Wie entsteht Bewusstsein? Nicht zum ersten (und sicher auch nicht letzten) Mal stellten wir beim Zoomposium diese Frage einem Experten. Der Psychiater und Philosoph Prof. Dr. Thomas Fuchs versucht sich der Antwort ganzheitlich zu nähern. Er kritisiert den herrschenden Neurokonstruktivismus und Vertritt die Ansicht, dass Bewusstsein nur zu verstehen ist, wenn man den Körper und seine Funktionen viel stärker berücksichtigt, als das gemeinhin der Fall ist (Theorien der Verkörperung (Embodiment) und des Enaktivismus).
Außerdem sprachen Dirk Boucsein von philosophies.de und ich mit ihm über die Ansichten des israelischen Historikers Yuval Harari („Homo Deus“), die Veränderung der Gesellschaft durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Medizin und Justiz und die Frage, wie die KI von Google-Lambda einen Anwalt verlangen konnte, um gegen ihr Abschalten vorzugehen.
Hier geht es zum vollständigen Zoomposium-Interview. Wer sich zuerst einen Eindruck verschaffen möchte, kann sich wie immer zuerst hier unseren circa fünfminütigen Teaser anschauen.
Prof. Dr. Thomas Fuchs ist Leiter der Sektion „Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie“ der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, Forschungsstellenleiter der Karl Jaspers-Gesamtausgabe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Phänomenologische Anthropologie, Psychiatrie und Psychotherapie (DGAP).
Der ganzheitlichen Sicht des Menschen, des Organismus, des Lebens ist unumwunden zuzustimmen. Ebenso der Kritik des Reduktionismus, der Erklärungen in immer kleineren Elementen sucht.
Ebenso der Sichtweise, dass unser Erleben in der phylogenetischen Folge von – ich nenne es – Sensibilität gegenüber Umwelt steht, das eben bei uns nerval basiert ist (insofern löst sich das hard problem of consciousness für mich weitgehend auf). Und natürlich der Aussage, dass unsere höheren kognitiven Fähigkeiten uns vorspielen, es handele sich dabei um eine eigene Entität.
Wenn Herr Fuchs sagt, der Körper wäre am Bewusstsein mittels Rückkopplungsschleifen beteiligt, klingt das nicht mehr unmittelbar so, als würde Bewusstsein im ganzen Körper generiert, sondern eben im Gehirn. Was ja auch plausibel ist, denn dort laufen alle Sensoren zusammen, bündeln Körper- und Umwelteindrücke und komprimieren dort jene zuvor genannte Sensibilität. Jedenfalls scheint er nicht der naiven Vorstellung anzuhängen, Bewusstsein entstehe auch in der Leber. Am Ende scheint es aber eher eine sophistische Spielerei zu sein, wie weit Bewusstsein über das Gehirn hinausreicht.
Wichtig scheint mir die Betonung der Subjekthaftigkeit von Leben im Sinne von Subjekt seiner Selbsterhaltung, die es von der ‚toten‘ Materie grundlegend unterscheidet und nur als Subjekt, als Emergenz, als Struktur verstanden werden kann.
Und genau von dieser Subjekthaftigkeit hängt es ab, inwieweit es gelingt, Maschinen Bewusstsein, also Subjekthaftigkeit, zu verschaffen. Die gängige KI hat damit jedenfalls nichts zu tun.
Was mir fehlt, ist der Bezug zur therapeutischen Praxis. Wie setzt sich Verkörperung dort um. Und wie funktioniert mentale Beeinflussung nach den Vorgaben fernöstlicher Heilmethoden, die ja den ‚Geist‘ einsetzen, um den Körper zu heilen.
Ein erfrischender Vortrag.
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“Was mir fehlt, ist der Bezug zur therapeutischen Praxis. Wie setzt sich Verkörperung dort um.”
Fuchs hat sich dazu wohl nicht geäußert da er schlicht nicht danach gefragt wurde.
Die phänomenologische Psychopathologie hat historische Wurzeln (siehe u.a. die Schriften von Psychiatern wie Blankenberg, Minkowksi, oder Jaspers) und findet auch heute ihre Anwendung (siehe u.a. die Schriften von Fuchs, Louis Sass, Josef Parnas, oder auch die ganze Truppe aus Kopenhagen – center for subjectivity research).
Für die Praxis wurden u.a. semi-quantitative Checklisten wie EASE (https://www.karger.com/Article/Abstract/88441) oder EAWE (https://www.karger.com/Article/Abstract/454928) entwickelt.
Diese Checklisten versuchen das subjektive Erleben des Menschen/Patienten besser zu berücksichtigen als die üblichen kognitiv-behavioralen Checklisten die Erleben und Verhalten wiederum in objektive Konstrukte überführen und somit vom eigentlichen Erleben weit wegabstrahieren.
Dabei werden Erkrankungen auch als relationales Phänomen zwischen dem verkörperten Selbst der Person und der Umwelt betrachtet. Ein Beispiel wäre die Schizophrenie bei der ein natürlicher Bezug zum eigenen Körper und der Umwelt verloren gehen kann, während die Betroffenen in hyperreflektive kognitive Zustände verfallen in denen sie alles hinterfragen und ihren “common sense” verlieren.
Es findet also schon der Versurch statt mehr als nur eine philosophisch-deskriptive Beschreibung des Erlebens oder Embodiments darzubieten. Wobei diese Beschreibung auch notwendig ist um überhaupt ansatzweise das Phänomen selbst, also die veränderte Lebenswelt des Betroffenen, zu verstehen.
Phänomenologische Psychopathologie steht normalerweise nicht auf der Agenda von psychologischen Psychotherapeuten und Psychiatern. Es bleibt im Vergleich zum Mainstream ein Nischenbereich.
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»“Was mir fehlt, ist der Bezug zur therapeutischen Praxis. Wie setzt sich Verkörperung dort um.”
Fuchs hat sich dazu wohl nicht geäußert da er schlicht nicht danach gefragt wurde.«
Genau darauf wollte ich hinweisen.
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Es scheint mir weder eine naive Vorstellung zu sein, noch eine sophistische Spielerei, wie weit Bewusstsein über das Gehirn hinausreicht, sondern eine realistischere Vorstellung als die, dass alles nur vom Gehirn abhängt. Das Gehirn ist – wie alles in der Welt – kein isoliertes Organ, sondern wenn man von der Wahrnehmung ausgeht, dann kann man Hirn, Körper und Umwelt gar nicht trennen. Genauso wie die Trennung von Subjekt und Objekt eine abstrakte ist, weil es gar kein isoliertes Subjekt oder isoliertes Objekt gibt.
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Lieber Herr Harsieber,
Bei solchen Aussagen („Es gibt keine Subjekt-Objekt Trennung“) frage ich mich immer, steckt dahinter eine tiefere Erkenntnis als das Gemeingut, dass wir physikalisch, biologisch und psychologisch mit der Umwelt verbunden sind, aber ontologisch dennoch von ihr unterscheidbar sind?
Die dann oft folgende Argumentation, dass ja quantenphysikalisch alles als Feld zu sehen sei, das alles miteinander verbindet, missachtet dreierlei:
1. ist die Quantenphysik selbst eine physikalische und mathematische Abstraktion, die keine Erkenntnistheorie beinhaltet, sondern lediglich eine Phänomenologie, erkenntnistheoretische Schlussfolgerungen sind demnach kontraproduktiv.
2. handelt es sich bei der Quantenphysik um eine Größenordnung, die für unsere makroskopische Lebenswelt irrelevant ist,
3. ist die Physik nicht in der Lage, Leben adäquat und vollständig zu beschreiben, da sie keine Strukturbegriffe für Leben hat.
Die Trennung von Subjekt und Objekt ist eine notwendige Voraussetzung jeglicher (analytischer) Wissenschaft, ihre Negierung dagegen entspricht eher einem Lebensgefühl, das philosophisch verbrämt gerne esoterischen Trends folgt.
Auch für die (psycho-) therapeutische Praxis ist diese Sichtweise eher hinderlich, indem sie der zentralen Orientierungsfunktion des Gehirns für den Organismus nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkt. Meditation setzt übrigens im Gehirn an und übt damit einen direkten Einfluss auf den Körper aus.
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Hallo Herr Stegemann,
beim Ausflug in die Quantenphysik und dem Wort „Feld“ fragte ich mich gerade, ob eine Welt, welche nach Planck ggf. eine diskrete Struktur hat, nicht von Einzeldingen gesprochen werden soll, die eben genau davon leben, dass sie vereinzelt sind. Vielleicht vergleichbar mit dem Begriff Monade. Wäre dann nicht dich nicht „alles mit allem verbunden“? Also eine Zusammenführung von Subjekt-Objekt würde dann ggf. ignorieren, dass die Quanten eine diskrete Natur beschreiben?
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@Anaximander:
“ Also eine Zusammenführung von Subjekt-Objekt würde dann ggf. ignorieren, dass die Quanten eine diskrete Natur beschreiben?“
Genau. Selbst wenn man die Quantenwelt also ontologisch betrachtet, folgt daraus, dass sie eine diskrete Struktur hat und damit energetisch und zeitlich aus ‚Teilen‘ (Quanten) besteht. Ob es Monaden sind oder nur als solche in Erscheinung treten, wissen wir aber nicht.
Zumindest kann man daraus nichts für die makroskopische Welt ableiten.
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Die Trennung von Subjekt und Objekt ist etwas, das es so nicht gibt. Nichts in der Welt ist so isoliert. Was es gibt, ist die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, um uns verständigen zu können. Das ist etwas anderes. Genauso wie wir etwas wissenschaftlich nur untersuchen können, wenn wir es auf wenige Parameter reduzieren. Die Komplexität der Natur ist wissenschaftlich nicht zu ergründen.
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Natürlich ist die quantenphysikalische Verbundenheit nicht auf den Makrokosmos zu übertragen – abgesehen davon, dass der Makrokosmos aus dem Mikrokosmos aufgebaut ist.
Aber:
1. Auch die klassische Physik ist eine physikalische und mathematische Abstraktion. Die Quantenphysik ist u.a. aus dem Problem entstanden, dass die Newtonsche Physik nicht einmal die Festigkeit der Materie erklären kann, und daher eine neue Erklärung notwendig wurde, die die Materie besser und genauer erklären kann. Und da unser Weltbild noch immer an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts angelehnt ist, sind wir, was das Weltbild betrifft, um ein Jahrhundert zurück.
2. die QP ist für den Makrokosmos nicht irrelevant, sie gilt im Makrokosmos genauso, nur sind die typischen quantenphysikalischen Besonderheiten zwar auch da, aber in zu vernachlässigender Größenordnung. Eine genauere Beschreibung auch makrokosmischer Gegebenheiten ist sie allemal, nur brauchen wir da diese Genauigkeit nicht wirklich.
3. Da stimme ich vollkommen überein. Lebendiges ist naturwissenschaftlich nicht erfassbar. Schon weil Leben immer individuell ist, und die Physik den Einzelfall nicht erfassen kann, sondern immer nur Allgemeines.
4. Nicht die Trennung, sondern die Unterscheidung von Subjekt und Objekt ist Voraussetzung jeglicher Kommunikation. Mit einer Trennung von Subjekt und Objekt ist menschliche Wahrnehmung nicht erklärbar. Mit Esoterik hat das nichts zu tun.
5. Meditation hat, wie alles, eine Korrelation mit biologischen Gegebenheiten. Der direkte Einfluss ist Interpretation, der sich wissenschaftlich nicht belegen lässt.
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Lieber Robert Harsieber,
vielen Dank für Ihren sehr bemerkenswerten Kommentar, dem ich mich nur anschließen kann.
Endlich sagt es mal einer . Man kommt sich ja manchmal schon wie der „Rufer in der Wüste“ vor :-). Es wäre jetzt nur noch schön, wenn sich diese Erkenntnis herumsprechen könnte.
Also vielen Dank für Ihr Engagement und
mit den besten Grüßen
Dirk Boucsein
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@ Robert Harsieber:
„3. Da stimme ich vollkommen überein. Lebendiges ist naturwissenschaftlich nicht erfassbar. Schon weil Leben immer individuell ist, und die Physik den Einzelfall nicht erfassen kann, sondern immer nur Allgemeines.“
Lebendiges wird naturwissenschaftlich über die Biologie untersucht. Es ist daher naturwissenschaftlich natürlich erfass- und untersuchbar.
Falls Sie mit dem Lebendigen unser bewusstes Erleben meinen – dies ist naturwissenschaftlich natürlich nicht unmittelbar beobachtbar. Aber es ist nicht nur nicht notwendig dass Leben/Lebendigkeit/Subjektivität/Bewusstsein nicht unmittelbar naturwissenschaftlich beobachtbar ist, sondern wäre sogar hinderlich bzw. tautologisch. Es wäre tautologisch Lebendigkeit mit Lebendigkeit selbst, Subjektivität mit Subjektivität selbst, Leben mit Leben selbst, usw. zu beschreiben und zu erklären.
Welchen wissenschaftlichen Erklärungswert hätte das?
Es ist im Gegenteil notwendig die Dinge von einer anderen Perspektive, also beispielsweise einer objektiv-wissenschaftlichen, zu betrachten. Erst dann werden Erklärungen möglich die nicht tautologisch sind. Philosophisch gesprochen ist ein anderer epistemischer Standpunkt notwendig. Ein solcher Standpunkt schließt dann Lebendigkeit so wie sie von uns erlebt wird aus, aber das bedeutet nicht dass Leben nicht weiter erklärbar wäre oder hier radikal eine Grenze gezogen werden muss jene die Naturwissenschaft nicht antasten kann.
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