fragen, von denen wir wissen, dass sie sich teilweise einer konkreten Beantwortung auf immer entziehen werden“. Wird damit nicht die Grenze zwischen Physik und Metaphysik überschritten? Oder provokativ gefragt: Wenn man das Wort „theoretisch“ streicht, dann könnte man diese Formulierung doch ebenso auf die Frage nach Gott beziehen?
IB: Das ist eine sehr schwere Frage. Ja, eine grundsätzlich unerklärliche Frage, die physikalisch aus fundamentalen Gründen nicht erklärbar ist, führt notgedrungen in das interessante Spannungsfeld von Wissenschaft und Glaube. Prinzipiell vertrete ich die sogenannte ›Zwei-Reiche-Theorie‹, genau wie mein Gesprächspartner Thomas Nauman, mit dem ich bei der Frage 41 nach Sinn und Zweck der Evolution über diesen Kontext gesprochen habe. Thomas führt Jesus Christus und die Evangelien an: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“. Im Sinne von: „Gebt dem Wissen, was des Wissens ist, und dem Glauben, was des Glaubens ist.“ Nun ist vielleicht ein Streitpunkt, was als grundsätzlich unerklärliche Frage gelten darf. Bestimmt die Frage, was war vor dem Urknall? Bei der Frage nach dem Kosmischen Horizont bin ich mir schon nicht mehr so sicher.
Der Religionswissenschaftler Michael Blume, den ich ebenfalls zu der Frage nach Sinn und Zweck der Evolution befragt habe, gibt noch eine andere interessante Antwort: Er erinnert an den Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewirkt hat. Ein Kirchenmann, der Evolutionsforschung betrieb und bedeutsame Fossilien entdeckte. Laut Blume war für Chardin die Evolution des Lebens ein großer Prozess, der mit Gott begonnen hat und am Ende auch wieder mit Gott enden wird – der große Pilgerweg Gottes, bei dem das Universum von ihm ausgeht und sich am Ende der Zeit wieder in ihm sammelt und zu ihm zurückkehrt. Gott quasi am Anfang und am Ende des Universums. Die Zeit dazwischen lässt sich physikalisch begreifen, aber die Vorstellung des göttlichen Geistes, der Raum und Zeit geschaffen hat, ist physikalisch nicht überprüfbar. Damit ist aber für Blume im Sinne Pierre Teilhard de Chardins ein göttlicher Geist außerhalb von Raum und Zeit durchaus denkbar.
BdgF:Man merkt Ihrem Buch die Liebe zum Detail an, auch bei der Einteilung: 42 Fragen in 12 Kapiteln. Wobei die 42 nicht nur eine Anspielung auf Douglas Adams ist, sondern mit der Summe seiner Primfaktoren 2, 3 und 7 auch die Anzahl der Kapitel in sich trägt. Das klingt ein bisschen nach Numerologie. Außerdem gibt es im Einband einen Ouroboros, eine mythische Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Und dass an der Stelle, wo der Mikrokosmos in den Makrokosmos übergeht. Wie oben, so unten? Steckt in Ihnen auch ein Mystiker?
IB:Tatsächlich hat mir die Zahl 42 und die Primfaktorzerlegung in 2, 3 und 7 bei der Erstellung der Gliederung des Buches extrem geholfen. Mein Anspruch war ja von Beginn an, fundamentale Fragen über sämtliche physikalischen Teilgebiete hinweg zu stellen. Und ich muss zugeben, dass ich auf meine Auflösung des Douglas Adams’schen Rätsels hinsichtlich der Bedeutung der Zahl 42 sehr stolz bin. Aber ich werde, wie so oft, von meinen Fachkollegen eines Besseren belehrt, in diesem Fall von Thomas Lohse, der mir erklärt, dass die Zahl 42 keine besondere natürliche Zahl ist, sondern dass jede natürliche Zahl besonders ist. Er führt einen kleinen mathematischen Beweis durch, den ich jetzt hier nicht wiederholen möchte, mich aber sehr erstaunt und auch Eingang ins Buch gefunden hat (wobei ich nicht sicher bin, ob nicht die von Leonardo Fibonacci im Mittelalter eingeführte Null nicht doch eine ganz besondere Zahl ist, jedoch ist sie formal betrachtet keine natürliche).
Und auch der von Ihnen angesprochene Ouroboros, die mystische Schlange, die sich in den Schwanz beißt und den Kreislauf des Universums symbolisiert, ist ein wunderbares Bild, finde ich. Meines Wissens wurde diese in verschiedenen Mythologien verwendete Schlange in der modernen Kosmologie als erstes von dem britischen Astrophysiker Martin Rees benutzt, um das Zusammenspiel des Allerkleinsten (Mikrokosmos) mit dem Allergrößten (Makrokosmos) zum Ausdruck zu bringen. Aber richtig ist auch, dass man bei dem Spiel mit Mystik aufpassen muss, denn auch Esoteriker greife immer wieder gerne auf Bilder dieser Art zurück, und es gibt zuweilen sogar noch unangenehmere Griffe nach Zahlenmystik und Symbolen, insofern auf dem Teppich bleiben.
Letztlich gefällt mir das ironische Spiel mit solchen Zahlen, dass sich auch bei Douglas Adams findet: die Frage nach „dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ wird mit „42“ beantwortet, eine bessere Antwort gibt es einfach nicht.
BdgF:Ihr Buch bietet einen kompakten Überblick über die aktuelle Physik und ihre Grenzen. Aber Sie haben bereits neue Pläne. Sie wollen an einigen Stellen in die Tiefe gehen.
IB: Richtig, bei meinem aktuellen Buchprojekt, das ich zusammen mit Thomas Naumann verfolge, wollen wir gemeinsam insbesondere die oben angesprochenen kosmologischen Fragestellungen vertieft weiterverfolgen, und auch das Stichwort Multiversum wird darin fallen (mir raucht schon der Kopf). Wir werden aus dem Potpourri der 42 Fragen gewissermaßen die 7 kosmologischen Welträtsel herausdestillieren und vertieft diskutieren. Ich kann und darf noch nicht sehr viel verraten, bloß so viel: Ich wage zu behaupten, dass wir ein paar Thesen formulieren, die sich gemeinhin in populärwissenschaftlicher Literatur über die Kosmologie in der Weise nicht vorfinden. Auch, weil wir uns dabei einer Metaphysik im positiven Sinne stellen wollen. Also kurz und unbescheiden: Es wird ein Knüller!
BdgF: Herr Bohnet, vielen Dank für dieses interessante Gespräch!
Zum Autor:Ilja Bohnet hat in Physik promoviert und arbeitet als Forschungsbeauftragter bei Deutschlands größter Wissenschaftsorganisation, der Helmholtz-Gemeinschaft. Er schreibt Sachbücher, aber auch Kriminalromane und Kurzgeschichten. Außerdem betreibt er einen persönlichen Blog.
Was die Feinabstimmung des Universums über einen Schöpfer aussagt – und was nicht
Feinabstimmung – Warum haben die Naturkonstanten die Werte, die sie haben?
Heute mal eine gute Nachricht für Atheisten: Das Online-Jugendmagazin von WeltN24 mit dem klangvollen Namen kmpkt nahm sich unlängst dieser diskriminierten Glaubensgemeinschaft an. Der Beitrag „Das Universum scheint extra für uns gemacht zu sein“ spricht offen die Anfechtungen an, denen Atheisten immer auf’s neue widerstehen müssen. Und er zeigt schonungslos die scheinbar übermächtigen Gegenargumente, denen die Gottlosen wieder und wieder ausgesetzt sind. Es geht – Sie ahnen es – um die Feinabstimmung des Universums. „Mindfuck“ für Atheisten weiterlesen
Das Zitat im April – Leonhard Euler (Foto: screenshot YouTube)
Heute vor 310 Jahren wurde der Mathematiker Leonhard Euler geboren. Ein Streitgespräch über die Existenz Gottes mit dem französischen Gelehrten Denis Diderot soll er durch diesen Satz erfolgreich beendet haben. Haben Mathematiker einen besonderen Zugang zu Gott?
Die sprachlich einfachen Fragen sind oft die schwierigsten und zugleich die bedeutendsten. Zum Beispiel: Existiert Gott? Die Größe der Bedeutung dieser Frage wird allenfalls noch durch ihr Maß an Unschärfe übertroffen, denn weder ist klar, wer oder was „Gott“ sein soll noch, was in seinem Zusammenhang mit dem Begriff „Existenz“ gemeint sein könnte.
So ist es kein Wunder, dass die Feststellung, weder die Existenz noch die Nichtexistenz Gottes sei beweisbar, inzwischen zu einer Binsenweisheit geworden ist und verschiedene Gruppen unterschiedlichen Gottesvorstellungen huldigen.
In jüngerer Zeit organisiert sich in diesen Zusammenhang eine weitere Gruppe: die Atheisten. Natürlich brauchen auch sie, so wie die anderen Gruppen, ein Alleinstellungsmerkmal. Abgesehen davon, dass sie natürlich jedwede Gottesvorstellung ablehnen, besteht es darin, dass sie nur das glauben, was sie als „bewiesen“ betrachten. Daher sind Atheisten in der Regel wissenschaftsnah. Sie lehnen bildhafte, mythologische Darstellung ab und bevorzugen in Diskussionen klar definierte, wissenschaftliche Begriffe.